Plötzlich hatte die Schweiz ein neues Thema: An den Stammtischen, in Büros und Fabrikhallen wurde angeregt über Zinsen diskutiert – die Höhe der Hypothekarzinsen interessierte alle. Jeder wusste von einem Kollegen zu berichten, der mit seiner Bank einen Hypokredit zu sagenhaft tiefen Zinsen ausgehandelt hatte. Oder prahlte gleich selbst damit, wie günstig er seinen Hauskauf finanziert hatte.
Die weltweite Finanzkrise zwang die Nationalbank im Herbst 2008, den Leitzins in wenigen Wochen fast auf null zu senken, seit 2014 ist er sogar negativ! Geld – und damit Kredit – war plötzlich so billig wie nie, der Traum vom Eigenheim rückte für viele in greifbare Nähe!
Je tiefer die Zinsen, desto grösser die Nachfrage nach Wohneigentum
«Als ab 2008 die Zinsen fielen, ging im Schweizer Immobilienmarkt so richtig die Post ab», erinnert sich Immobilien-Experte Donato Scognamiglio (47) an die stürmischen Zeiten. Als die wirtschaftlichen Sorgenfalten rund um den Globus immer tiefer wurden, machten sich viele Schweizer auf die Suche nach einem geeigneten Objekt auf dem Immobilienmarkt. Je tiefer die Zinsen fielen, desto grösser wurde die Nachfrage nach Wohneigentum, entsprechend stiegen auch die Preise.
«Viele Leute haben sich gesagt, es kostet mich ja gar nicht so viel, die Hypo-Zinsen für ein Haus aufzubringen. Deshalb liessen sich viele auch von überhöhten Preisen nicht abschrecken», sagt Lorenz Heim (49), Geschäftsleiter des Hypothekenzentrums in Zürich. Der Anteil der Wohneigentümer in der Schweiz stieg von 34,6 Prozent im Jahr 2000 auf 38,4 Prozent im Jahr 2015 – ein beachtlicher Wert für das Land der Mieter!
Albert Leiser (60) weiss, warum. Der Direktor des Hauseigentümer-Verbandes Zürich: «Die meisten Mieter träumen von den eigenen vier Wänden. Dank der tiefen Zinsen nach dem Immobilien-Crash in den USA haben viele in der Schweiz diesen Traum wahr gemacht.» Der globale Frust über den Zusammenbruch des US-Häusermarkts weckte die Lust der Schweizer Mieter auf die eigenen vier Wände!
Ironie der Geschichte: Auslöser des Schweizer Immo-Booms war die sogenannte «Subprime»-Krise, die beinahe die gesamte Weltwirtschaft in den Abgrund riss.
Als das amerikanische Kartenhaus zusammenbrach
Windige Investoren und Hypotheken-Vermittler in den USA hatten Menschen Hypotheken angedreht, die sich das eigentlich gar nicht leisten konnten. Damit es nicht so auffiel, bündelten sie diese mit Hauskrediten von anderen, die sich die eigenen vier Wände eher oder gar problemlos leisten konnten. Und verkauften das Paket schnell weiter – an Banken und Finanzinstitute in der ganzen Welt.
Dass dieses amerikanische Kartenhaus zusammenstürzen könnte, wurde der Öffentlichkeit erstmals vor zehn Jahren richtig bewusst: Am 9. August 2007 meldete die französische Bank BNP Paribas grosse Probleme mit ihren Investments in US-Hypotheken.
Folge: Die Banken begannen, einander zu misstrauen, liehen sich untereinander kein Geld mehr – der Finanzmarkt drohte auszutrocknen. In der Schweiz erreichte die globale Finanzkrise ihren Höhepunkt mit der Rettung der UBS im Oktober 2008.
Könnte sich diese Geschichte in der Schweiz wiederholen, zwar nicht mit den gleichen globalen Auswirkungen, aber dennoch extrem schmerzhaft für die Betroffenen? Nein, sind sich die meisten Experten einig.
Die breite Mittelschicht schützt die Schweizer Wirtschaft
«Die Arbeitsplatzsicherheit in der Schweiz ist deutlich höher und die Einkommensunterschiede sind hierzulande nicht ganz so krass wie in den USA. Es gibt in der Schweiz eine breitere Mittelschicht», beruhigt der Ökonom Klaus Wellershoff (53).
Das heisst: Wer in den letzten Jahren ein Haus kaufte, konnte sich das auch leisten. Zudem sind in der Schweiz die Hürden für den Abschluss einer Hypothek viel höher als vor zehn Jahren. Trotz der immer noch tiefen Zinsen ist der Traum vom Eigenheim nicht mehr so leicht zu realisieren.