Volkswagen-Chef Herbert Diess über Dieselautos, Elektromobilität und den US-Präsidenten
«Wir setzen voll auf den E-Antrieb»

Er ist Chef von 650'000 Angestellten, muss den Dieselskandal seiner Vorgänger bewältigen und gleichzeitig den grössten Autobauer der Welt in die E-Zukunft führen. Wie er alles unter einen Hut bringt, verrät Herbert Diess im Interview.
Publiziert: 10.03.2019 um 12:54 Uhr
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Aktualisiert: 11.03.2019 um 07:56 Uhr
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Herbert Diess (l.) stellt sich in Genf den Fragen von Christian Dorer, Chefredaktor der Blick-Gruppe.
Foto: Philippe Rossier
Interview: Christian Dorer

Am Autosalon in Genf treffen wir den Mann mit dem schwierigsten Job in der Branche: Volkswagen-Chef Herbert Diess. Er muss nach dem Dieselskandal wieder Vertrauen aufbauen und gleichzeitig den Konzern in die elektrische Zukunft führen. Das Gespräch aber beginnen wir mit der Vergangenheit: Ich zeige ihm ein Foto meines VW Käfers von 1969.

BLICK: Herr Diess, dieser Käfer ist 50 Jahre alt. Ich komme etwa gleich schnell 
voran wie in einem neuen Auto, das Steuerrad und 
die Schaltung sind noch gleich. Was haben Sie in den letzten 50 Jahren gemacht?
Herbert Diess: Ihr Auto hat noch nicht mal Gurte, geschweige denn Airbags! Die grösste Innovation gelang bei der Sicherheit: Früher gab es bei viel weniger Verkehr etwa viermal so viele Tote wie heute. Und auch die Emissionen gingen drastisch zurück: Ihr Käfer stösst etwa so viel aus wie 50 oder 100 moderne Autos.

Sie machen mir ein schlechtes Gewissen.
Das will ich auch (lacht).

Was wird sich in den kommenden 50 Jahren verändern?
Sicherheit und Umweltschutz bleiben die wichtigsten Felder. Das Auto wird dank CO2-freier Elektrizität emissionsfrei. Kameras und Sensoren, verbunden mit neuer Software, machen das Auto sehr sicher. Es wird wissen, wo ein Parkplatz frei ist, wird Stau antizipieren, damit man ihn umfahren kann. Kurz: Das Auto wird im Vergleich zu heute sehr viel intelligenter.

Werde ich in Zukunft noch selber fahren können?
Ja, solange Sie wollen. Das Auto wird Sie dabei mehr und mehr unterstützen. Auf der Autobahn zum Beispiel wird das Auto abschnittsweise die Kontrolle übernehmen können. Bis wir uneingeschränkt vollautonom fahren können, wird es noch ein paar Jahre länger dauern.

Wird es eines Tages gar keine Verkehrstoten mehr geben?
Möglicherweise schon. Die Zahlen werden jedenfalls drastisch zurückgehen, da die Fahrzeuge untereinander kommunizieren und sich über Gefahren informieren.

Wie wird das Auto der 
Zukunft aussehen?
Viele sagen, dass wir alle in gleichartigen, grauen Büchsen sitzen, die autonom fahren. Ich glaube nicht daran, weil das Auto viel mehr ist als ein Transportmittel. Sie fahren Ihren Käfer nicht, weil sie günstig von A nach B kommen wollen, sondern weil Sie damit etwas aus-drücken. Das Bedürfnis, sich über ein Auto zu differenzieren, wird auch in Zukunft bleiben.

Sie sind Chef des grössten Autobauers der Welt. Wie führt man einen Konzern mit 650'000 Mitarbeitenden?
VW ist einzigartig, weil es ein sehr komplexes Unternehmen mit zwölf Marken ist und vom Motorrad bis zum Supersportwagen alles anbietet. Aber ich führe ja nicht direkt 650'000 Mitarbeiter, sondern im Kern 50 bis 100 Führungskräfte, mit denen ich in einem sehr ­engen Dialog stehe. Vom Führungsanspruch her ist 
es nicht viel anders als in ­einem kleineren Unternehmen.

Wie haben Sie es an die Spitze geschafft?
Ich war Werk-, Einkaufs- und Entwicklungsleiter sowie Produktionschef und habe eine Vertriebsorganisation geführt. Ich war in der Auto-Zulieferindustrie und danach während fast zwanzig Jahren bei einem Premiumhersteller. Ich habe also über dreissig Jahre Zeit gehabt, viel Erfahrung zu sammeln. Das ist eine gute Vorbereitung für Volkswagen.

Sie sind erst nach dem Dieselskandal zu VW gestossen. Können Sie nun endlich schonungslos 
aufräumen?
Es wird häufig unterschätzt, dass bereits schonungslos aufgeräumt wurde. Von den Vorständen, die damals in der Verantwortung waren, ist keiner mehr da. Ungefähr 60 bis 70 Führungskräfte haben das Unternehmen verlassen, und die Prozesse sind neu geordnet. Da ist viel passiert.

Vieles liegt bis heute im Dunkeln. Wird man eines Tages erfahren, wer wann was gewusst hat, wer was angeordnet hat?
Das ist mittlerweile sehr gut analysiert. Vieles liegt bei den Gerichten, weil die Verfahren noch hängig sind. Ich gehe davon aus, dass wir schon viel geschafft haben.

Wie stark schadet der Skandal heute noch?
Er schadet noch immer sehr, da wir viel Vertrauen verloren haben. Vor allem die Marke VW, aber auch Audi leiden stark. Mit grossen Anstrengungen und Nachbesserungen an den Fahrzeugen ist es uns gelungen, die Kunden zufriedenzustellen, unsere Marktposition in etwa zu halten und auch wieder Vertrauen aufzubauen.

Sie haben die Politik stark kritisiert, weil sie Dieselfahrverbote in deutschen Innenstädten verordnet hat. Sind Sie nicht selber schuld, dass es so weit gekommen ist?
Eine solche Interpretation ginge mir zu weit. Die fraglichen Einfahrverbote haben vielfache Ursachen, diese liegen in erster Linie an den EU-Richtlinien und werden immer noch sehr kontrovers diskutiert. Natürlich haben wir die emotionale Debatte mit unserem Dieselbetrug mit angestossen. Aber wir sind nicht für die Immis­sionsschutzgesetzgebung verantwortlich. Selbst ohne die Softwarenachbesserungen, die wir nun vorgenommen haben, gehörten unsere Autos bei den Stickoxid­emissionen zu den besten überhaupt. Wir werden zu Unrecht für die Dieselfahrverbote verantwortlich gemacht.

Herbert Diess persönlich

Volkswagen-Chef Herbert Diess (60) führt den grössten Autokonzern der Welt (230 Milliarden Euro Umsatz, 10,9 Millionen Fahrzeuge pro Jahr, 650000 Mitarbeiter, 123 Fabriken). Der Österreicher Diess studierte Fahrzeugtechnik und Maschinenbau in München (D), arbeitete bei Bosch und dann fast 20 Jahre lang bei BMW, u. a. als Entwicklungschef. 2015 wechselte er zu VW und wurde 2018 Vorsitzender des Vorstands der Volkswagen AG. Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. 

Volkswagen-Chef Herbert Diess (60) führt den grössten Autokonzern der Welt (230 Milliarden Euro Umsatz, 10,9 Millionen Fahrzeuge pro Jahr, 650000 Mitarbeiter, 123 Fabriken). Der Österreicher Diess studierte Fahrzeugtechnik und Maschinenbau in München (D), arbeitete bei Bosch und dann fast 20 Jahre lang bei BMW, u. a. als Entwicklungschef. 2015 wechselte er zu VW und wurde 2018 Vorsitzender des Vorstands der Volkswagen AG. Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. 

Also ist es einfach Populismus der Regierungen?
Die Diskussion wird zumindest vielfach unsachlich geführt, in den vergangenen Monaten ist sie wieder sehr viel rationaler geworden. Am Anfang standen wir in der Kritik. Mittlerweile fragt man, ob die Messeinrichtungen richtig positioniert sind oder Grenzwerte sinnvoll abgeleitet werden. Die Bürger setzen sich zur Wehr gegen eine relativ willkürliche Verordnung.

Viele Leute wollen aus Imagegründen keinen 
Diesel mehr kaufen. Wird sich das legen?
Es hat sich schon gelegt. Die Dieselanteile gehen wieder nach oben. Für grössere Fahrzeuge und für solche mit hohen Jahreskilometerleistungen bleibt der Diesel erste Wahl. Er ist beim CO2 mit Abstand vorne, selbst gegenüber Elektrofahrzeugen mit einer sehr grossen Batterie. Und er wird mit Euro 6D und perspektivisch mit Euro 7 extrem sauber.

US-Präsident Trump hat zum Handelskrieg gegen die deutschen Autobauer aufgerufen. Was tun Sie?
Die angedrohten Importzölle von 25 Prozent sind eine Bedrohung insbesondere für unsere Premiummarken Porsche und Audi. Wir versuchen, mit den politischen Organisationen diesseits und jenseits des Atlantiks zu verhandeln. Wir haben bereits weitere Investitionen in den USA beschlossen und werden unsere Kapazitäten dort erhöhen. Das ist sinnvoll für uns, weil in Amerika so oder so unser grösstes Wachstumspotenzial liegt.

Dann hat Präsident Trump sein Ziel erreicht!
Ja, aber es macht auch Sinn. Und er hat ein berechtigtes Anliegen: In den USA gibt es Importzölle von 2,5 Prozent, in Europa zehn Prozent. Aus meiner Sicht muss man die europäische Automobilindustrie nicht mit einem solchen Importzoll schützen.

Bis 2025 investieren Sie 34 Milliarden Euro in Elektromobilität. Was planen Sie?
Wir setzen voll auf den E-Antrieb, weil er die beste Lösung für die Umwelt ist. Wir haben uns den Pariser Klimazielen verpflichtet und werden unsere Flotte Schritt für Schritt auf CO2-neutrale Modelle umstellen. Darüber hinaus haben wir als erster Automobilhersteller der Welt die Entwicklung von Hard- und Software getrennt, da Letztere viel kürzere Entwicklungszyklen hat. Autos funktionieren künftig wie Smartphones. Da­rauf müssen wir uns bei der Entwicklung einstellen.

Ist Ihr Investment in Elektroautos eine Folge des Dieselskandals?
Die Dieselaffäre hat den Wandel sicherlich beschleunigt. Was uns aber leitet, ist die Klimadiskussion. Wir alle tun gut da­ran, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Dazu muss die Autoindustrie bis 2050 CO2-neu­tral sein. Ich glaube, das ist möglich.

In der Schweiz sind derzeit nur drei Prozent der Neuzulassungen Elektroautos. Warum soll es plötzlich schnell gehen?
2019 passiert schon sehr viel: Wir kommen mit dem Audi E-Tron, der gerade die ersten Kundenauslieferungen hat. Dabei handelt es sich um ein Premiumfahrzeug, das auf Augenhöhe mit den Tesla dieser Welt fährt. Später im Jahr kommt der Porsche Taycan, ein extrem sportliches Elektroauto. Auch dafür besteht grosses Interesse. Man kann bereits heute sehen, dass der Premiumbereich funktionieren wird.

Und die Mittelklasse?
Die Frage ist tatsächlich, ob es uns gelingt, Elektromobiliät für die breite Masse zugänglich zu machen. Wir kommen dazu im nächsten Jahr mit dem VW ID, ein Fahrzeug in Golf-Grösse mit ausreichend Reichweite und Einstiegspreisen unter 30'000 Euro. Damit wird die Elektromobilität massenfähig, und es wird schwierig, sich dagegen zu entscheiden. Denn das Elektroauto hat den Vorteil, dass es gegenüber dem Verbrenner nur etwa die halben Betriebskosten verursacht.

Wann werden die Preise richtig fallen?
Bis die Herstellungskosten gleich hoch wie bei einem Verbrennungsmotor sind, wird es noch ein paar Jahre dauern, weil die Batte­rien ein grosser Kostenblock bleiben werden.

Woher soll der zusätzliche Strom für die 
Elektroautos kommen?
Strom hat es genug. Man fährt ein Auto durchschnittlich eine Stunde am Tag, es kann also in den übrigen 23 Stunden so geladen werden, dass das Netz gleichmässiger ausgelastet wird. Entscheidend ist, wie der Strom hergestellt wird: Elektromobilität macht nur Sinn, wenn die Primärenergie CO2-frei hergestellt wird, ansonsten verschiebt man nur die CO2-Emissionen vom Auto in die Kraftwerke. In Frankreich, Norwegen oder der Schweiz macht Elektromobilität bereits heute Sinn, aber in Polen zum Beispiel müssten zuerst die Kohlekraftwerke ersetzt werden.

Wie offen sind die Schweizer für 
Elektroautos?
Die Schweizer Bürger erlauben sich eine eigene Meinung und hängen nicht unbedingt an Traditionen. Das macht die Schweiz zu einem Pionierland für Elektromobilität. Ihren Käfer könnten Sie übrigens auch elektrifizieren. Danach fährt er viel besser und ist endlich emissionsfrei. Ich kann es Ihnen nur empfehlen, denken Sie ans Klima!

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