Voluntourismus statt All Inclusive
Schweizer opfern Ferien für Strassenkinder

Jolanda Krebs (47) opfert ihre Ferien für Freiwilligenarbeit mit Strassenkindern. Projekte dieser Art sind beliebt. Doch Fachleute ziehen den Nutzen in Zweifel.
Publiziert: 28.09.2019 um 23:08 Uhr
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Aktualisiert: 29.09.2019 um 19:18 Uhr
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Die meisten Freiwilligen setzen sich für Projekte mit Kindern ein ...
Foto: xy
Rachel Hämmerli

Spiele mit Strassenkindern, «deiner Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt» – mit diesem Slogan wirbt der britische Reiseanbieter Projects Abroad für Projekte mit Kindern im Ausland. Jolanda Krebs sammelte in ihrem Bekanntenkreis übrige Knöpfe und Wolle als Bastelmaterial. Damit will die Personalberaterin aus Lyss BE nächsten Sommer für zwei Wochen in den Senegal reisen. Dort will sie mit Strassenkindern basteln, sie unterrichten, sie bekochen – sprich: Sie will ihnen helfen.

Jolanda Krebs betreut als Personalberaterin auch Migranten aus ­Afrika. Diese bestätigten sie in ihrer Befürchtung: «Von der Schweiz aus kann ich nicht viel bewegen.» Deshalb wolle sie ihre zweiwöchigen Ferien für etwas Sinnvolles nutzen.

Keine Ausbildung in Kinderbetreuung

Der neue Anspruch an sinnvolles Reisen hat einen Namen – Voluntourismus. «In den letzten Jahren entstand ein Boom von Freiwilligen-arbeit im Ausland», sagt Christine Plüss, Geschäftsführerin der Organisation Fair unterwegs – Arbeitskreis Tourismus & Entwicklung (akte) mit Sitz in Basel. Ihre Organisation hat an einer Studie über Voluntourismus mitgearbeitet, die unter anderem auch von Brot für die Welt finanziert wurde. In Deutschland fliegen nach Schätzungen von Branchenkennern bis zu 25'000 Freiwillige für kurzzeitige Hilfsprojekte ins Ausland, Tendenz steigend. «Die Situation in der Schweiz dürfte ähnlich sein», schätzt Plüss.

Jolanda Krebs hat selbst einen Sohn grossgezogen, entsprechend berührt es sie, «wenn ich sehe, dass Kinder auf der Strasse betteln müssen». Sie hat zwar keine Ausbildung in professioneller Kinderbetreuung, aber sie ist überzeugt: «Bereits wenn ich den Kindern Zuneigung schenke, ist ihnen geholfen.» Der Koffer ist schon fast gepackt mit ausgemusterten Kinderkleidern ihres Sohnes – vor allem aber bringt Jolanda Krebs Tatendrang mit in den Senegal. Sie ist hoch motiviert, studiert jeden Tag an Bastelideen oder dem Geschenk für die Gastfamilie. Sie ist überzeugt davon, dass sie Gutes tut.

Der Freiwilligentrip kostet 1800 Franken 

Die gefragtesten Freiwilligenprojekte sind diejenigen mit Kindern. «Leider», sagt Plüss. Fachleute wie sie sehen kurzzeitige Einsätze mit Strassenkindern kritisch. Sie seien «belastend». Die Kinder hätten es «oft sonst schon schwer; wenn dann noch ständig die Bezugsperson wechselt, werden sie noch mehr traumatisiert». Ausserdem bestehe die Gefahr von sexuellem Missbrauch, sagt Plüss, denn die Reiseanbieter würden nur selten ein polizeiliches Führungszeugnis anfordern.

Auf den Werbebildern von Projects Abroad sieht man nur glückliche Kinder in den Armen der Fremden. Auch viele Freiwillige selbst inszenieren sich in ihren eigenen Social-Media-Auftritten mit lachenden Kindern. Für Christine Plüss von Fair unterwegs ist dies eine fragwürdige Entwicklung: «Bei uns sieht der Kinderschutz vor, dass ohne Einwilligung der Eltern keine Kinderfotos gemacht und verbreitet werden dürfen.» Da stelle sich die Frage, ob das in Entwicklungsländern nicht auch gelten sollte.

Jolanda Krebs zahlt für ihre Hilfe 1800 Franken an Projects Abroad. Der Freiwilligentrip kostet also so viel wie normale Ferien. Dabei würde ein nachhaltig geplanter, herkömmlicher Urlaub den Einheimischen in den Reiseländern oft genauso viel helfen, behauptet Expertin Christine Plüss. «Vorausgesetzt, die Feriengäste geben ihr Geld im Ort aus, geniessen lokale Spezialitäten oder übernachten bei einer Gastfamilie.»

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