Die heute üblichen Corona-PCR-Test, wo ein Abstriche aus dem Mund-, Nasen- oder Rachenraum nötig ist, sind sehr präzise. Sie entdecken Fragmente SARS-CoV-2-Viren noch zwei bis fünf Wochen nach der Ansteckung. Sie sind knapp, teuer und müssen von gut ausgebildetem medizinischem Personal durchgeführt werden.
Deshalb wurde in der Regel frühestens nach den ersten Symptomen getestet, und es dauerte einen oder oft zwei Tage, bis das Ergebnis bekannt war. Erst dann konnte der Patient – wenn positiv - in Quarantäne geschickt werden. Heute wissen wir – gemäss dem Robert Koch-Institut - dass von der Ansteckung bis zu den ersten Symptomen typischerweise fünf Tage vergehen, dass der Patient aber schon zwei Tage zuvor ansteckend ist und insgesamt etwa fünf bis sieben Tage ansteckend bleibt. Das heisst, dass nur ein Teil der im PCR-Test positiv Getesteten tatsächlich ansteckend ist und isoliert werden müsste.
Kurze Dauer der Ansteckbarkeit nutzen
Inzwischen haben mehrere Labors, das US-Startup E25Bio, Pharmaact in Berlin und neuerdings auch Roche, Tests entwickelt, deren Ergebnisse innert 15 Minuten verfügbar sind, und mit wenig Aufwand durchgeführt werden können. E25Bio geht von Kosten von 1 bis 2 Dollar aus. Roche will den Preis nicht bekannt geben.
Die Test des Basler Pharmakonzerns geben mit einer Wahrscheinlichkeit von 96,52 Prozent an, ob der Patient SARS-CoV-2-Viren aufweist. Der schon im Februar entwickelte Test von E25Bio ist wesentlich ungenauer und hat deshalb bisher die Anforderungen der US-Arzneimittelbehörde FDA nicht erfüllt.
Jetzt hat sich aber herausgestellt, dass der E25Bio-Test mit hoher Zuverlässigkeit die Patienten erkennt, die genügend Viren haben, um ansteckend zu sein. Dasselbe gilt auch für den Test von Pharmaact. Das bedeutet, dass folgendes Szenario denkbar wird: Alle Schweizer werden am Tag X getestet. Negative werden nach zwei Tagen nachgetestet. Könnte ja sein, dass man beim ersten Test schon angesteckt, aber noch nicht ansteckend war. Wer ansteckend ist, geht ab sofort für fünf Tage in Isolation. Am sechsten Tag macht man einen zweiten Test, der angesichts der kurzen durchschnittlichen Dauer der Ansteckbarkeit in den allermeisten Fällen negativ ausfallen wird. Bei einem positiven Test kann jeden Tag neu getestet werden.
Verkürzung von Isolation und Quarantäne
Der Vorteil dieses Vorgehens liegt darin, dass nur ansteckende Personen in Isolation geschickt werden, und dass diese selten mehr als fünf Tage dauern muss. Wer genau weiss, dass er andere anstecken kann, sich aber nur wenige Tage isolieren muss, wird dies in der Regel auch freiwillig tun. Zurzeit sind in der Schweiz etwa 18'000 Personen in Quarantäne. Würde die ganze Schweiz getestet, wären es eine Woche lang vielleicht etwa dreimal so viel.
Das wäre der Idealfall. Der Infektiologe und Epidemiologe Michael E. Mina von der Harvard School of Public Health hat dazu etwas realistischere Modellrechnungen in einem wissenschaftlichen Paper publiziert. Er und seine acht Forscherkollegen kommen zum Schluss, dass der R-Wert ziemlich schnell gegen null tendiert, sich das Virus also praktisch nicht mehr repliziert und die Pandemie innert weniger Wochen beendet wäre. Das Paper hat in den USA nicht zuletzt dank Youtube viel Beachtung gefunden und zu einem Paradigmenwechsel geführt: Man hat erkannt, dass es zwei Sorten von Tests braucht – die medizinischen zur Behandlung der Patienten und die epidemiologischen zur Behandlung der Pandemie. In den USA und in Deutschland gibt es Anzeichen für ein Umdenken.
Zweiter Lockdown wäre vom Tisch
In der Schweiz sind wir noch nicht so weit. Hier wird jetzt diskutiert, ob der Schnelltest von Roche präzise genug sei. Doch als Pandemie-Test kann Genauigkeit ein Nachteil sein. Das oben beschriebene Szenario könnte man wohl auch mit dem Schnelltest von Roche durchführen, zumal Roche schon eine Produktionskapazität von 40 Millionen pro Monat aufgebaut hat.
Mit dem präzisen Roche-Test müsste man allerdings unnötigerweise etwa fünf mal mehr Leute in Isolation schicken, nämlich alle die, die zwar noch Antiköper haben, aber nicht mehr ansteckend sind. Aber selbst dann wären die Vorteile riesig: Man müsste nicht mehr alle Reiserückkehrer vorsorglich in Quarantäne schicken, ein zweiter Lockdown wäre definitiv vom Tisch und wir müssten nicht mehr auf einen Impfstoff warten.