VW-Markenchef Oliver Stegmann im Interview
«Wir rechneten mit Vertrags-Rücktritten»

Im Jahr eins nach dem VW-Abgasskandal unterhält sich SonntagsBlick mit dem Schweizer VW-Markenchef Oliver Stegmann (46): Wie steht es um die Folgen des Dieselbetrugs, weshalb verläuft die Nachrüstaktion nur schleppend – und was hat der Skandal VW-Importeurin Amag gekostet?
Publiziert: 01.01.2017 um 00:00 Uhr
|
Aktualisiert: 11.09.2018 um 23:05 Uhr
Der VW-Markenchef in der Schweiz, Oliver Stegmann, äussert sich im Jahr eins nach dem Abgasskandal zur aufwändigen Umrüstung und dem Ruf seiner Marke.
Foto: Philippe Rossier
Raoul Schwinnen

Der Abgasskandal scheint dem VW-Image in der Schweiz nicht geschadet zu haben. Eben wählte eine Jury aus über 60'000 Lesern den VW Tiguan zum «Lieblingsauto der Schweizer».
Oliver Stegmann:
Ja, das hat auch uns etwas überrascht. Aufgrund des Skandals rechneten wir nicht unbedingt damit, den Publikumspreis zu gewinnen. Umso schöner natürlich dieser Erfolg!

Die Negativreaktionen nach Bekanntwerden des Skandals im September 2015 waren heftig!
Als ich in den Medien zum ersten Mal vom Abgasskandal hörte, war ich wie vor den Kopf gestossen. Ich hatte keine Ahnung, was nun auf VW und die Amag zukommen würde. Wir haben seitens Amag aber dafür gesorgt, unsere Kunden so schnell und transparent wie möglich zu informieren. Glücklicherweise stand bald fest, dass sich die Sache per Software-Update mit relativ wenig Aufwand aus der Welt schaffen lässt.

VW-Markenchef Oliver Stegmann gibt SonntagsBlick-Autoredaktor Raoul Schwinnen Auskunft über die Folgen des Abgasskandals.
Foto: Philippe Rossier

Wie wirkte sich der Skandal aufs Verhalten der Schweizer Käufer aus?
Nach Bekanntwerden des Skandals rechneten wir damit, dass vielleicht einige auf ihr neues Auto wartende Kunden vom Vertrag zurücktreten. Dazu kam es bis auf wenige Einzelfälle aber nicht.

Wie viele VWs – also ohne Audi, Seat oder Skoda – sind in der Schweiz betroffen und mussten oder müssen umgerüstet werden?
68'000 VW-Modelle. Gerade in diesen Tagen wurden von den zuständigen Behörden die letzten Software-Updates freigegeben. Das heisst, erst jetzt dürfen wir die Kunden offiziell anschreiben und die Updates an allen betroffenen Fahrzeugen ausführen. Bis anhin konnten wir dies erst bei den vom VW-Konzern zum Update aufgebotenen Fahrzeugen tun. Dass wir aber dennoch bereits fast zwei Drittel dieser Autos umgerüstet haben, zeigt, dass der Kunde in der Schweiz schnell dieser Aufforderung nachkommt und sein Auto zu seinem VW-Partner in die Werkstatt bringt.

Die Stiftung für Konsumentenschutz SKS wirft der Amag vor, die Rückrufaktion verlaufe «desaströs». Es heisst, ein Jahr nach dem Skandal warteten noch 75 Prozent aller betroffenen Schweizer Kunden auf konkrete Informationen.
Wir hatten Anfang 2016 alle betroffenen Kunden persönlich mit einem Brief informiert, dass die Software-Updates zeitlich gestaffelt übers ganze Jahr verteilt stattfinden werden. Und wir uns dann wieder melden, wenn die Softwareversion für genau ihr betroffenes Fahrzeug verfügbar ist. VW musste auf die Freigabe der zulassenden Behörden warten. Erst dann konnte der Konzern reagieren und die Software-Versionen freigeben. Wir rechnen nun damit, dass wir in den kommenden Wochen die Updates durchführen können. Viele Kunden werden dies wohl gleichzeitig mit dem Umrüsten von Winter- auf Sommerreifen erledigen lassen. Bis spätestens Ende 2017 sollte die Umrüstaktion abgeschlossen sein – aber das liegt schlussendlich in den Händen der einzelnen Kunden. Natürlich fragen nun einige Betroffene, die länger nichts von uns oder ihrem Händler gehört haben, nach. Der Grossteil der Kunden reagiert aber geduldig und verständnisvoll. Dafür bin ich dankbar. Alles in allem darf ich behaupten, dass der Rückruf nicht desaströs, sondern im Gegenteil gut läuft.

Die Preise für gebrauchte VW-Dieselmodelle sind nicht stärker zurückgegangen als bei anderen Gebrauchtwagen.
Foto: Philippe Rossier

Was sagen Sie zum Vorwurf, dass Kunden, die ihr «unverkäufliches» Fahrzeug eintauschen wollten und von der Amag «unbürokratische Hilfe» zugesichert erhielten, oft erst «nach Drohungen oder durch Vermittlung der SKS» zum Ziel gekommen seien?
Seriöse Analysen von Gebrauchtwagenplattformen wie AutoScout24 oder Eurotax belegen, dass die Restwerte unserer VW-Dieselfahrzeuge in der Schweiz stabil sind und die Occasionspreise nicht stärker zurückgehen als das seit dem 15. Januar 2015 generell etwas zurückgegangene Preisniveau bei Gebrauchtwagen. Natürlich gibt es einzelne Kunden, die dennoch behaupten, dass sie aufgrund des Abgasskandals ihr Fahrzeug nicht weiterverkaufen können. Oftmals gibt es dafür aber auch andere Gründe – etwa einen schlechten Fahrzeugzustand oder ein weniger gesuchtes Modell mit spezieller Farbe oder Ausstattung. Tatsache ist: Wir tauschen diese Fahrzeuge ein! Jeder Kunde, der glaubhaft darlegt, er könne sein Fahrzeug aufgrund des Dieselskandals nicht mehr verkaufen, möge sich an einen unserer Amag-Betriebe wenden – und die tauschen ihm das Fahrzeug zu einem korrekten Marktpreis ein.

Der Schweizer VW-Chef darf zufrieden sein. Die Händler haben gut auf den Abgasskandal reagiert, so dass weiterhin fünf VW-Modelle in den Top Ten der Verkaufshitparade zu finden sind.
Foto: Philippe Rossier

Die SKS wollte eine Entschädigung für Betroffene aushandeln, scheiterte aber. Sind damit alle Forderungen gegenüber der Amag vom Tisch?
Nein. Die Bundesanwaltschaft muss den Fall noch untersuchen. Das betrifft die Amag und den VW-Konzern. Dabei gilt es aber in erster Linie zu klären, ob wir bei der Amag nicht schon im Vorfeld über die Manipulationen Bescheid wussten. Und ich kann nur wiederholen: Auch wir haben erst aus den Medien im September 2015 davon erfahren!

Was kostet die Amag der VW-Skandal – abgesehen von Nerven und Überstunden?
Einen zweistelligen Millionenbetrag. Wir wollen den betroffenen Kunden ja besten Service bieten und sorgen zum Beispiel für Ersatzmobilität oder weitere Dienstleistungen, wenn der Kunde das Auto schon zum Umrüsten bringen muss. So entstehen uns Kosten, die über die Entschädigung des Herstellers hinausgehen.

Mit Golf, Polo, Tiguan, Touran und Passat liegen fünf VW-Modelle in den Top Ten der Verkaufshitparade. Ist der Zorn des Schweizer Volkes schon wieder verraucht?
Ich glaube, dass viele Menschen erstaunt und zum Teil auch enttäuscht waren über das, was VW getan hat. Aber sie vertrauen der Marke dennoch weiterhin und wissen, dass sie ein tolles Produkt erhalten. Zudem zeigen aktuelle Tests, dass die neuen Modelle auch im Realbetrieb sehr gute Abgaswerte haben, deutlich bessere als manch andere.

Ist die Schweiz eine Ausnahme, oder läuft der VW-Absatz in Europa generell wieder gut?
Auf dem wachsenden europäischen Markt ist der VW-Marktanteil minimal rückläufig – in Deutschland und England etwas ausgeprägter. Dafür läuft es in Italien und weiteren EU-Ländern gleich gut oder gar besser. Weltweit konnte VW gegenüber Vorjahr gar weiter zulegen. In der Schweiz hatten wir das grosse Glück, dass unsere Händler rasch spürten, dass der Skandal ein zu bewältigendes Thema ist. Entsprechend konnten sie die verunsicherten Kunden beruhigen und transparent und fachmännisch informieren. Daher gebührt auch unserem Händlernetz bei der Bewältigung der Krise ein grosses Kompliment.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.