Lockdown! Im Frühling erlebte die Schweiz, was nun um jeden Preis verhindert werden soll. Wie wichtig das ist, zeigt auch der Streit um Geschäftsmieten.
Nach wie vor ist unklar, wer für den Schaden bezahlen soll, der durch Zwangsschliessungen entstanden ist. Müssen Betreiber von Coiffeursalons, Kleiderläden und Restaurants für die Zeit des Lockdowns die volle Miete zahlen, obwohl sie keine Einnahmen hatten? Oder sollen Immobilienbesitzer dazu verpflichtet werden, sie zu erlassen?
Das Parlament entschied sich für einen Mittelweg. Im Juni verabschiedeten National- und Ständerat zwei gleichlautende Motionen. Sie verlangten, dass Betriebe lediglich 40 Prozent der Miete zahlen müssen – sofern sie weniger als 15'000 Franken pro Monat beträgt. Der Bundesrat wurde beauftragt, einen entsprechenden Gesetzesentwurf auszuarbeiten.
Gesetz sei verfassungswidrig
Der Verband Immobilien Schweiz, die Lobbyorganisation der grossen Immobilienkonzerne, hatte an diesen Plänen keine Freude. Statt Nutzen zu stiften, sei das geplante Gesetz unverhältnismässig, schädlich für die Volkswirtschaft und gar verfassungswidrig.
Der Verband beklagte, man bürde die «auf mindestens eine halbe Milliarde Franken geschätzte finanzielle Last» weitgehend den Vermietern auf – obwohl sich die Immobilienkonzerne seit Beginn der Corona-Krise für ein «marktgerechtes, faires, sachgerechtes und praktikables Konzept» für Härtefälle und besonders beeinträchtigte Unternehmen engagiert hätten.
Die heftige Kritik der Immobilienlobby erweckt den Eindruck, dass die grossen Liegenschaftsbesitzer stark unter der aktuellen Situation leiden. Die Halbjahresberichte der vier grössten börsenkotierten Immobilienkonzerne sprechen jedoch eine andere Sprache.
Lockdown hinterlässt keine Spuren
Die Mieterträge von PSP Swiss Property, Swiss Prime Site, Allreal und Mobimo sind im ersten Halbjahr 2020 stabil geblieben oder gar gestiegen. Covid-19, der Lockdown und die angeblich so grosszügigen Mieterlasse haben kaum Spuren hinterlassen.
Swiss Prime Site, mit einem Portfolio von 11,9 Milliarden Franken die grösste börsenkotierte Immobiliengesellschaft des Landes, spricht für das erste Halbjahr von einem «guten» Resultat.
Das operative Unternehmensergebnis von Allreal ist «erfreulich stabil» ausgefallen.
Mobimo kam gemäss eigenen Angaben «recht gut» durch die vergangenen Monate.
Bei PSP Swiss Property habe sich der Lockdown «nur gering» aufs Halbjahresergebnis ausgewirkt. Fürs laufende Jahr sieht man sich gar «bestens positioniert».
Bei anderen grossen Immobilienbesitzern wie Pensionskassen und Versicherungen dürfte es ähnlich aussehen. Dort liegen noch keine aktuellen Zahlen vor.
Die Frage ist: Wieso stemmt sich die Branche trotzdem mit aller Macht gegen den Vorschlag des Parlaments?
Verband will sich nicht äussern
Der Verband Immobilien Schweiz will sich zu den Ergebnissen der Immobilienkonzerne nicht äussern. «Es ist aber zu beachten, dass die vorgesehene Pauschallösung – 60 Prozent Mietverzicht zulasten der Vermieter – gemäss Gesetzesvorschlag zwar nur kleine bis mittelgrosse Mietverhältnisse betrifft, nun aber auch von grossen und sehr grossen Mietern eingefordert wird.»
Weiter macht der Verband grundsätzliche Überlegungen geltend: «Oberstes Ziel der Wirtschaftspolitik muss es sein, gute Rahmenbedingungen vorzugeben, innerhalb derer der freie Markt spielen kann.»
Der Kampf der Immobilienlobby trägt Früchte. Der Mieterlass, der vor einigen Monaten im Parlament eine Mehrheit fand, steht auf der Kippe.
Am 9. Oktober hat sich die Rechtskommission des Nationalrats mit 14 zu 11 Stimmen gegen die Vorlage ausgesprochen. Ausschlaggebend waren die CVP-Nationalräte Vincent Maitre (39, GE), Sidney Kamerzin (45, VS) und Philipp Matthias Bregy (42, VS).
Enthaltung und Wendehals bei Abstimmung
Das Interessante daran: Maitre und Kamerzin hatten sich am 4. Juni, als über die Mieterlass-Motion abgestimmt wurde, noch der Stimme enthalten. Nun sagten sie Nein. Bregy machte gar den Wendehals: Im Sommer, als der Druck von Gewerbe und Öffentlichkeit noch hoch war, sagte er Ja zum Mieterlass. Jetzt war er plötzlich gegen den Gesetzesentwurf. Wie das?
Er sei schon von Beginn an «sehr skeptisch» gewesen gegenüber dem Anliegen, sagt Bregy auf Anfrage von SonntagsBlick. Gleichwohl habe er sich im Juni dazu durchgerungen, im Sinne einer schnellen und pragmatischen Lösung Hand zu bieten und der Motion zuzustimmen.
«Zwischenzeitlich hat sich aber gezeigt, dass eine schnelle Lösung nicht möglich und das Problem gemäss einem Bericht des Bundesrates kleiner als befürchtet ist», so Bregy. Zudem hätten sich viele Vertragsparteien längst geeinigt. Ein staatliches Eingreifen sei aus seiner Sicht deshalb auch gegenüber diesen nicht mehr zu rechtfertigen.
Macht das Beispiel Bregy in der CVP Schule, droht dem Mieterlass im Nationalrat der Absturz. Das wäre ganz im Sinne von Daniel Fässler (60, AI). Er sitzt für die CVP im Ständerat – und ist Präsident des Verbandes Immobilien Schweiz.