Trendforscherin Karin Frick erwartet wie in früheren Krisen eine rasche Rückkehr zur Normalität
«Fiebermessen bei der Ein- und Ausreise in ein Land»

Wie sieht die Welt nach der Corona-Krise aus? Wie verändert sich unser Konsumverhalten? Trendforscherin Karin Frick geht diesen Fragen für BLICK nach.
Publiziert: 11.05.2020 um 18:58 Uhr
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Aktualisiert: 04.07.2020 um 12:43 Uhr
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Der Konsum war wochenlang stark eingeschränkt. Kommt jetzt der Exzess?
Foto: keystone
Interview: Marc Iseli

Alle Läden sind wieder offen. In der Beiz gibt es wieder Schnitzel mit Pommes frites. Der Weg aus dem Lockdown hat begonnen. Und doch ist vieles anders als vor der Corona-Krise. «Wir sind in einer halben Normalität» angekommen, sagt Karin Frick (59) vom Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) in Rüschlikon ZH.

Frick ist Ökonomin und Trendforscherin. Sie beschäftigt sich mit der Frage, wie Menschen in der Zukunft einkaufen werden. BLICK erreicht sie im Büro, nicht im Homeoffice. «Hier kann ich mich besser konzentrieren», sagt sie. Zu Hause seien noch ihr Sohn und ihr Mann. Der Sohn ist im letzten Jahr des Gymnasiums. Er gehört zum Jahrgang, der keine Matura-Prüfung schreiben wird. Aber auch die Reisepläne für den Sommer sind durchkreuzt. Die Krise hat auch im Haushalt der Familie Frick ihre Spuren hinterlassen. Sie sagt uns, wo der Lockdown sonst noch nachhallt.

BLICK: Frau Frick, sind Sie vorsichtiger als vorher?
Karin Frick: Sagen wir so, ich bin zurückhaltender als vorher. Nicht zwingend wegen meiner eigenen Gesundheit, sondern eher aus Solidarität. Ich will kein Vektor sein und andere Menschen anstecken.

Viele Menschen denken ähnlich. Das Konsumleben läuft auf Sparflamme. Wird das nachwirken?
Es wird eine Weile dauern, bis wir in einer neuen Normalität angekommen sind. In der Krise verhalten wir uns alle gleich: Wir schützen uns, spüren Angst, sind eher sicherheitsorientiert. Bei der Öffnung zeigt sich dann wieder ein breites Verhaltensspektrum. Gewisse Gruppen werden sich jetzt sagen, das Leben sei zu kurz, um schlechten Wein zu trinken. Jetzt wird erst recht konsumiert.

Nach dem Fasten kommt der Exzess?
Bei einigen zumindest. Das Verhaltensmuster haben wir schon bei anderen Krisen gesehen. Nach den Terroranschlägen von 9/11 etwa. Gewisse Bereiche, insbesondere die Luxusartikel, erlebten einen Boom.

Ein weiteres Beispiel?
Die BSE-Krise. Der Fleischkonsum ging in dieser Zeit massiv zurück. So manchem ist damals der Appetit vergangen. Aber nur temporär. Auf den Schock folgte das Fest, der Konsum nahm wieder zu. Das Muster zeigt sich fast immer. Die Normalität hat nun mal eine grosse Anziehungskraft.

Gibt es auch das Gegenteil: ein nachhaltiges Konsum-Fasten?
Es gibt Personen, die sich während der Corona-Zeit freiwillig eingeschränkt haben und auch in Zukunft auf gewisse Annehmlichkeiten verzichten möchten. Es gibt aber auch jene, die dies nun aus wirtschaftlicher Not machen. Die ökonomischen Perspektiven sind unsicher. Viele haben Angst, den Job zu verlieren. Oder sie sind bereits in die Arbeitslosigkeit gerutscht.

Welcher Effekt überwiegt: der Exzess oder das Fasten?
Das kommt ganz darauf an, wie sich die Situation entwickelt. Ob die Schweiz eine grosse Wirtschaftskrise erlebt. Ob es zu einer zweiten Welle und einem abermaligen Lockdown kommt. Solange die wirtschaftliche Situation unsicher ist, sparen die Leute. Falls nicht, pendelt sich die Situation ein.

Was bleibt auf lange Sicht?
Gewisse Regeln werden sich etablieren. Beim Umgang mit den Mitmenschen etwa. Oder beim Fliegen. Wir werden uns an zusätzliche Checks gewöhnen. Womöglich auch ans Fiebermessen bei der Ein- und Ausreise in ein Land. Wir werden vermehrt Masken im öffentlichen Raum sehen. In Asien haben sich einige dieser Muster bereits etabliert. Das Leben in der Öffentlichkeit hat sich angepasst – auch dank technischer Hilfsmittel, die unsere Bewegungen tracken und uns vor einer neuer Ansteckung warnen. Das ist allgemein ein eher neues Phänomen: dass wir die Technik dafür nutzen, nicht mit anderen in Kontakt zu treten.

Quasi eine Art Anti-Tinder?
So kann man es sehen. Vor der Krise war jedenfalls das Gegenteil im Fokus. Die Krise hat aber auch gezeigt, dass es Solidarität gibt. Ein gewisses Grundvertrauen in unsere Mitmenschen bleibt.

Werden sich die Touristen-Ströme wieder auf dem Vorkrisenniveau einpendeln?
Die touristischen Hotspots bleiben auf lange Sicht wahrscheinlich unverändert. Wir sehen bereits jetzt, dass gewisse Regionen wieder Leute anziehen. Und auch in früheren Tourismuskrisen hat sich immer wieder die alte Normalität eingestellt. Ich denke da etwa an die Terroranschläge in Ägypten. Und auch bei den Kreuzfahrten sehen wir, dass zahlreiche Buchungen für das nächste Jahr bereits getätigt sind. Das Buchungsvolumen übertrifft sogar die Vorgaben aus dem Vorjahr. Erstaunlich ist ja, dass sich dieses Plus nicht nur durch verschobene Reisen erklären lässt.

Was hat Sie persönlich sonst noch erstaunt?
Wir sind relativ entspannt durch die Krise gekommen. Vernünftig auch. Vielleicht auch etwas schweizerisch. Klar, es gab tragische Schicksale und eine gewisse Not. Aber im Grossen und Ganzen verlief der Lockdown ohne grössere Probleme. Die Systeme und Infrastruktur gingen mit der neuen Situation souverän um.

Aber die Post hatte zum Beispiel Mühe mit dem Paket-Volumen. Die Logistik der Onlinehändler war massiv überfordert.
Die Kritik ist zum Teil berechtigt. «Lean Production» war das Schlagwort der letzten Jahre. In Zukunft werden sich die Detailhändler stärker mit der Frage befassen, was sie an Lager halten werden. Wahrscheinlich werden auch einige Lieferantenverträge dahingehend angepasst, dass die Lieferzeit verkürzt oder sogar eine Liefergarantie ausgesprochen wird. Dafür wird man bereit sein, einen höheren Preis hinzunehmen.

Eine Art Vorratsdenken bei den Händlern. Gibt es das auch an anderen Orten? Beim Konsumenten? Im Gesundheitssystem?
In der Medizin sicherlich. Wir werden darum bemüht sein, die Abhängigkeit unseres Gesundheitssystems zu reduzieren. Vor allem beim Import von Medikamenten gab es Probleme in den letzten Wochen. Das Thema ist bereits erkannt. Veränderungen haben begonnen. Gleiches gilt ja auch für die Maskenproduktion.

Und der Konsument zu Hause? Horten wir jetzt wieder jahrelang Büchsen im Luftschutzkeller?
Auch hier werden sich unterschiedliche Tendenzen zeigen. Gewisse Personen werden sich einen Notvorrat anlegen. Aber die Krise hat ja auch gezeigt, dass die Lieferketten im Food-Bereich funktionieren. Es kam zu keinen nennenswerten Versorgungsengpässen.

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