Verkaufspersonal begehrt auf
«Ich fühle mich wie ein Sklave»

Sie sind die Opfer der Krise im Schweizer Detailhandel: Für Verkäuferinnen und Verkäufer sind 12-Stunden-Tage, immer neue Sparmassnahmen und üble Beleidigungen an der Tagesordnung. Nachdem zwei Verkäuferinnen ihre Situation schilderten, melden sich unzählige weitere.
Publiziert: 27.01.2020 um 14:36 Uhr
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Aktualisiert: 29.01.2020 um 12:09 Uhr
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Verkäuferinnen und Verkäufer im Schweizer Detailhandel sagen, dass sie über schlechte Arbeitsbedingungen und Belästigungen schweigen, weil sie um ihren Job fürchten.
Foto: imago images/photothek
Claudia Gnehm

«Wir Verkäuferinnen und Verkäufer sind Menschen zweiter Klasse und werden von einem grossen Teil der Gesellschaft nicht respektiert», schreibt Marco S.*. Der Bericht des SonntagsBlicks über Belästigungen, Stress und Lohndiskriminierung von zwei Verkäuferinnen habe ihn tief berührt. Er arbeite seit zehn Jahren im Lebensmitteldetailhandel – zu einem Minimallohn. Er würde aber keine Minute länger dort arbeiten, fände er einen anderen Job.

Kundinnen und Kunden würden ihm das Geld hinwerfen, nicht grüssen oder gar befehlen, die Produkte in ihre Tasche zu legen. «Ich fühle mich dann gedemütigt und hoffnungslos wie ein Sklave!», sagt er weiter.

Mehr Leistung bei weniger Entlöhnung

Die Öffnungszeiten werden immer länger, und die Verkäuferinnen müssten immer mehr leisten ohne Abgeltung, sagt Gabriela N.*. Sie arbeitet seit 15 Jahren bei der Migros, leitet ein Team von 24 Verkäuferinnen.

Sie arbeite drei Mal die Woche über 12 Stunden am Tag und oft mehr als 41 Stunden die Woche. «Ich habe kein Privatleben mehr, weil ich fast nur noch arbeite», führt sie aus. Im Frühling werde sogar die Essensentschädigung für Arbeit bis 22 Uhr gestrichen. Ihr fehlten dann rund 200 Franken im Monat.

Es sei nicht in Ordnung, wie Migros mit den Verkäuferinnen umgehe. Zwar erhöhte die Migros die Mindestlöhne auf 4000 Franken. Doch dann müssten sie die Löhne der langjährigen Mitarbeiter ebenfalls anpassen. Sie verdiene trotz Verantwortungsposition nur 4800 Franken im Monat. Auch für sie sind Beleidigungen der Kunden alltäglich. «Leider spricht niemand offen darüber – aus Angst um den Job», bedauert Gabriela N.

Die Arbeitsgesetze im Detailhandel würden nicht eingehalten, schreibt Daniele K.*. «Ich habe 13-Stunden-Arbeitstage und regelmässig nur acht Stunden Ruhezeit», führt er aus. Die Verkaufsleiter begrüssten das Personal nicht mehr, setzten ältere Mitarbeiter unter Druck und schieben sie ab. Er sei seit 25 Jahren in der Branche tätig. Weiter: «Es ist nicht mehr auszuhalten für uns, und alle schauen zu.»

Sexuelle Belästigung an der Tagesordnung

Die 23-jährige Verkäuferin Sina L.* berichtete dem SonntagsBlick, dass jeder dritte Kunde respektlos sei. Auch mit sexuellen Belästigungen sei sie konfrontiert. Verkäuferin Corina M.* wehrt sich jeweils für ihre asiatisch aussehende Kollegin an der Kasse, wie sie BLICK schreibt. «Ich musste einen älteren, weissen Herren zurechtweisen, als er die Kollegin vehement sexuell beleidigte», sagt sie. «Der war doch ziemlich erstaunt, dass ich – wörtlich – «dumme Geiss» mich da einfach in etwas einmische, obwohl mich das nichts angehe», ergänzt sie.

Sie ertrage solche plumpen Anmachen nicht und würde sich jederzeit wieder einmischen.

Die ehemalige Kioskverkäuferin Nadja A.* berichtete dem SonntagsBlick Ähnliches. «Wir sind eine Klassengesellschaft», sagt sie. «Und als Kioskfrau bin ich ein Mensch zweiter Klasse.»

Die Detailhändler Migros, Coop und Valora wiesen die erhobenen Vorwürfe zurück. Die ­Migros bezeichnete sich selbst als sehr attraktive Arbeitgeberin: «Bei uns herrscht Lohngleichheit und viele Anstellungsbedingungen gehen über das gesetzliche Minimum hinaus. Bei Belästigung herrscht Nulltoleranz.»

*Namen geändert und der Redaktion bekannt

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