Er kann nicht mehr. Mehrere Kollegen sind gegangen. Nun sitzen A. und die anderen Mitarbeiter der Arbeitslosenkassen (ALK) der Unia-Region Biel-Seeland/Solothurn vor wachsenden Pendenzenbergen. Bereits Ende 2013 beantragte die regionale Personalkommission (Peko): «Die Überstunden in der ALK sind massiv zu reduzieren.» Vergebens.
Mehrmals spricht A. seine Vorgesetzten auf die Überbelastung an. Im Juni 2014 fordert er den ALK-Chef per E-Mail auf, «die Arbeitsmenge, die mir zugewiesen wird, zu reduzieren, um einer sich langsam abzeichnenden stressbedingten Erkrankung vorzubeugen».
Sein Hilferuf wird ignoriert. Anfang Juli 2014 wird A. beim psychiatrischen Notfalldienst eingeliefert. Diagnose: Burn-out.
BLICK sind mindestens zwei weitere Fälle von Erschöpfungsdepression in anderen Unia-Regionen bekannt. Hat die Unia, die jede Liberalisierung des Arbeitsgesetzes geisselt und strikte Arbeitszeitkontrollen fordert, ein Problem mit Burn-outs?
Unia-Sprecher Pepo Hofstetter spricht von Einzelfällen. Neue Führungskräfte würden in Bezug auf Gesundheitsschutz ausgebildet.
Davon profitiert A. nicht. Nach viermonatiger Pause nimmt er seine Arbeit bei der Unia zwar wieder auf. Aber er klagt die Gewerkschaft ein.
Jetzt kommt die Unia-Spitze ins Schwitzen. In einem internen E-Mail vom Juni 2016 – es liegt BLICK vor – schlägt der Leiter der Unia-Rechtsabteilung Alarm: «Die Situation ist für uns nicht sehr komfortabel in Anbetracht der relativ gut dokumentierten Arbeitslast bei der ALK, dem Ausbleiben von Massnahmen seitens Unia, die 820 Überstunden in 13 Monaten, der Bericht der Krankenkasse und das (vermutlich damit zusammenhängende) Burn-out.»
Weiter schreibt er, die Gewerkschaft habe «sicherlich ihre Fürsorgepflicht und damit einhergehend die Persönlichkeitsrechte von A. verletzt, indem sie nichts gegen das Anhäufen der Überstunden unternommen hat». Wie nun weiter mit A.? Der Leiter der Rechtsabteilung rät «vehement» davon ab, ihn zu entlassen. «Eine Kündigung wäre missbräuchlich und medial ein gefundenes Fressen.»
Das E-Mail geht auch an Corrado Pardini (51). Der SP-Nationalrat ist in der Unia-Geschäftsleitung für die Region Biel-Seeland/Solothurn zuständig. Er schreibt zurück, A. solle zu seinem Recht kommen. Aber: «Wenn das Vertrauensverhältnis zerrüttet ist, müssen wir uns von A. trennen und A. unbedingt eine Anschlusslösung extern ermöglichen.»
Wollte Pardini das Opfer loswerden? Er habe für A. eine verantwortungsvolle Lösung gesucht, widerspricht Pardini auf Anfrage. Aber: Wie kam es überhaupt zu Hunderten Überstunden in seiner Region?
170-Stunden-Grenze massiv überschritten
«Operativ führe ich die Sektion nicht», verteidigt sich Pardini. Und weiter: Als er von der Situation erfahren habe, habe er für die strikte Einhaltung der Arbeitszeitregelungen gesorgt. «Ich habe sofort, als ich vom Problem erfuhr, gehandelt und schwer sanktioniert. Ich habe bei den Arbeitslosenkassen Biel und Solothurn neue Chefs eingesetzt.»
Fest steht aber: Gehandelt hat Pardini frühestens im Herbst 2014. Die regionale ALK reorganisierte er erst ab 2015. Den regionalen ALK-Chef ersetzte er 2016. Recherchen zeigen, dass die Unia-Spitze schon früher über den Fall Bescheid wusste. Dokumentiert ist, dass der Unia-Personalausschuss im August 2014 die Auszahlung von 320 Überstunden an A. abnickte.
Pikant: Auch Unia-Präsidentin Vania Alleva (47) sitzt in diesem Ausschuss. Sobald das Gremium von den Überstunden erfahren habe, habe es verlangt, dass der für die Region Verantwortliche – also Pardini – Massnahmen ergreife, so Unia-Sprecher Pepo Hofstetter. Der Ausschuss trat also spätestens im August 2014 an Pardini heran.
Damit ist aber klar: «Sofort» handelte Pardini nicht. Die verantwortliche Regio-Leitung ist noch immer im Amt.
A. wird noch bis Ende Juni unter ihr arbeiten. Vor der Schlichtungsbehörde Bern-Mittelland hat er sich letzten September eine Genugtuung von 10’000 Franken erstritten.
Sagen will A. auf Anfrage nichts. BLICK weiss: Er hat eine Vereinbarung unterschrieben, die ihn gegenüber Unia-Mitarbeitern und Medien zu Stillschweigen verpflichtet.
Die Gewerkschaft kommt glimpflich davon. Denn laut Arbeitsgesetz beträgt die maximale Überzeit pro Kalenderjahr 170 Stunden. Im Fall A. dürfte diese Grenze «eindeutig überschritten sein», schreibt der Unia-Chefjurist im E-Mail vom Juni 2016. Diesen Punkt klagte A. aber nicht ein.
Auch zwei von A.s Kollegen schufteten bis zur Illegalität: Sie überschritten die 170-Stunden-Grenze ebenfalls massiv. Der Personalausschuss um Alleva genehmigte auch hier die Auszahlung der Überstunden.
Wie verteidigt die Unia den Bruch des Arbeitsrechts? «Es ist nicht zu rechtfertigen», so Unia-Sprecher Hofstetter.
- Arbeitszeiterfassung
Geht es nach der Unia, müssen Arbeitszeiten exakt erfasst werden. Forderungen nach einer Liberalisierung geisselte Vania Alleva (47) im Sommer 2016 als «Angriff auf das Arbeitsgesetz».
Kurz vorher sagte die Unia-Präsidentin laut einem Sitzungsprotokoll, die Einführung eines einheitlichen elektronischen Instruments zur Arbeitszeiterfassung sähen manche in der Gewerkschaft «skeptisch, da sie eine künftig buchhalterische Handhabung der Arbeitszeiten befürchten».
Die Unia-Region Zürich-Schaffhausen erfasst seit Oktober 2016 die Arbeitszeit – widerwillig. «In der Schweiz gilt seit 1. Januar 2016 die Pflicht, die Arbeitszeit zu erfassen. Dem müssen auch wir nachkommen», hiess es in einem internen E-Mail. Allein, die Arbeitszeiterfassung ist seit 1966 verpflichtend.
- Fristlose Kündigungen
Im März gipfeln Diskussionen in der Unia Aargau über einen Zusammenschluss mit der grössten Unia-Region Nordwestschweiz in einem Eklat: Mehrere Mitarbeiter verlangen eine Aussprache mit ihren Vorgesetzten. Und werden mündlich und fristlos gekündigt.
Erst als Gewerkschafter aus anderen Regionen anreisen, um ihre Solidarität zu demonstrieren und die Stimmung zu besänftigen, widerruft die Regio-Leitung Aargau die Kündigungen.
- Sexuelle Belästigung
Der Leiter der Unia-Region Zürich-Schaffhausen, Roman Burger (40), hatte eine Mitarbeiterin über mehrere Wochen mit SMS sexuell belästigt. Er wurde ermahnt – das ist die geringste aller Sanktionsmöglichkeiten.
Ein Mitglied der Personalkommission (Peko) wurde dagegen im Rahmen der Affäre verwarnt – wegen seines Umgangs mit angeblich schützenswerten Informationen. Die Unia-Peko meuterte und kündigte die Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung. Erst auf Druck linker Kreise und der Medien wurde Burger freigestellt.
- Keine allgemeine Lohnerhöhung
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) forderte fürs Jahr 2017 eine Lohnerhöhung von 1,5 Prozent für alle. Doch Gewerkschaftsmitarbeiter mussten selbst Nullrunden hinnehmen. Weder bei der Unia noch bei der Gewerkschaft Syna gab es eine allgemeine Lohnerhöhung.
- Arbeitszeiterfassung
Geht es nach der Unia, müssen Arbeitszeiten exakt erfasst werden. Forderungen nach einer Liberalisierung geisselte Vania Alleva (47) im Sommer 2016 als «Angriff auf das Arbeitsgesetz».
Kurz vorher sagte die Unia-Präsidentin laut einem Sitzungsprotokoll, die Einführung eines einheitlichen elektronischen Instruments zur Arbeitszeiterfassung sähen manche in der Gewerkschaft «skeptisch, da sie eine künftig buchhalterische Handhabung der Arbeitszeiten befürchten».
Die Unia-Region Zürich-Schaffhausen erfasst seit Oktober 2016 die Arbeitszeit – widerwillig. «In der Schweiz gilt seit 1. Januar 2016 die Pflicht, die Arbeitszeit zu erfassen. Dem müssen auch wir nachkommen», hiess es in einem internen E-Mail. Allein, die Arbeitszeiterfassung ist seit 1966 verpflichtend.
- Fristlose Kündigungen
Im März gipfeln Diskussionen in der Unia Aargau über einen Zusammenschluss mit der grössten Unia-Region Nordwestschweiz in einem Eklat: Mehrere Mitarbeiter verlangen eine Aussprache mit ihren Vorgesetzten. Und werden mündlich und fristlos gekündigt.
Erst als Gewerkschafter aus anderen Regionen anreisen, um ihre Solidarität zu demonstrieren und die Stimmung zu besänftigen, widerruft die Regio-Leitung Aargau die Kündigungen.
- Sexuelle Belästigung
Der Leiter der Unia-Region Zürich-Schaffhausen, Roman Burger (40), hatte eine Mitarbeiterin über mehrere Wochen mit SMS sexuell belästigt. Er wurde ermahnt – das ist die geringste aller Sanktionsmöglichkeiten.
Ein Mitglied der Personalkommission (Peko) wurde dagegen im Rahmen der Affäre verwarnt – wegen seines Umgangs mit angeblich schützenswerten Informationen. Die Unia-Peko meuterte und kündigte die Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung. Erst auf Druck linker Kreise und der Medien wurde Burger freigestellt.
- Keine allgemeine Lohnerhöhung
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) forderte fürs Jahr 2017 eine Lohnerhöhung von 1,5 Prozent für alle. Doch Gewerkschaftsmitarbeiter mussten selbst Nullrunden hinnehmen. Weder bei der Unia noch bei der Gewerkschaft Syna gab es eine allgemeine Lohnerhöhung.