Tinder, Bumble und Co. in der Krise – Blick analysiert mit Expertin
«Die Menschen haben wegen Dating-Apps weniger Sex»

Dating-Apps verlieren an Beliebtheit. Nutzerzahlen und Aktienkurse sinken. Sozialpsychologin Johanna Degen spricht von einer Online-Dating-Erschöpfung. Die Hoffnung, im Netz die grosse Liebe zu finden, schwindet.
Publiziert: 16.11.2024 um 09:59 Uhr
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Aktualisiert: 16.11.2024 um 10:04 Uhr
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Während der Corona-Pandemie boomten die Dating-Apps.
Foto: Getty Images

Auf einen Blick

  • Tinder und Co. verlieren Nutzer und Abonnenten
  • Dating-Apps haben das Datingverhalten fragwürdig beeinflusst
  • Das Geschäftsmodell widerspricht der Hoffnung der Kunden
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Robin WegmüllerRedaktor Wirtschaft

«Hey, ich bin vom TCS. Darf ich dich abschleppen?» Ja, solche trockenen Anmachsprüche sind im Online-Dating heute Alltag. Über die Zeit haben sich die Praktiken der digitalen Plattformen auch ins Dating abseits des Internets migriert. Doch alles von vorne. 

Im Jahr 2012 startete die Online-Dating-Revolution. Mit Tinder sollten Menschen einfacher in Kontakt kommen. Das Prinzip ist schnell erklärt: User können die Profilfotos und -infos von anderen Nutzenden ansehen und liken. Gefällt zwei Usern das Profil gegenseitig, kommt es zu einem Match. Männer und Frauen können sich ab dann Nachrichten schreiben. Seit der Gründung von Tinder gab es über 97 Milliarden Matches. Der Dating-Idee folgten weitere Plattformen wie Hinge und Bumble.

Doch in den letzten zwei Jahren verloren die Apps das Feuer. Die Nutzerzahlen nehmen weltweit ab, Tinder verliert immer mehr zahlende Abonnenten. Die Aktie des Mutterkonzerns Match Group ist in den Keller gefallen. Auch das Wertpapier von Bumble ist nicht mehr viel wert. «Es hat sich ausgetindert», so der Tenor. 

Boom während der Pandemie

Entspricht das der Wahrheit? Noch während der Corona-Pandemie war das Swipen ein Trend, gefühlt jeder Single verfügte über ein Online-Dating-Profil. «Die Plattformen gaben eine Antwort auf eine Problemlage in der Gesellschaft», erklärt Johanna Degen (37) gegenüber Blick. Sie ist Sozialpsychologin an der Europa-Universität Flensburg in Norddeutschland.

Degen sagt: «In einer Zeit, wo es als immer weniger richtig angesehen wird, spontan fremde Menschen anzusprechen, schaffen Dating-Apps eine Umgebung, in der das gewünscht ist.» Die Singles schätzten zudem das schnelle und effiziente Kennenlernen. 

Diese positive Aufregung hat seit dem Ende der Pandemie aber abgenommen. «Wir befinden uns in einer Ära der Online-Dating-Erschöpfung», meint die Expertin. Nutzerinnen und Nutzer berichten immer öfters von einer feindlichen, unsicheren und abwertenden Sphäre auf den Plattformen. Johanna Degen ist sich sicher: «Jeder, der schon mal ein Profil hatte, kennt die oberflächliche, repetitive und unverbindliche Praxis.»

Dating-Praxen haben sich verändert

Dadurch hat sich das Datingverhalten über die letzten Jahre generell verändert. Gewisse fragwürdige Prinzipien sind heute weit verbreitet: Ein Single hat kurze, dafür viele Dates. Oft wird wenig Zeit, Fokus und Emotionen investiert. Zudem hält man sich mehrere Türchen offen und datet parallel mehrere Menschen. 

«Diese Grundsätze haben sich über die Dating-Apps in die Gesellschaft eingeschrieben», erklärt die Sozialpsychologin. Daraus sehe sie vor allem negative Folgen: Die Menschen haben weniger Sex und die Zahlen von Einsamkeit steigen. 

Geschäftsmodell widerspricht Kundenerwartung

Auch im Netz macht sich eine bittere Resignation breit. Die Hoffnung, online seine Liebe des Lebens zu finden, schwindet nach Jahren des Misserfolgs. Dabei ist das System der Dating-Apps nicht unschuldig. 

Allein die Versprechen der Firmen «Jeder Swipe kann dein Leben verändern» (Tinder) und «Designed to be deleted» also «Entworfen, um gelöscht zu werden» (Hinge) passen nicht zum Geschäftsmodell. Geld verdient wird nur, wenn das Swipen nicht so schnell endet. Für Kunden mit der Vorstellung, möglichst schnell die Liebe zu finden, ein Widerspruch.

Frauen und Männer werden nicht glücklich

Weitere Gegebenheiten der Apps schmälern die Erfolgserlebnisse für Singles. Das Frauen-Männer-Verhältnis ist suboptimal. Auf Tinder sind 75 Prozent der Nutzer männlich, auf Bumble – das sich an Frauen richtet – 61 Prozent. Hinzu kommt die sehr ungleiche Verteilung von Likes. Den Männern gefällt jedes dritte Profil, den Frauen nur jedes sechzehnten. Dadurch erhalten Frauen 20x mehr Matches. Für viele ist das überfordernd.

Ein Hinge-Ingenieur verriet 2017 zudem ein weiteres entscheidendes Detail: Bei den Frauen erhält ein Anteil von 25 Prozent die Hälfte aller vergebenen Likes. Die Hälfte aller Likes, die von Frauen verteilt werden, gehen an ein viel kleineres Segment der Männer – nämlich nur 15 Prozent.

Die Brad Pitts dieser Welt beanspruchen also einen Löwenanteil der ohnehin schon knapp verfügbaren Likes für sich. Kein Wunder ist ein Grossteil der Männer – also ein Grossteil der App-Nutzenden – unzufrieden.

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