Wenn Frau und Herr Schweizer sich müde, schlapp, niedergeschlagen fühlen, haben Freunde und Familie schnell die Ursache gefunden: Die Eisenspeicher sind leer. Eisenmangel lautet in Schweizer Stuben die Diagnose der Stunde.
Hauptsächlich betroffen sind Frauen. Laut dem Krankenkassenverband Santésuisse wurden 2016 von den Ärzten rund 200'000 Eiseninfusionen verschrieben. Seit 2010 sind dies 70 Prozent mehr. Die Krankenkassen und damit die Prämienzahler kostete der Hype letztes Jahr 51 Millionen Franken. Die Kassen müssen die Behandlung bezahlen, wenn Tabletten nicht genügen. Eine Therapie mit der Infusion kostet um 500 Franken, die Tabletten rund 100 Franken.
Soll die Grundversicherung weiterhin bezahlen?
Dabei ist es höchst fragwürdig, ob die Infusionen bei Patienten ohne Blutarmut überhaupt nötig sind. Sogar das Bundesamt für Gesundheit (BAG) bezeichnet den Nutzen der Behandlung als «umstritten». Die Beamten nehmen darum nun in einer «Re-Evaluation» die Infusionen genauer unter die Lupe. Wenn sich die Eisentherapie als nicht wirksam oder unnötig erweist, soll sie künftig nicht mehr von der Grundversicherung bezahlt werden, so das BAG in einem aktuellen Bericht. Die Abklärungen ziehen sich in die Länge. Erste Resultate sollen Ende nächsten Jahres vorliegen.
Im Vergleich zum nördlichen Nachbarn hängen Schweizer viel häufiger am Tropf. In Deutschland wurden 2015 gemäss der gesetzlichen Krankenversicherung die zwei gelisteten Eisenpräparate Ferinject und Ferrlecit total nur rund 400'000 Mal verschrieben. Das sind zwar doppelt so viele Infusionen wie in der Schweiz, nur hat Deutschland rund zehnmal mehr Einwohner. Auf der aktuellen BAG-Liste der umsatzstärksten Medikamente schafft es hierzulande ein Eisenpräparat sogar auf den stolzen Rang 16. Im gleichen Zeitraum findet sich dagegen in Deutschland kein Eisenpräparat unter den Top 30.
Infusion oder nicht? Ein Messwert ist der Ferritin-Spiegel. Wenn dieser unter 15 Mikrogramm pro Liter Blut liegt, leidet jemand laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) an Eisenmangel. Therapien werden hierzulande aber bereits bei Werten von 15 bis 50 verordnet. Ein Graubereich. Ob solche Infusionen etwas bringen? Das BAG spricht von «wissenschaftlichem Klärungsbedarf». Nur dem Placebo-Effekt wird unbestritten eine Wirkung eingeräumt.
Geschicktes Marketing
Der Eisen-Hype hängt auch mit der heimischen Pharmaindustrie zusammen. Die Hersteller von Eisenpräparaten hätten eine geschickte Marketingstrategie, kritisiert Thomas Rosemann, Direktor des Instituts für Hausarztmedizin der Uni Zürich. Eiseninfusionen seien mittlerweile als Therapie für Alltagssymptome etabliert, wovon alle profitierten. «Die Ärzte verdienen an der Therapie, die Pharmaindustrie am Präparat, und der Patient erfreut sich an einer scheinbaren Verbesserung der Gesundheit», sagt er auf Anfrage.
Hierzulande besitzt Vifor Pharma, die frühere Berner Galenica, das Monopol auf die Eiseninjektionen. Der Schweizer Ableger hat hier in den vergangenen zwei Jahren fleissig in «medizinische Fortbildung und Forschung» investiert. 2015 waren es 1,5 Millionen, 2016 bereits knapp zwei Millionen Franken.
Weiter sponsert das Unternehmen jährlich stattfindende Medizinkongresse sowie Infoseiten im Internet. Ist das legitim? Als Sponsor habe man keinen Einfluss auf den Inhalt eines Medizinkongresses, so Vifor Pharma. Die Kommunikation mit den Ärzten sei streng durch Gesetz und Vorschriften geregelt.
500 Millionen Franken Umsatz hat Vifor Pharma 2016 mit Eiseninfusionen erzielt.
44 Prozent beträgt die Steigerung im Vergleich zum Vorjahr. Zahl gilt für den Weltmarkt.
200'000 Eiseninfusionen wurden 2016 in der Schweiz von Ärzten verschrieben.
1 Der Pharmakonzern ist in Sachen Eisen weltweit Marktführer, also die Nummer eins.
500 Millionen Franken Umsatz hat Vifor Pharma 2016 mit Eiseninfusionen erzielt.
44 Prozent beträgt die Steigerung im Vergleich zum Vorjahr. Zahl gilt für den Weltmarkt.
200'000 Eiseninfusionen wurden 2016 in der Schweiz von Ärzten verschrieben.
1 Der Pharmakonzern ist in Sachen Eisen weltweit Marktführer, also die Nummer eins.
Jedenfalls verdienen sich die Eisenleger eine goldene Nase. Weltmarktführer Vifor Pharma machte 2016 allein mit intravenös verabreichten Eisenprodukten über 500 Millionen Franken Umsatz – 44 Prozent mehr als im Vorjahr. Im aktuellen Geschäftsbericht schwärmt der Konzern von einem weltweiten Wachstumspotenzial im Milliardenbereich. Nun soll der «Eisenmarkt in den USA durch weitere Aufklärungsarbeit im Bereich des Eisenmangels» ausgebaut werden. Ein Goldrausch zeichnet sich ab.