Der Geduldsfaden ist gerissen. «Einer der langjährigsten Aktionäre der Credit Suisse hat seine gesamte Beteiligung an der skandalumwitterten Schweizer Bank verkauft, nachdem er angesichts anhaltender Verluste und einer Kundenabwanderung die Geduld mit der Strategie der Bank verloren hat» – mit dieser Meldung auf der Frontseite geht die führende europäische Wirtschaftszeitung «Financial Times» in die neue Woche.
Der US-Investmentriese Harris Associates hat also alle Anteile an der Schweizer Krisenbank verkauft. Noch im vergangenen Jahr besass Harris Associates zehn Prozent der CS-Aktien. Mittlerweile ist die in Chicago ansässige Investmentgesellschaft, die jahrelang zu den prominentesten Unterstützern der Schweizer Bank gehört habe, laut «Financial Times» vollständig aus der Credit Suisse ausgestiegen.
Die Zukunft der Bank sei «fraglich», sagte der Vizevorsitzende und Chief Investment Officer (CIO) von Harris, David Herro (62), gegenüber der Zeitung. «Es gab grosse Abflüsse aus dem Wealth Management», womit sich Herro auf die 111 Milliarden Franken bezieht, die von CS-Kunden in den letzten drei Monaten des vergangenen Jahres abgezogen wurden. Dies, nachdem in sozialen Medien Gerüchte über die finanzielle Gesundheit der Bank aufgetaucht waren.
«Seit Jahren ein Zeit- und Wertefresser»
Herro äussert Zweifel an Beteuerungen der CS, dass die jüngste radikale Restrukturierung das Steuer bei der 167 Jahre alten Bank noch herumreissen könne. «Wir haben viele andere Möglichkeiten zu investieren», so Herro. «Steigende Zinssätze bedeuten, dass viele europäische Finanzwerte in die andere Richtung gehen. Warum sollte man in etwas investieren, das Kapital verbrennt, wenn der Rest des Sektors es jetzt erwirtschaftet?»
Die CS habe die «Leistung» von Harris «messbar beeinträchtigt. Man kann nicht jedes Mal gewinnen. Wir treffen uns mit jedem Unternehmen, das wir besitzen, aber man verbringt viel mehr Zeit mit seinen Sorgenkindern. Die Credit Suisse ist seit Jahren ein Zeit- und Wertefresser.»
Harris war 2002 bei einem Aktienpreis von 30 Franken bei der CS eingestiegen. Nach Verkäufen 2008 für den mehr als doppelten Preis kaufte sich Harris 2009 erneut für 23 Franken die Aktie bei der CS ein, was damals nach einem Gelegenheitskauf aussah. Nach einem kurzzeitigen Kursanstieg befinden sich die CS-Aktien seither auf einem stetigen Sinkflug. Bei Handelsschluss am Freitag kostete ein CS-Anteilsschein noch 2.78 Franken.
Am Montagmorgen startete die Aktie verhalten und fällt um 1,5 Prozent auf 2.75 Franken. Der Absturz hält sich – angesichts der News von der «Financial Times» – noch in Grenzen.
«Credit Suisse ist ein Übernahmekandidat»
Die beiden grössten CS-Aktionäre sind nun die saudische Nationalbank mit einem Anteil von zehn Prozent und die Qatar Investment Authority mit einem Anteil von sieben Prozent. Harris hatte beim Einstieg der Saudis im Oktober damit begonnen, sein CS-Engagement zu reduzieren, als die Saudi National Bank die Amerikaner als Hauptinvestor verdrängte. Jetzt hat sich Harris vollständig von der CS getrennt.
Mit dem kompletten Rückzug entfacht Harris wohl neue Übernahmegerüchte um die Schweizer Traditionsbank. Noch im März hatte Harris-CIO Herro gewarnt, dass das Krisenfinanzhaus ein «Übernahmekandidat» sei, wie «Finanz und Wirtschaft» berichtete. Der einst grösste CS-Aktionär sah die Grossbank als Schnäppchen beim derzeitigen Aktienkurs: «Credit Suisse ist ein Übernahmekandidat», so Herro. Mit dem Harris-Ausstieg wächst nun einmal mehr der Druck auf die CS-Führung. (kes/nim/uro)