Weitere Leichen lägen nicht im Keller, die Probleme seien nun bereinigt. Das sagte Calida-Präsident Felix Sulzberger im April an der Generalversammlung in Luzern. Er musste nervöse Aktionärinnen und Aktionäre beruhigen, die Verluste in zweistelliger Millionenhöhe beklagten. Sie fragten auch, wer die Verantwortung dafür trage, dass Akquisitionen, die im Jahr 2022 noch vielversprechend dargestellt wurden, später zu Abschreibern von fast 70 Millionen Franken führten. Und sie befürchten, dass das noch nicht alles war. Sulzbergers Antwort: «Die Calida Group hat exzellente Marken, bei denen die Mitarbeitenden, die Manager und die weiteren Beteiligten sehr gut und solide gearbeitet haben.»
Doch das Misstrauen der Aktionäre und Aktionärinnen hat Gründe, denn Calida befindet sich seit bald acht Jahren in einem Selbstfindungsprozess: Soll der Onlinehandel ausgebaut werden oder doch mehr das stationäre Geschäft im Premiumsegment? Passt Outdoor-Mode zur Gruppe? Gehören Gartenmöbel ins Portfolio? Wie wichtig ist die Auslandsexpansion? Darüber waren sich Management, Verwaltungsrat und Aktionariat nicht immer einig.
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Der Tenor bei den Anlegern und Anlegerinnen: Calida lässt seit vielen Jahren eine Vision vermissen. «Das hat zu einer nicht zielgerichteten Kapitalallokation mit erfolglosen Akquisitionen geführt», sagt Vontobel-Analystin Jasmine Vogt.
Irem Aydin soll neu die Marke Calida führen
Derweil dreht sich das Personalkarussell beim Schweizer Wäschehersteller wie wild. Gerade wurde eine weitere Personalie vermeldet: Irem Aydin folgt Alexandra Helbling als Markenchefin für die Kernmarke der Gruppe Calida auf den 1. Juli nach. In acht Jahren hatte die Calida-Gruppe drei Finanzchefs sowie drei verschiedene Leiter der Unterwäschemarke Aubade. Man muss die Personen nicht einzeln kennen, um zum Schluss zu kommen, dass es das Unternehmen mit einer hohen Fluktuation zu tun hat.
Auch auf der Topebene herrscht Unruhe. Angefangen hat es mit dem Abgang Sulzbergers als Chef der Calida-Gruppe im Jahr 2016. Er hatte den Wäschehersteller fast 15 Jahre lang geführt, den Umsatz verdreifacht und aus einem Textilproduzenten eine Bekleidungsgruppe gemacht. Calida war stabil unterwegs, im Transformationsprozess hin zu einem der Branchenleader und ein Schweizer Love-Brand für Pyjamas, Unterwäsche und hochwertige Dessousmarken.
Sulzberger hätte nach seinen Dienstjahren im Unternehmen weiter im Verwaltungsrat mitarbeiten sollen. Dies stiess aber auf den Widerstand des Gremiums, welches vor allem Veränderung wollte. Das fanden sogar die Anlegerschützer der Stiftung Ethos nicht gut und hätten Sulzberger im Interesse der Anlegenden gerne im Verwaltungsrat gesehen. Doch Sulzberger schied 2016 komplett aus dem Unternehmen aus.
Veraison rein, Sulzberger raus
In diese Zeit fällt auch der Einstieg der aktivistischen Zürcher Investmentgesellschaft Veraison, die gut 16 Prozent an Calida übernahm. Heute hält die Gesellschaft weniger als 10 Prozent und sucht dem Vernehmen nach einen Käufer für das Aktienpaket. Veraison ist bekannt dafür, KMU über ihre Beteiligungen auf Kostenkontrolle, Rentabilität und Effizienz zu trimmen. Das war bei Calida nicht anders.
Die Herausforderungen im Unternehmen nahmen ihren Lauf. Sulzbergers Nachfolger im Jahr 2016 als CEO war Reiner Pichler. Mit Fanfaren vom Board begrüsst, sollte er Calida ins digitale Zeitalter führen und als flotten Onlinehändler bei den jüngeren Konsumentinnen und Konsumenten positionieren. Er kaufte die E-Commerce-Firma Reich Online Solutions und den von ihr betriebenen Multibrand-Onlineshop Onmyskin, verkaufte die Marken Eider und Oxbow. Ganz nach der neuen Fokusstrategie: mehr Wäsche, weniger Outdoor.
In seine Zeit fiel der Ausbruch der Corona-Pandemie. Pichler musste die Calida-Gruppe durch die erste Zeit klammer Lieferketten, Geschäftsschliessungen und eines massiven Drucks auf den Umsatz führen. Kurioserweise gehörte das Unternehmen auch zu den Gewinnern der Pandemie: Weil die Konsumentinnen und Konsumenten gezwungen waren, mehr Zeit in den eigenen vier Wänden zu verbringen, konnten die Onlineverkäufe von Wäsche, Pyjamas und Gartenmöbeln den einen oder anderen Rückgang wettmachen.
Von Loungewear bis Gartenmöbel
Calida verfügt über drei Marken beziehungsweise Produktkategorien: Luxuswäsche wie jene der Marke Aubade, Calida mit Alltagswäsche und Loungewear sowie Gartenmöbel von Lafuma – Letztere kamen 2013 zusammen mit dem Outdoor-Sortiment von Millet Mountain zu Calida, welches mittlerweile wieder verkauft wurde.
Die Gewinnprognosen unter Pichler hielten dennoch nicht stand, der Kurs der Aktie ging steil nach unten. Pichlers Tage waren gezählt, ein neuer Chef war gefragt. Die Wahl fiel auf CEO Timo Schmidt-Eisenhart, wieder ein neuer.
Schmidt-Eisenharts Strategie ab 2020 unterschied sich nicht wesentlich von der seines Vorgängers. Er versuchte, die steigenden Erwartungen des Grossaktionärs Veraison zu erfüllen, gab seinem Programm für Calida den Namen «Accelerate 2026» und verkaufte die Outdoor-Marke Millet Mountain, welche zur Marke Lafuma unter dem Dach der Calida-Gruppe gehört hatte. Das Gartenmöbelgeschäft von Lafuma, mit wenig Verbindungen zu Lingerie und Unterwäsche, behielt Calida jedoch. Das Geschäft ist ein grosser Umsatzbringer für die Gruppe, hat aber nichts mit Bekleidung zu tun.
Dafür kaufte Schmidt-Eisenhart für eine breitere Basis im Onlinegeschäft das auf Nachhaltigkeit fokussierte Unternehmen Erlich Textil in Deutschland. Er wagte sogar den Sprung über den Teich und kaufte die US-Lingerie- und Premiummarke Cosabella. Beide Zukäufe rentierten aber nicht, wie sie sollten. In der Branche munkelte man gar über eine unsaubere Due Diligence im Zuge der Cosabella-Übernahme. Seit 2020 brachte das Label keine neue Produktlinie mehr heraus; es fehlt an Innovation und der nötigen Produktpipeline.
Mehr Transparenz gegenüber den Investoren, mehr Fokus auf das Kerngeschäft, steigende Gewinne und eine bessere Aktienperformance sowie die Stärkung des Onlinevertriebs: Das waren die Erwartungen an Schmidt-Eisenhart. Doch die Anlegerinnen taten sich schwer, im Business von Calida eine klare Strategie zu erkennen.
Auf und Ab bei Umsatz und Aktienkurs
Immerhin gelangen Eisenhart ein Plus von 23 Prozent beim Umsatz, ansehnliche Gewinne und der Rekordwert je Aktie von 54 Franken. Doch seit Februar 2022 hat sich der Kurs auch unter seiner Führung dramatisch reduziert. Das Auf und Ab im Tagesgeschäft spiegelte sich in der Aktie wider. Und in den Büchern tickten die Zeitbomben, wie sich später herausstellen sollte.
Hinzu kam 2022 ein virulentes Nachfolgeproblem beim wichtigsten Teilhaber: Innerhalb der Familie Kellenberger fand sich niemand, der diese weiterhin im Verwaltungsrat vertreten wollte. Die Kellenbergers suchten einen Käufer für ihren 34-Prozent-Anteil am Unternehmen. Potenziell infrage kamen internationale Bekleidungsriesen bis hin zu Private-Equity-Firmen, die womöglich nicht nur das Paket der Kellenbergers, sondern das ganze Unternehmen haben wollten. Die Zukunft von Calida stand in den Sternen, das Schweizer Traditionslabel auf dem Spiel.
Das Problem wurde jedoch gelöst, indem mit Allan Kellenberger dann doch ein Vertreter der Aktionärsfamilie in den Verwaltungsrat einzog. Der Verkauf des Aktiendrittels ist seither kein Thema mehr. Am Tagesgeschäft, den Abschreibern und der fehlenden Vision änderte das aber nichts.
Der alte CEO kehrt zurück
Ein Aufatmen brachte erst die Rekrutierung eines alten Hasen: Ausgerechnet der frühere Calida-Chef Felix Sulzberger kehrte zurück. Jetzt im Doppelmandat – als Präsident und CEO – drehte er jeden Stein in der Gruppe um, stellte jede Marke und jede Abteilung auf den Prüfstand.
Auch das gut gemeinte Accelerate-Programm von Schmidt-Eisenhart blieb nicht verschont. Sulzberger durchleuchtete Strategie und Performance bis aufs letzte Komma. Das Ziel: «operative Exzellenz». Mit einem ernüchternden Fazit und gravierenden Auswirkungen auf die Organisation: Der Verlustbringer Onmyskin wurde eingestellt, erhebliche Wertminderungen bei der US-Lingeriemarke Cosabella belasten weiterhin die Finanzen der Gruppe, und Erlich Textil wurde nur etwas mehr als ein Jahr nach der Akquisition den Gründern zurückverkauft.
Viele Risiken gibt es bei Calida nicht mehr. Aber die Frage ist, wie stark das Unternehmen noch wachsen kann. Für anorganisches Wachstum, sprich Zukäufe, fehlt das Geld.
Mehr Fokussierung auf das Kerngeschäft dürfte die Gruppe stabilisieren. Dann hätte Sulzberger aber seinen Job gemacht, und seine Doppelrolle wäre obsolet. Ein neuer CEO, der nicht gleichzeitig Präsident ist, wäre im Sinne einer guten Corporate Governance wohl auch bei den Aktionärinnen und Aktionären beliebt. Doch ein Kandidat ist auch nach einem Jahr nicht in Sicht.
Wie es mit Calida weitergehen soll, will Sulzberger erst am 25. Juli verraten, anlässlich der Publikation der Halbjahreszahlen. Davor will er sich nicht äussern, und auch seine neue Calida-Beauftragte und General Managerin Irem Aydin oder Allan Kellenberger wollen das nicht. Die Vision für Calida bleibt nebulös.