Im Mittelland kämpft die Stadthotellerie noch immer um jeden einzelnen Touristen. Je weiter man sich aus den Zentren entfernt, desto besser laufen die Geschäfte. Viele Land- und Berghotels erleben sogar eine unerwartete Blütezeit dank zahlreicher Inlandgäste, die in der Abgeschiedenheit Ruhe vor dem Corona-Stress suchen.
So florierte auch das Hotel Ofenhorn in Binn VS. Das Traditionshaus drohte einst zu verfallen, nun aber stehen Rekordzahlen in den Büchern. «Wir waren ein grosser Corona-Profiteur. Das Hotel konnte seinen Umsatz in den letzten zwei Jahren mehr als verdoppeln», freut sich Benno Mutter (60), Präsident der Betreiber-Genossenschaft des Ofenhorns. Bisweilen seien ohne vorangegangene Reservation im Hotel-Restaurant keine Tische mehr zu kriegen gewesen.
Jetzt ruht das Hotel im Winterschlaf. Im Ofenhorn sind die Tische aufgestuhlt, die Fensterläden geschlossen. Drinnen ist es düster. Fein säuberlich zusammengefaltet liegen Stapel von Handtüchern auf Kommoden verteilt. Die alten Bodendielen aus Tannenholz knarzen bei jedem Schritt – deutlich hörbar.
Einzig in der kleinen Bar im Erdgeschoss dringt Licht durch die unverhüllte Fensterfront herein. An einem der Tische warten Benno Mutter, Daniel Kronig (42) und Rudolf Jossen (61) auf Blick. Die drei Männer haben eine Mission, wie sie sagen. Sie suchen auf Hochtouren eine neue Gastgeberin oder einen Gastgeber, denn Ende Mai soll ihr Haus wieder im besten Lichte Touristinnen und Touristen empfangen. Ansonsten ist die nächste Sommersaison in Gefahr.
Aushängeschild der Gemeinde
Eine Schliessung des Traditionshauses wäre für Binn fatal. «Das Ofenhorn ist das absolute Aushängeschild unseres Dorfes», sagt Gemeindepräsident Rudolf Jossen. Der Schweizer Heimatschutz zählt das Ofenhorn gar zu den schönsten Hotels der Schweiz.
Die aktuelle Gastgeberin und Hotelchefin Regula Hüppi (34) wechselt nach fünf Jahren zu einem anderen Betrieb. Die Nachfolge-Suche ist in Binn eine Mammutaufgabe. Das Dorf liegt in einem abgelegenen Seitental im Goms. Wer nach Binn will, muss durch einen einspurigen Strassentunnel mit rustikalen Felswänden fahren. Hierher verirrt sich niemand zufällig. Wer im Ofenhorn arbeitet, kommt nicht drum herum, ins Goms zu ziehen. Ein vielversprechender Bewerber sagte deswegen ab.
«Schliessung wäre absoluter Worst Case»
An Interessenten fehle es zwar nicht, wie Mutter betont. «Wir haben über 20 Bewerbungen erhalten.» Mutter hat aber eine genaue Vorstellung davon, was der neue Gastgeber mitbringen muss: «Wir suchen jemanden vom Fach und mit einem Händchen für historische Bauten mit einem speziellen Ambiente. Das ist unsere Visitenkarte.» Gemeindepräsident Rudolf Jossen doppelt nach: «Es muss die richtige Person sein. Wenn wir einfach irgendjemanden einstellen, würden wir dem Ofenhorn langfristig nur schaden.»
Ein offenes Ofenhorn ist für Binn enorm wichtig. «Das Hotel ist mit Abstand grösster Arbeitgeber im 127-Einwohner-Dorf», betont der Vizepräsident der Gemeinde, Daniel Kronig. In der Hauptsaison beschäftigt es 20 Angestellte, aufs Jahr gerechnet sind es knapp neun Vollzeitstellen. Das Hotel füllt Binn mit Leben. Aufgrund der grossen Bedeutung des Hotels ist die Gemeinde finanziell an der Genossenschaft beteiligt. Gemeindepräsident Jossen sagt: «Eine Schliessung des Hotels wäre der absolute Worst Case. Wir werden alle Möglichkeiten ausschöpfen, damit das Ofenhorn im Sommer offen ist.»
Krisenerprobtes Dorf
Die Betreiber gehen davon aus, dass dem Ofenhorn erneut ein hervorragender Sommer bevorsteht, wenn es denn öffnen kann. Das Hotel ist besonders bei Gästen beliebt, die nach Natur und Kultur suchen. Der geschichtsträchtige Bau aus der Belle Epoque wurde 1883 eröffnet und diente während des Zweiten Weltkriegs als Truppenunterkunft. Die gut 30 Zimmer werden seit Jahren fortlaufend im Originalstil sanft renoviert oder restauriert.
Die Einwohner von Binn und der Gemeinderat sind es sich gewohnt, für das Überleben ihres Dorfes zu kämpfen. Vor ein paar Jahren haben sie den Dorfladen gerettet. Zuletzt hat die Gemeinde nach langer Suche eine neue Lehrerin für die Dorfschule finden können. Andernfalls hätte die kleine Dorfschule schliessen müssen. Und vor über 30 Jahren wurde eine Genossenschaft zur Rettung des Hotels Ofenhorn gegründet. «Ansonsten wäre das Hotel zur Ruine verfallen», sagt Benno Mutter.
Wird die Genossenschaft bis Mitte Februar nicht fündig, muss sie über die Bücher gehen. Aktuell laufen aber wieder Bewerbungsgespräche. Mutter ist deswegen optimistisch, dass im Ofenhorn ab Ende Mai wieder Gäste bewirtet werden.