Baggern. Bohren. Bauen. Boom!
In der Schweiz wird seit Jahren mehr gebaut denn je. Nach der Jahrtausendwende konnte das Bauhauptgewerbe seine jährlichen Umsätze um 25 Prozent steigern, von 15 auf fast 21 Milliarden Franken.
Auch die Corona-Krise hat der Bau im Vergleich zu anderen Branchen gut überstanden – trotz Einführung von Schutzmassnahmen und Baustellenschliessungen während des Lockdowns.
«Schweizer Baukonjunktur zeigt sich krisenfest», titelte die Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich im jüngsten «KOF-Baublatt-Ausblick». Auf Basis der eingereichten Bewilligungen sei für 2020 ein Anstieg der Bauinvestitionen um 1,2 Prozent zu erwarten. Das entspreche dem Vorjahreswert.
Der Bauindex Schweiz, Ende August von der Credit Suisse und dem Schweizerischen Baumeisterverband (SBV) herausgegeben, machte ebenfalls Mut. «Baukonjunktur dürfte bald Boden finden», hiess es da.
Und doch: Ende September teilten die Baumeister mit, dass sie die Löhne der rund 80 000 Angestellten im Bauhauptgewerbe auf Anfang 2021 «flächendeckend nach unten korrigieren» wollen.
Die Büezer sollen es ausbaden
Löhne senken? Ausgerechnet bei den Büezern auf dem Bau?
Eine Nachfrage beim Bauriesen Implenia zeigt, dass es den Arbeitgebern ernst ist: «Wir teilen die Ansicht des SBV, in aussergewöhnlichen Zeiten wie der Covid-19-Situation auch Anpassungen an die negative Teuerung in der Lohnrunde zu diskutieren.»
Doch wie begründen die Baumeister ihre Forderung, die es bei Lohnverhandlungen in der Schweiz sonst kaum gibt?
SBV-Direktor Benedikt Koch (48) sagt zu SonntagsBlick: «Wir erwarten für das laufende Jahr einen Umsatzrückgang von fünf Prozent. Das ist einschneidend. Deshalb hat es für uns oberste Priorität, Arbeitsplätze zu sichern. Um dieses Ziel zu erreichen, wollen wir mit den Gewerkschaften auch über Lohnsenkungen sprechen.»
Dass der SBV den Zustand der Baubranche deutlich schlechter beschreibt als etwa die ETH-Konjukturforscher, erklärt Koch so: «Die KOF prognostiziert sämtliche Bauinvestitionen, also auch jene des Ausbaugewerbes und anderer verwandter Branchen. Wir dagegen nur jene des Bauhauptgewerbes.» In der Vergangenheit hätten sich die Umsätze des Bauhauptgewerbes nicht selten weniger gut entwickelt als die Bauinvestitionen insgesamt.
Den Boom der vergangenen Jahre relativiert Koch ebenfalls: «Höhere Umsätze bedeuten nicht, dass die Baufirmen auch mehr verdient haben. Die Gewinnmargen im Bauhauptgewerbe liegen bei lediglich zwei bis drei Prozent – das ist weniger als in fast allen anderen Branchen.»
Zudem seien die Produktivitätssteigerungen der letzten Jahre zum grossen Teil in Lohnerhöhungen geflossen. «Trotz einer angespannten betriebswirtschaftlichen Lage haben wir die Mindestlöhne in den vergangenen Jahren wiederholt erhöht – zuletzt Anfang 2019 und 2020 um jeweils 80 Franken pro Monat.» Das sei mehr als die Teuerung.
Die Kaufkraft der Bauarbeiter habe deshalb zugelegt, sagt Koch: «Jetzt, in dieser schwierigen Phase, setzen wir alles daran, Arbeitsplätze zu erhalten. Denn Arbeitsplätze sind die Voraussetzung dafür, dass wir überhaupt Löhne zahlen können.»
80 Franken mehr pro Monat klingt gut. Ein Blick auf die Durchschnittslöhne zeigt aber, dass diese deutlich langsamer gestiegen sind. 2010 betrug der durchschnittliche Bruttolohn im Bauhauptgewerbe 5581 Franken. 2019 waren es 5813 Franken. Das ist eine Zunahme von lediglich 232 Franken innerhalb eines Jahrzehnts.
Mehr Leistung bei gleichem Lohn
Spannend in diesem Zusammenhang ist auch, dass Baufirmen pro Mitarbeiter immer mehr Umsatz generieren. 1992 erwirtschaftete ein Unternehmen im Schnitt rund 100 000 Franken pro Mitarbeiter. 2019 lag dieser Wert gemäss den Zahlen des Baumeisterverbands bei mehr als 200 000 Franken.
Für Guido Schluep (54) von der Gewerkschaft Syna steht fest: «Die Bauarbeiter müssen wegen des erhöhten Bauvolumens immer mehr leisten, werden aber nur mässig dafür belohnt.»
Die Branche ruiniert sich selbst
Schluep bestätigt zwar, dass die Gewinnmargen in der Baubranche vergleichsweise gering seien. Daran sei die Branche aber teilweise selbst schuld: «Gründe sind der ruinöse Preiskampf und die ausufernde Subunternehmervergabe.»
Dass diese Suppe nun die Bauarbeiter auslöffeln sollen, findet der Gewerkschafter inakzeptabel: «Eine Lohnsenkung werden wir niemals akzeptieren. Im Gegenteil, wir fordern auch dieses Jahr eine kleine Erhöhung.» Das sei mehr als gerechtfertigt: «Die Bauarbeiter haben sich während Corona sehr flexibel gezeigt und durch Sonderefforts massgeblich dazu beigetragen, dass die Baubranche vergleichsweise glimpflich durch die Krise gekommen ist.»
Sollten die Baumeister an ihrer Forderung festhalten, werde sich dies spätestens 2021 rächen, wenn die Verhandlungen über einen neuen Landesmantelvertrag anstünden. Schluep warnt: «Es brodelt an der Basis.»
Einigen Baufirmen scheint die Forderung ihres Verbands nicht ganz geheuer zu sein. So schreibt die Marti Gruppe, nach Implenia die Nummer zwei im Land: «Wir werden sicher keine generellen Lohnsenkungen vornehmen.»