Früher reiste Adrian Margelist (43) mit zwei vollen Koffern an die Paris Fashion Week. «Ich hatte für jeden Tag vier verschiedene Outfits dabei», erinnert sich der Kreativchef von Mammut. Heute trägt er dasselbe T-Shirt manchmal mehrere Tage am Stück – um neue, hochfunktionale Stoffe zu testen.
Als Margelist 2017 vom Berliner Taschenlabel Liebeskind zur Schweizer Bergsportmarke Mammut wechselte, kam das im Fashionzirkus einer Sensation gleich. Er tauschte Catwalk gegen Wanderweg, Ledertasche gegen Kletterseil, Grossstadt-Glamour gegen alpine Einsamkeit. Ein Bruch mit allem, wonach die Modewelt strebt. «Als der Anruf von Mammut kam, habe ich keine drei Stunden überlegt», sagt Margelist. «Ich sagte zu, bevor wir überhaupt über Konditionen geredet haben.»
Margelist hat SonntagsBlick zum Wandern in seine Heimat eingeladen. Er wurde als Jüngster von vier Geschwistern in eine Bähnlerfamilie geboren, wuchs in Brig VS auf. «Arbeiterklasse. Niemand hatte einen kreativen Hintergrund. Dafür waren alle bergsportbegeistert.»
In Saas-Fee VS ging er Ende der 1980er-Jahre snowboarden – zu einer Zeit, als der Sport auf den Pisten geächtet war. Heute trifft er im Dorf auf alte Mitstreiter. Vor ihnen hatte er einst angekündigt, dass er ein weltberühmter Modedesigner werde. «Und dann ist er gegangen und ist es einfach geworden», sagt ein Bekannter, der heute in Saas-Fee ein Hotel führt.
Bruder bezahlte Studium
Margelist studierte Mode in Zürich und Mailand. Bezahlt hat ihm das Studium sein 13 Jahre älterer Bruder, ein Bergführer. Angetrieben von einem draufgängerischen Ehrgeiz, konnte er sich in der hochkompetitiven Modewelt durchsetzen.
Als einer von ganz wenigen Schweizern brachte er es zum Kreativdirektor. 18 Jahre verbrachte er im Ausland. Arbeitete in England, Italien, Südkorea. War bei Vivienne Westwood, Esprit und dem Luxustaschen-Label MCM. Sein persönliches Highlight: 2011 – da arbeitete er für Navyboot – war er nominiert für den Global Fashion Award, den Oscar der Modeszene.
Margelists Kernkompetenz: bekannten, aber angestaubten Marken ein neues Image verpassen. Er ist ein sogenannter Rebranding-Spezialist. Genau das, was Mammut aus Seon AG so bitter nötig hatte. Die Nummer sieben im Outdoor-Markt hat seit Jahren zu kämpfen. Mammut war bieder und hat den Digital-Trend verschlafen. Das schlug sich in den Geschäftszahlen nieder.
Erwirtschaftete Mammut 2014 noch einen Umsatz von 249 Millionen Franken, schrumpfte er jedes Jahr – auf zuletzt 228 Millionen. Die Zürcher Conzzetta Holding, zu der Mammut gehört, musste reagieren. Sie holte einen neuen CEO. Und der installierte Adrian Margelist.
Mit ihm kehrte ein neuer Geist beim Traditionsunternehmen ein. Margelist gibt Farb- und Designkonzepte vor, nimmt Prototypen ab, kümmert sich um neue Materialien. Rund 100 Leute arbeiten für ihn. «Ich bin wie der Dirigent eines Orchesters.»
Am liebsten trägt er Schwarz
Ein Draufgänger ist er geblieben. Seine Partys sind in der Outdoor-Branche bereits Kult. Selbst trägt er nur Schwarz und Weiss (eigentlich nur Schwarz). Deshalb stellt ihm sein Team die neuen Produkte immer erst in diesen Farben vor. Beim Hiken im Wallis ist er der stylischste Mann am Berg. Kombiniert mühelos eine dicke Rolex mit Wanderschuhen, Kopftuch und Funktionsjacke.
Vermisst er sein altes Leben nicht? Den Luxus, den Glamour? «Keine Sekunde», antwortet der Vater eines Sohnes. Von dessen Mutter lebt er getrennt. Doch die Familie in der Schweiz habe ihm gefehlt. «Und», sagt Margelist, «es ist halt kein Klischee: Die Modewelt ist wahnsinnig oberflächlich.»
Er wolle nicht klagen, die Mode habe ihm ein wahnsinniges Leben ermöglicht. Aber? «Als ich jung war, strebte ich nach Geld, nach Autos. Nach allem, was ich nie hatte.» Und dann? «Irgendwann Mitte 30 habe ich gemerkt: Das gibt einem nicht das, was man sich davon verspricht.»
Im Herzen ist Margelist immer Walliser geblieben. Seinen breiten Dialekt hat er nie abgelegt. Er und Mammut ergänzen sich wie das Steigeisen den Bergschuh. Der weit gereiste Fashion-Experte bringt die Welt nach Seon. Dafür gibt ihm die Bergsportmarke Halt und Heimat. Mammut soll wieder wachsen. Soll hochfunktionale Kleidung mit Design verbinden.
Werden auch Städter damit warm?
Nächstes Jahr kommt eine neu entwickelte Kollektion in die Läden. Im Visier: Städter. Wird Mammut jetzt eine Modemarke? Es ist die einzige Frage, auf die Margelist nervös reagiert. Mit den konservativen Bergsportlern, denen die Ausrüstung im Ernstfall das Leben rettet, darf er es sich nicht verscherzen.
«Mammut wird nie Mode sein!» Vielmehr wolle man die Funktionstextilien vom Berg auch anders nutzen. «Wer pendelt, bewegt sich. Kommt vom Regen in die Hitze und ins gekühlte Büro», doziert Margelist. Diese Kompetenz wolle man dem urbanen Publikum anbieten.
Der Hoffnungsmarkt ist Asien. Margelist kennt den Kontinent mit all seinen Facetten. Die Japaner und Chinesen fahren auf Funktionskleider ab. Die Schweiz geniesst ein hohes Ansehen. Deshalb hat Mammut das Logo angepasst. Der Claim «Absolute alpine» wurde fallen gelassen und durch «Swiss 1862» ersetzt.
Seit anderthalb Jahren ist Margelist nun dabei. Das Tempo ist hoch. Die jüngsten Halbjahreszahlen lassen auf eine Trendwende hoffen. «In den letzten Jahren ging es tendenziell bergab. Jetzt tragen unsere Mitarbeiter das Logo wieder mit Stolz», sagt er. Ohne auch nur zu versuchen, sein monumentales Selbstvertrauen hinter dem Berg zu halten.
Adrian Margelist ist angetreten, um Mammut zu retten. Aber ein bisschen rettet er sich damit auch selbst.