Urs Hölzle war einer der ersten Mitarbeiter von Google
«Ich verursachte mal einen Ausfall»

Das Urgestein von Google über das Rennen im Bereich KI, warum Schweizer Banken nicht mehr Vorreiter sind und weshalb er nicht mehr Manager ist.
Publiziert: 13.07.2024 um 17:00 Uhr
War einer der ersten Angestellten bei Google: Der Schweizer Urs Hölzle.
Foto: Jos Schmid
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Tina Fischer
Handelszeitung

Er war einer der ersten Mitarbeiter von Google. Heute ist Urs Hölzle einer von 180’000 Googlern. Oder eben ein Zoogler, wenn er am Standort Zürich arbeitet. Hölzle verbrachte einen Grossteil seines Lebens im Silicon Valley und verlegte vor wenigen Jahren seinen Wohnsitz nach Neuseeland. Seine Wurzeln trägt er aber noch heute zur Schau: rote Brille, rotes Uhrenarmband, rote Socken.

Hölzle hat sich im vergangenen Jahr aus dem Management von Google verabschiedet und widmet sich als Google Fellow wieder technischen Herausforderungen. In Zürich trifft er die «Handelszeitung» am Startup-Anlass «The Founders Story». Hier spricht der gebürtige Basler in einwandfreiem Schweizerdeutsch darüber, dass Schweizer Banken ihren Vorsprung in der Technologie einbüssten, wo die Schwierigkeiten beim Wachstum eines Startups liegen, wie er zur Fehlerkultur steht, inwiefern generative KI nur ein Hype ist und wo die Grossfirma Google noch heute den Startup-Gedanken pflegt.

Herr Hölzle, Sie sind ein Urgestein bei Google, Ihre zweite Heimat ist das Silicon Valley. Wie brachten Sie die Amerikaner dazu, Ihren Namen Urs Hölzle korrekt auszusprechen?
Hölzle ist hoffnungslos, ich habe mich auf meinen Vornamen beschränkt. Als Erklärung verweise ich auf das amerikanische Bier Coors und dass man meinen Namen wie dieses Bier, einfach ohne C, aussprechen soll. Und eben nicht wie in Curse – der Fluch. Das funktioniert ganz gut.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals in der «Handelszeitung» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.handelszeitung.ch.

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Sie waren einer der ersten Angestellten bei Google, waren Sie jetzt die Nummer sieben, acht oder elf?Zwischen sieben und elf. An meinem Interview-Tag haben zwei weitere angefangen, das wusste ich aber damals nicht. Die Nummer acht hat sich mittlerweile etabliert.

Und jetzt sind Sie Google Fellow. Was ist das?
Ich habe fast 25 Jahre lang Management gemacht, am Anfang eher widerwillig. Nun, nach dieser langen Zeit, habe ich eine technische Rolle vermisst. Als Google Fellow manage ich jetzt nicht mehr, sondern beschäftige mich mit technischen Problemen in einem bestimmten Bereich. Für mich ist das die Infrastruktur.

Stichwort Infrastruktur: Ein Projekt von Google arbeitet mit der Bank Radicant, die die Google-Infrastruktur als Cloud nutzt. Kein Glanzbeispiel, wenn man sich die Schlagzeilen anschaut. Die Bank scheint nicht so richtig in Fahrt zu kommen …
Wir sind nur der Anbieter der Infrastruktur und dieses Angebot funktioniert eigentlich sehr gut.

Welche Banken setzen auf Ihr Cloud-Angebot?
In den USA praktisch jede, von J. P. Morgan bis Goldman Sachs. In Spanien die BBVA, in Deutschland die Deutsche Bank oder die Commerzbank, HSBC im UK.

Und in Zürich?
So viele Grossbanken gibt es hier nicht mehr …

Darum frage ich.
Ich kann Ihnen keinen Namen nennen. Normalerweise sind Banken Vorreiter bei der Technologie. Das ist sicher in den USA so. In der Schweiz jedoch sind die Banken keine Technologievorreiter mehr, obwohl sie es historisch gesehen waren. Als es 1965 erste Mainframes gab, waren die Banken unter den Ersten, die das nutzten. Wenn Banken heute nicht mehr «First Users», sondern «Last Users» sind, ist das problematisch. Immerhin ist das global gesehen nicht der Fall.

Die Cloud im Bankengeschäft scheint also noch immer nicht ganz anzukommen. Dabei sagten Sie vor sieben Jahren, dass Google mit der Cloud mehr Geld verdienen wird als mit personalisierter Werbung.
Das habe ich einmal unvorsichtigerweise gesagt. Ich glaube, das stimmt immer noch, aber ich habe mich in der Zeit verschätzt. Unter anderem auch, weil die Werbung sehr stark gewachsen ist.

Urs Hölzle in Zürich: Der ETH-Absolvent ist der Götti des Standorts in der Schweiz.
Foto: Jos Schmid

Was heisst das in Zahlen?
Typische Umsatzzahlen bewegen sich in der Grössenordnung von 2000 Milliarden im IT-Markt und rund 300 Milliarden im engeren Online-Werbemarkt. Das heisst, dass im Prinzip nur 30 Prozent des IT-Marktes bereits mehr als 100 Prozent des Werbemarkts ausmachen. Haben wir also die Chance, diese 30 Prozent zu erreichen, dann versuchen wir das. Wir wachsen stark, schneller als die Konkurrenz. Aber ich mache keine finanziellen Prognosen.

Auch der Bereich künstliche Intelligenz wächst derzeit stark. Ist die KI effektiv eine solch grosse Revolution, die alles verändern wird?
Ja und nein. Nein, wenn man sich vorstellt, dass KI alle Jobs ersetzt. Ja, wenn man KI langfristig betrachtet.

Ihre Aussage würden nicht alle unterschreiben, gerade mit Blick auf die Kreativbranche, hier sind Jobs verschwunden. KI beschäftigt seit zwei Jahren alle.
Für viele Leute sieht es momentan so aus, als ob KI erst vor zwei Jahren entstanden wäre. In Wirklichkeit arbeiten wir bei Google seit 10 bis 15 Jahren daran. Ein erstes Beispiel war die maschinelle Übersetzung. Seither hat sich die Sprachgenerierung und das Sprachverständnis stark verbessert, was die KI näher an den Menschen heranbrachte. Plötzlich ist KI fassbar.

Und trotzdem: Der Erfolg von Open AI kam mit einem Paukenschlag und überflügelte alles. Google musste reagieren, als Chat GPT dermassen einschlug.
Wir integrierten KI bereits 2017 in unsere Suchfunktion. Das hat nur niemanden interessiert, weil sie nicht so direkt sichtbar war. Für die Menschen scheint es jetzt eine grosse Veränderung zu sein, weil ihre Eingaben verstanden und verarbeitet werden. Aber vielen fehlt das Verständnis, dass die Intelligenz noch nicht wirklich da ist. Sie interpretieren, dass, was so schreiben kann, intelligent sein muss. Dabei ist kein rationales Denken inbegriffen. Leute anthropomorphisieren die KI.

Die Leute vermenschlichen die KI, dabei sollten sie sie als Werkzeug sehen?
Genau. Mit KI ist vieles möglich, gerade im künstlerischen Bereich. Sie kann Sachen zusammenfassen oder 100 Versionen eines Kunstwerks kreieren statt nur deren zwei. Es ist wie damals mit der Erfindung des Taschenrechners. Plötzlich wurde Mathematik für alle zugänglich, aber sie verschwand nicht. Was sich änderte, war der Umgang mit der Arithmetik.

Microsoft ist zu einem grossen Teil in Open AI investiert und erfreut sich seit dem KI-Trend über neuerwachtes Interesse. Denn eigentlich hatte Google Microsoft an vielen Orten abgehängt; Microsofts Browser verschwand, Bing setzte sich nie als Suchmaschine durch. Jetzt aber performt Microsoft auf der Hauptbühne. Verkam Google zum Zuschauer?
Nein. Das ist Konkurrenz. Es gibt Maschinen, die erfolgreich und nicht von Google sind. Konkurrenz hat es immer gegeben, im Advertising-Bereich ist es beispielsweise Amazon. Sie erreichen mittlerweile rund 40 Milliarden Dollar Umsatz für die Werbung. Nun geht es darum, diese Large Language Models (LLM), worauf auch Chat GPT basiert, zu revolutionieren.

Large Language Models finden sich jetzt aber überall. Wann folgt der finale Wechsel bei der Google-Suche?
Die Suche selbst, das ist noch ein gewisses Forschungsproblem. Man verspricht dem User, dass er jede Frage stellen kann, und bei der Antwort will ich eine sehr hohe Genauigkeit. Das ist ein Research-Problem, bei dem noch niemand genau weiss, ob es lösbar ist.

Und trotzdem hat Microsoft bereits LLM implementiert und Ihnen so den Rang abgelaufen …
Es war etwas naiv, ein LLM so früh in die Suche integrieren zu wollen. Es war klar, dass das nicht reibungslos funktionieren wird. Wer sich mit LLMs beschäftigt, weiss, dass es das Schwierigste ist, was man machen kann. Es gibt Startups, die versuchen, die Suche neu zu definieren. Das ist Technologie und falls sie etwas Besseres finden, dann ist das genauso wie damals, als Google besser war als andere. Eine Garantie auf Erfolg gibt es nie. Hätten Sie beispielsweise Larry und Sergey vor zwanzig Jahren nach ihrer Vision gefragt, hätten Sie als Antwort «Star Trek Computer» erhalten. In der Science-Fiction-Serie sprachen die Akteure damals mit dem Computer in natürlicher Sprache. Für sie war das revolutionär, für uns heute ist es aber ziemlich normal.

Mit Visionen müssen Startups arbeiten. Wenn ich mich umsehe, habe ich das Gefühl, dass im Moment viele Jungfirmen auf einer KI-Startup-Welle reiten. Ist es in, KI zu propagieren?
Absolut, generative KI ist ein totaler Hype.

Viele erhoffen sich dadurch mehr finanzielle Invests. Wer überlebt von all diesen Jungfirmen?
Wenn ich das wüsste. Es ist eine alte Wahrheit, dass von zwanzig Firmen im Venture-Capital-Portfolio eine einzige den Gewinn ausmacht. Sie wissen aber halt leider nicht, welche.

Google fördert mit dem Startup-Programm seit 2021 mehr als 500 Schweizer Jungfirmen. Welche haben Erfolg?
Im Moment reiten viele auf der LLM-Welle. Man nimmt ein Large Language Model, baut darauf eine simple Applikation und vermarktet diese. Ich glaube, das hält nicht lange. Generieren aber Startups eine Applikation, die Mehrwert bietet – sei das in der Medizin, im Journalismus oder im Recht –, dann hat das Potenzial. Startups müssen sich in dieser Vertikale bewegen und nach Lösungen suchen.

Noch einmal zu den Finanzierungen: Es scheint, dass das Portemonnaie nicht mehr so locker sitzt wie auch schon. Wie kriegen junge Firmen heute Geld?
Im Silicon Valley hat jemand gesagt, Ideen seien billig. Deshalb investieren Leute auch nicht in die Idee, sondern in das Team. Ob sich ein Erfolg einstellt oder nicht, hängt von der Ausführung ab. Man kauft das Team, denn vielleicht ist auch die Idee zu Beginn nicht die, die am Ende effektiv funktioniert. Hat man aber ein richtiges Team, das funktioniert, kann auch die Idee oder eine Anpassung davon funktionieren. Dass aber kein Geld vorhanden ist, das sehe ich nicht so.

Sondern?
In der Schweiz wird mehr investiert als je zuvor. Wir sind mit Google seit zwanzig Jahren hier und so wie ich das sehe, gab es vor zwanzig Jahren kaum Startups. Heute haben wir nur schon von Ex-Googlern 115 gegründete Startups, die über 1700 Leute beschäftigen. Also um Ihre Frage zu beantworten: Die Zeiten sind vielleicht schwierig in diesem einen Jahr, aber sie sind eigentlich auch richtig gut im Vergleich zu früher.

Das Urgestein am Präsentieren: Während seiner Laufbahn lehrte Urs Hölzle an verschiedenen Universitäten.
Foto: Gian Marco Castelberg

Das heisst, dass auch Google am Standort Zürich festhalten will? Auch wenn Sie, als Götti des Standorts, mittlerweile in Neuseeland residieren?
Wenn ich mich an Zürich im Jahr 2004 erinnere, dann hat sich vieles verändert. Damals gab es hier Maschinenfabriken, Banken und Versicherungen. Heute hat man sich daran gewöhnt, dass es alle möglichen Startups gibt und eine Gründergemeinschaft besteht. Es freut mich enorm, dass diese Mentalität auch in Europa funktioniert, und nicht nur in den USA.

Sie ziehen sich aus dem Management zurück in eine technische Funktion. Dazu der Umzug nach Neuseeland, der Wegzug vom Silicon Valley. Brauchten Sie einen Szenenwechsel?
Der Umzug nach Neuseeland erfolgte schon früher. Aber natürlich, ich wollte etwas anderes. Das kam aber nicht von heute auf morgen. Ich verantwortete einen grossen Bereich, meine Anzahl Mitarbeitenden variierte zwischen 10’000 und 20’000. Die Abgabe der Verantwortung war schon länger in Planung. Doch damit ich den Schritt effektiv machen konnte, bedingte das eine Konstellation, bei der ich dann auch mit gutem Gewissen gehen konnte. Dieser Moment kam vergangenes Jahr im Frühling.

Sie führten ein Riesenteam. Wie kommunizierten Sie da mit all den Leuten?
Schriftlich.

Mit 20’000 Ingenieuren und Programmiererinnen?
Ich habe einmal einen Talk über «Writing is a secret skill for engineers» (Schreiben ist ein Secret Skill von Ingenieuren) gehalten. Wenn man in einem kleinen Team arbeitet, kann man mündlich und informell Dinge machen. Aber je grösser das Team wird, desto weniger beständig ist das Wort. Umso wichtiger wird, dass man klar kommunizieren kann, und zwar nicht nur im Moment, sondern auch, um einen Monat oder ein Jahr später jemandem zu helfen, der neu ist.

Von 10 Personen zu 180’000 Mitarbeitenden. Wie lernt ein Startup mit diesem Wachstum umzugehen?Die grösste Schwierigkeit ist der Schritt von 10 auf 100 Mitarbeitende. Bei zehn muss ich nicht so überlegt formulieren, weil mich jeder kennt. Ich weiss, wer was wie meint. Bei 100 Mitarbeitenden sitzen sehr wahrscheinlich nicht alle am gleichen Ort, und 50 davon sind relativ neu. Sie kennen mich und die Gesellschaft nicht. In diesem Moment kann es leicht passieren, dass die Kultur auseinanderfällt, denn die Neuen sind in der Mehrheit.

Ist das ein Aspekt, auf den Sie in der Retrospektive mehr Wert legen würden?
Ja, könnte ich zwanzig Jahre zurückgehen, würde ich das mehr betonen. Kommunikation ist wichtiger als Technik. Sogar bei Google.

Sie haben ein Konzept bei Google, das sich «Blameless Post Mortem» nennt. Was verbirgt sich hinter diesem dramatischen Begriff?
Es geht um das Zusammenspiel des Kulturellen und des Funktionellen. Post mortem heisst, dass wir bei Fehlern die Frage stellen, warum man etwas nicht retten konnte und was wir daraus lernen. Die Person, welcher der Fehler unterlaufen ist, schreibt dazu einen Beitrag, was passierte und was man beachten muss, damit das nicht mehr passiert. Das ist eine funktionale Sache, weil man so weitere Fehler verhindern kann. Es ist aber auch eine kulturelle Sache, denn die Leute sollen keine Angst vor dem Fehlermachen haben. Nobody is perfect.

Wie viele Fehler haben Sie als Urs Hölzle offiziell zugegeben?
10’000!

Die kann ich alle im «Blameless Post Mortem» nachlesen?
Aus meinen ersten fünf Jahren finden sich viele. Ich verursachte beispielsweise mal einen Ausfall bei Google, weil ich eine wichtige Datei von Hand editierte, statt ein Skript zu brauchen.

Diese Kultur des Fehlermachens, vor allem aber auch des Scheiterns, scheint eine amerikanische Sache zu sein. Hierzulande ist Scheitern noch immer ein No-Go.
Ja, das stimmt. Dabei gehen Innovation und Misserfolg Hand in Hand. Innovation geht nicht, wenn es immer funktioniert, was wiederum heisst, dass man Fehler machen muss, um gut in Innovation zu sein. Das hat das Silicon Valley bisher besser verstanden.

Finale Frage: Wie motivieren Sie die Leute, innovativ zu bleiben, die Startup-Mentalität zu fördern und an ihre Idee zu glauben?
Als ich Manager war und meine Leute motivieren wollte, sagte ich immer: Das Ziel ist, dass unser Produkt sich in drei Jahren so verändert, dass wir in Zukunft mit betretenem Schweigen auf das heutige Produkt zurückschauen. Ich glaube, wenn wir auf Google von vor zehn Jahren zurückschauen, ist uns das gelungen.

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