Währungs-Schock
«Fällt der Kurs unter 1.10, erwarte ich eine Rezession»

Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann erklärt die Folgen des SNB-Entscheids – und sagt, wann die Schweiz der EU beitreten würde.
Publiziert: 18.01.2015 um 00:21 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 22:23 Uhr
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Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann (48).
Foto: Sabine Wunderlin
Interview: Peter Hossli

SonntagsBlick: Herr Straumann, warum hat die Nationalbank jetzt den Mindestkurs zum Euro aufgegeben?
Tobias Straumann:
Die SNB wollte wohl verhindern, dass das Halten der Untergrenze zu teuer wird. Zudem hat sich das Umfeld verbessert.

Was ist besser geworden?
Der Ölpreis ist tiefer, der Dollar stärker, ebenso die amerikanische Wirtschaft. Zudem ist die Situation im Euro-Raum leicht stabiler.

Politiker, Ökonomen und Unternehmer kritisieren SNB-Präsident Thomas Jordan. Zu Recht?
Die SNB geht grosse Risiken ein. Ob die Aufhebung für die Schweiz aber tatsächlich schlecht ist, lässt sich heute noch nicht sagen.

Dann entschied Jordan falsch?
Stabilisiert sich der Wechselkurs auf gutem Niveau, hat Jordan goldrichtig gehandelt. Wenn nicht, hat sich der Ausstieg nicht gelohnt.

Welche Risiken birgt der Ausstieg?
Flutet die Europäische Zentralbank (EZB) den Markt jetzt mit Euro, könnte der Franken sehr stark werden. Dann müsste die SNB erneut intervenieren – ohne das Instrument des Mindestkurses zu haben. Das könnte teuer werden.

Was sind die Chancen?
Pendelt sich der Franken auf einem akzeptablen Niveau ein, dann schwächt sich das Wachstum ab, ohne die Wirtschaft abzuwürgen.

Die weltweiten Reaktionen sind enorm. Warum ist die kleine Schweiz so mächtig?
Der Franken ist eine internationale Fluchtwährung, eine Art Fiebermesser der Weltwirtschaft. Erstarkt er, ist das System gestört. Zudem ist die SNB neben der Bank of England und der EZB die wichtigste Notenbank Europas.

Was zeigt der Fiebermesser an?
Dass die Eurokrise nicht vorbei ist und der Euro verwundbar bleibt.

Währungsfonds-Direktorin Christine Lagarde griff Jordan an, weil er sie nicht vorab informiert hätte. Zu Recht, oder ist ihr Ego verletzt?
Vor der Einführung der Untergrenze 2011 informierte die SNB zu offen. Was die Gefahr des Missbrauchs erhöhte. Die SNB musste dies jetzt auf jeden Fall verhindern.

Die SNB setzt auf Negativzinsen. Wie effektiv sind diese?
Sie sind nicht sehr wirksam. Ein Negativzins von Minus 1 Prozent schreckt nicht ab, wenn Spekulanten mit kurzfristigen Bewegungen Gewinne von 5 bis 10 Prozent erzielen. Wirksam wären nur weit höhere Negativzinsen.

Jordan sagt, er sei nun freier. Wie kann er den Franken schwächen?
Diese Ansicht teile ich nicht. Allein der Verlauf der Eurokrise bestimmt, wie frei die SNB ist. Kommt es gut, ist ihr Spielraum grösser, wenn nicht, ist er kleiner.

Und – kommt es gut?
Das weiss wirklich noch niemand.

Wie gross ist die Gefahr einer Rezession in der Schweiz?
Es wird Entlassungen geben, ins­besondere im Tourismus sowie bei der Maschinen- und Metallindus­trie. Ob es zur Rezession kommt, lässt sich jetzt nicht sagen.

Welcher Eurokurs ist notwendig, um eine Rezession abzuwenden?
Bis 1.10 Fr. gibt es eine starke Bremsung. Fällt der Kurs unter 1.10, erwarte ich eine Rezession.

Wie gross ist die Gefahr einer ­Deflation?
Da ist die SNB widersprüchlich. Sie sagte lange, sie halte am Mindestkurs fest, um eine Deflation zu verhindern. Es irritiert, wenn das jetzt keine Rolle mehr spielen soll.

Besteht denn Deflations­gefahr?
Schlimm wäre, wenn der Immobilienmarkt einbrechen würde. Können Familien, die eben ein Haus gekauft haben, dieses nicht mehr finanzieren, droht eine schlimme Deflation. Dann stünde die SNB vor einem Scherbenhaufen.

Was passiert mit den Löhnen?
Die Löhne werden die nächsten zwei, drei Jahre stagnieren.

Überlebt der Euro?
In der näheren Zukunft bestimmt. Die EZB hat jetzt freie Bahn, alle Staatsanleihen aufzukaufen, um den Euro zu sichern.

Bleibt Griechenland im Euro?
Davon gehe ich aus. Die EU hat sehr viel unternommen, um die Griechen im Euro zu behalten. Sie lässt sie nun nicht einfach raus.

Wie kann die Schweiz mitten in Europa ohne Euro überleben?
Derzeit will eine klare Mehrheit der Schweizer nicht in die EU. Kommt jetzt eine grosse Rezession und läuft der Wechselkurs aus dem Ruder, könnte diese Stimmung drehen. Geht es der Schweiz lange Zeit sehr schlecht, ändert sich die Debatte um den EU-Beitritt.

Was bedeutet das Ende des Mindestkurses?
Es ist einer der wichtigsten Entscheide der Schweizer Wirtschaftsgeschichte. Aber es ist ein Datum, bei dem wir erst im Nachhinein sagen können, wohin es uns geführt hat. Nach 9/11 oder dem Mauerfall war sofort klar, was zu erwarten war. Hier hängt alles davon ab, wie die nächsten zwei bis drei Jahre verlaufen werden. Es kann ein heroischer Moment sein oder ein tragischer.

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