Alibaba baut auf Bits und Bytes. Ein Fundament aus Beton und Blech gibts höchstens am Firmensitz in Hangzhou (China). Der Amazon-Konkurrent aus dem Reich der Mitte ist im Internet zu Hause.
Überdimensionale Warenhäuser oder Hochregallager wie die der Schweizer Onlinehändler Digitec/Galaxus oder Brack – Fehlanzeige. Ebenso wenig besitzt der chinesische Internet-Gigant eine LKW- oder Firmenwagenflotte. Und das bei einen Jahresgewinn von 6,5 Milliarden Franken. Das ist fast zehnmal mehr, als die Migros unterm Strich verdient.
«In Europa sind wir noch ein junges Unternehmen», sagt Terry Freiherr von Bibra (53) zu BLICK. «Gleichzeitig arbeite ich aber für den grössten Handelskonzern der Welt.» Seit 2016 leitet Bibra das Europa-Geschäft Alibabas von München (D) aus. «Die Erwartungen an mich sind enorm.» Um die Finanzierung seines «Start-ups» muss er sich jedenfalls keine Sorgen machen.
Durchstarten in der Schweiz
Jetzt soll der gebürtige Kalifornier mit bayrischen Wurzeln Alibaba in der Schweiz den Weg vorspuren. Zum exklusiven Treffen in Zürich nimmt der Nachkomme eines fränkischen Adelsgeschlechts den Zug und lässt sich dann von einem Uber-Fahrer ins Café Felix am Bellevue chauffieren.
Wie er so dasitzt bei einem Stück Saint-Honoré-Torte und Kaffee, hat man nicht den Eindruck, mit einem Online-Manager der angesagtesten chinesischen Handelsplattform zu sprechen. Ein Handy, Tablet oder Laptop sieht man bei ihm nicht auf dem Tisch.
«Es wäre doch unhöflich, ständig auf das Smartphone zu schauen. Ich habe noch Manieren», sagt er. Damit spielt er auf die junge Generation von Internet-Managern an, die die Klaviatur in den sozialen Netzwerken mit verbundenen Augen beherrschen.
«Schweiz extrem wichtiger Markt»
Bibra studierte Germanistik, dann Werbefotografie. So richtig startete er nach einer Management-Ausbildung bei Amazon durch, baute dort das Europageschäft mit auf. Die Karriereleiter führte ihn weiter zu Yahoo Deutschland und Karstadt.
Regelmässig sei er in der Schweiz unterwegs. Privat gehts für Ferien ins Engadin nach Sils Maria, «einem wundervollen Ort». Neulich habe er im Fernsehen das Drama in Bondo GR verfolgt. «Der Bergsturz in Bondo hat mich sehr mitgenommen», sagt der Vater zweier Töchter und eines Sohnes.
Bibras Frau stammt aus Italien, aus einem Ort beim Comer See. Auch dort mache er immer wieder Ferien.
Geschäftlich führte es ihn zuletzt immer öfter in die Schweiz. Eine Niederlassung sei hierzulande aber nicht vorgesehen. «Ich bin mehr auf Reisen, als dass ich in meinem Büro in München sitze», sagt Bibra. Trotzdem: «Für Alibaba ist die Schweiz ein extrem wichtiger Markt in Europa», bekräftigt er.
«Schweizer Produkte sind von höchster Qualität. Schweizer haben das technische Verständnis und das Bewusstsein für eine hohe Lebensqualität. Darum sind sie bei den Chinesen so hoch im Kurs.» Er sei nicht primär hier, um den Schweizern etwas zu verkaufen, sondern Schweizer Herstellern den Eintritt in den chinesischen Markt zu erleichtern.
Kaufkräftige Mittelschicht von bald 500 Millionen
«China hat 1,4 Milliarden Einwohner, davon können sich rund 300 Millionen Chinesen leisten, Schweizer Qualitätsprodukte zu kaufen», sagt Bibra. In den nächsten Jahren wachse die Zahl auf 500 Millionen. Bereits gebe es 102 Städte in China mit mehr als einer Million Einwohnern – in diesen Städten wachse diese kaufkräftige Mittelschicht heran.
«Und diese chinesischen Konsumenten geben alles dafür, Schweizer Luxusprodukte wie Uhren oder die berühmte Schokolade kaufen zu können», sagt Bibra.
Mit dem weltgrössten Lebensmittelhersteller Nestlé arbeitet Alibaba bereits zusammen. Dessen Geschäftsleitungsmitglied Wan Ling Martello (58) sitzt sogar bei Alibaba im Aufsichtsrat. «Wir verkaufen beispielsweise Mutter-und-Kind-Bedarf, Nespresso-Kapseln und Tierfutter von Nestlé über unsere Plattformen in China», sagt Bibra.
Migros gibt Alibaba einen Korb
Weitere Kooperationen laufen mit Swatch Group, Tag Heuer, Victorinox und Mammut. Auch mit der Migros liefen Verhandlungen. Allerdings hat sich der orange Riese für ein anderes Unternehmen in China entschieden, wie gestern bekannt wurde. Auf der hierzulande unbekannten Online-Handelsplattform Net Ease Kaola preist sie den Chinesen Rösti und Eistee an.
Bibra will in den nächsten Tagen noch einige Gespräche mit Schweizer Firmen führen, deren Namen er aber nicht preisgeben will. Und dafür sorgen, dass Alipay, der Smartphone-Bezahldienst seines Konzerns, in der Schweiz vorankommt.
Alipay in Interlaken und Luzern aktiv
In vielen Geschäften von Interlaken BE sei man bereits aktiv. «Auch die Omega-Boutique in Luzern akzeptiert Alipay», sagt Bibra. Ausser chinesischen Touristen nutzt den Bezahldienst in der Schweiz bislang aber kaum jemand.
«Alipay ist ausschliesslich für die chinesischen Touristen in der Schweiz gedacht, um ihnen den Aufenthalt zu erleichtern» , sagt Bibra. «Vielleicht etablieren wir Alipay auch als Zahlungsmittel für Schweizer. Es funktioniert toll.»
Besser als Alipay läuft bei Schweizern Konsumenten die Plattform Aliexpress, die ebenfalls zum Reich Alibabas gehört. Über diese können sie chinesische Produkte – am häufigsten Heimelektronik-Zubehör – zu Schnäppchenpreisen beziehen. Auch hier nennt Bibra keine Zahlen. Aber: «Weltweit haben wir kürzlich unseren hundertmillionsten Kunden auf Aliexpress erreicht», sagt Bibra stolz. Noch machen die Schweizer hier einen Bruchteil aus.
Und wie ist seine Beziehung zum charismatischen Alibaba-Gründer Jack Ma (53)? «Ich habe ihn erst letzte Woche in China getroffen. Dort ist er ja ein Superstar», sagt Bibra. «Jack ist bescheiden, der Erfolg ist ihm nicht zu Kopf gestiegen.»
Nächsten Monat wird ihn Bibra wieder in China sehen – und ihm vielleicht über weitere grosse Partner in der Schweiz berichten können.