Das Matterhorn – Wahrzeichen der Schweiz – thront unbekümmert über dem Wallis. Zu seinen Füssen aber hat Corona das Szepter übernommen.
In der Schweiz weist der Kanton, gemessen an der Bevölkerungszahl, die höchsten Infektionszahlen auf: 679 positive Testergebnisse allein am Freitag. Am Mittwoch verschärfte der Staatsrat die Corona-Massnahmen.
In Zermatt VS ist gerade Nebensaison. Fussgänger schlendern durch die Strassen, typische Zermatter Elektrotaxis surren am Julen Hotel vorbei. Dessen Besitzer, Paul-Marc Julen (39), gibt die epidemiologische Lage im Kanton zu denken: «Die zweite Welle ist viel intensiver und schneller gekommen, als wir angenommen haben», sagt der Hotelier, der in Zermatt mit seiner Familie drei Gastbetriebe führt. Die steigenden Fallzahlen, sagt Julen, verunsicherten seine Gäste. Doch Stornierungen seien bis jetzt nur wenige eingetroffen. «An diesem Wochenende haben wir eine Auslastung von fast 100 Prozent», so der Hotelier – dank sehr kurzfristiger Buchungen von Schweizer Gästen.
«Der Staatsrat hat mit der Verschärfung der Massnahmen die richtige Entscheidung getroffen», findet Julen. Sie seien hart und strikt, erhöhten aber die Chance, «die zweite Welle in den Griff zu bekommen und den Start der Wintersaison zu retten».
Grosse Abhängigkeit vom Tourismus
Das ist laut Damian Constantin (53), Direktor von Wallis Promotion, für die Wirtschaft des ganzen Kantons essenziell. Jeder fünfte Arbeitsplatz hänge direkt oder indirekt von der Tourismusbranche ab.
Aus Graubünden kommen ähnliche Töne. Auch hier ist der Tourismus eine wichtige Einnahmequelle. Obwohl der Kanton weniger Ansteckungen vermeldet als das Wallis, ist Martin Vincenz (57), CEO von Graubünden Ferien, besorgt: «Die vergangenen Wochen haben gezeigt, wie schnell sich die Situation in einer Region ändern kann. Es kann jederzeit jeden treffen!»
Ein Grossteil der Hotels rechnet mit einem Rückgang der Logiernächte im kommenden Winter. Erste Stornierungen treffen bereits ein, vor allem aus dem Ausland: Am Donnerstag wurde die gesamte Schweiz in Deutschland zum Risikogebiet erklärt. Mit der Quarantänepflicht fällt der zweitwichtigste Markt neben Gästen aus dem eigenen Land weg. «Wir rechnen nicht damit, dass Schweizer Touristen die ausländischen Gäste kompensieren können», sagt Vincenz. «Und mit jeder weiteren Restriktion verschlechtert sich die Prognose.»
Steht die Wintersaison also auf der Kippe?
Jürg Stettler (55) leitet das Institut für Tourismuswirtschaft an der Fachhochschule Luzern. Er will die Skistöcke noch nicht ins Korn werfen: «Die Situation ist zwar prekärer als vor ein paar Wochen, doch es ist noch nichts verloren.» Trotzdem könne sich die aktuelle Situation negativ auf die Wintersaison auswirken. «Denn die Steigerung der Fallzahlen verändern das Buchungsverhalten. Es wird nun noch kurzfristiger gebucht.» Das heisst: Die Wetter- und Schneeverhältnisse werden im Winter eine noch wichtigere Rolle spielen als bisher.
Immerhin dürften die Schweizer die weisse Jahreszeit wieder im eigenen Land verbringen – genauso wie den Sommer. Und darauf setzten auch die Skigebiete, wie eine Umfrage von SonntagsBlick bei zwölf der grössten Skigebiete zeigt. Die hohen Fallzahlen bereiten den Touristikern Sorgen, doch den Optimismus haben sie nicht verloren. Ohne Ausnahme wollen die Skigebiete die Wintersaison durchziehen. Einzelne haben bereits die Sicherheitsvorkehrungen erhöht: So gilt beispielsweise im Wallis auch beim Anstehen an den Sesselliften eine Maskenpflicht.
Hoffen auf Stabilisierung
Die Skigebiete bauen darauf, dass sich die Fallzahlen im In- und Ausland bis zum Start der Hauptsaison in acht Wochen wieder stabilisieren.
Doch ist das überhaupt realistisch? Für eine Prognose ist es laut Manuel Battegay zu früh. Letztlich hätten es die Schweizerinnen und Schweizer zu einem Teil selber in der Hand, ob sie ihre Ferien in den Schweizer Bergen verbringen können – vieles hänge davon ab, wie sehr sie sich an die Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie halten. Der Infektiologe am Universitätsspital Basel: «Wir müssen sofort handeln und in den nächsten vier bis sechs Wochen schauen, wie gut sie wirken und von der gesamten Gesellschaft umgesetzt werden», so Battegay.
Lockdown vermeiden
Skigebiete, Branchenverbände u nd Tourismusexperten sind sich einig: Ein Lockdown wie im Frühjahr soll vermieden werden. Einzig ein sogenannter «Circuit Breaker», ein zweiwöchiger Kurz-Lockdown, stösst nicht bei allen Akteuren auf Ablehnung – vorausgesetzt, er findet im November statt. Viele Saisonbetriebe und Bergbahnen haben dann noch geschlossen. So sagt Berno Stoffel, Direktor von Seilbahnen Schweiz: «Wenn damit die restliche Wintersaison gerettet werden könnte, wäre das ein kleiner Preis, den wir zu zahlen hätten.»
Ein zweiter Lockdown zu einem anderen Zeitpunkt jedoch wäre verheerend, insbesondere über die Feiertage oder im Februar.
Alle Vorinvestitionen in die kalte Jahreszeit gingen damit verloren. Und viele Betriebe würden das wohl wirtschaftlich nicht überleben.
Obwohl der Start der Wintersaison noch weit entfernt scheint, beginnt also schon heute ein Rennen gegen die Zeit.