Tausende verpfeifen Nachbarn beim Steueramt

BERN – Was? Der Nachbar kann sich einen nagelneuen Porsche leisten! Ob das Steueramt davon weiss?
Publiziert: 09.11.2007 um 09:25 Uhr
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Aktualisiert: 06.09.2018 um 20:13 Uhr
Von Karin Baltisberger, Thomas Ley und Beat Michel

Der Fall ist authentisch. Das sündhaft teure Auto vor der Garage des Nachbarn machte einen Berner misstrauisch. Er geht auf die Gemeinde und verlangt einen Auszug aus dem Steuerregister seines Nachbarn. Diese Akten sind in den meisten Gemeinden frei zugänglich.

Das Ergebnis macht ihn noch stutziger: Der feine Herr Nachbar versteuert fast nichts. Sehr verdächtig. Grund genug für eine anonyme Anzeige beim kantonalen Steueramt.

«Wir gingen dem nach», sagt Yvonne von Kaufungen, Sprecherin der Berner Steuerverwaltung. Und sie finden heraus: «Das Auto war ein Geschäftsauto, das der Beschuldigte korrekt abgezogen hatte.»

Eine anonyme Anzeige wie sie zu Tausenden auf den Tischen der Steuerfahnder landen. Allein beim Steueramt des Kanton Zürichs schwärzen jährlich 150 bis 250 Petzer ihre Kollegen, Arbeitgeber, Ex-Partner oder Nachbarn an.

Die Genfer sind sogar noch missgünstiger. Bis zu 300 Denunzianten melden sich im Jahr beim Kanton.
Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Die meisten Anzeigen der Steuersünder landen gar nicht erst bei den Kantonen. «Viele bleiben in den Gemeinden hängen», erklärt Max Ledergerber von der Aargauer Steuerbehörde. Die Dunkelziffer dürfte entsprechend hoch sein.

Das Motiv der «Rätschen» ist meist der Neid (siehe Interview rechts). «Bei einem Lottogewinn gibt es regelmässig Hinweise. Wir erfahren auch, wenn jemand plötzlich viel Geld ausgibt», sagt Jakob Rütsche, Leiter des Thurgauer Steueramts.

In der Romandie und den grossen Deutschschweizer Kantonen petzen die Leute am liebsten. In der Zentralschweiz ist man diskreter. «Hier ist es ohnehin schwer, Steuern zu hinterziehen. Jeder kennt jeden», erklärt Bruno Infanger, Vize-Chef des Urner Fiskus. Wenn, dann melden sich Denunzianten aus persönlicher Rache. «Nach Scheidungen schwärzt oft ein Ehepartner den anderen an.»

Auch Selbständige stehen unter Beobachtung der Hobby-Spione: «So wird bei Handwerkern oder Wirten oft Schwarzarbeit vermutet», sagt Peter Nefzger, Chef der Baselbieter Steuerverwaltung. Nicht nur im Baselbiet nimmt die Zahl der Anzeigen zu.

Die Denunzianten sind nicht etwa unbeliebt bei den Steuerbehörden. Im Gegensatz zum Steuerprüfer arbeiten die Amateur-Fahnder schliesslich gratis. Deshalb landen die Anzeigen auch nicht im Papierkorb, die Beamten nehmen die Spitzel ernst, gehen der
Sache auf den Grund.

Denn viele der Verdächtigungen sind begründet. «Rund die Hälfte aller Hinweise sind berechtigt», sagt Philipp Moos, Leiter des Zuger Steuerbüros. Nur Statistik führt kein einziger Kanton über die Anzeigen. Begründung der meisten Behörden: Wir bekommen ohnehin nicht alle von ihnen zu sehen.

Da ist es dann wohl so wie im Tessin: Die Steuerbehörden von Locarno und Lugano haben mit je 10 Anzeigen jährlich zu tun. Der kantonale Steuerverwalter Mauro Ghidossi hat davon keine Ahnung: «Das geht nur die Gemeinden etwas an.»

Interview in der gedruckten Ausgabe

Es ist der pure Neid, der uns dazu bringt, Nachbarn beim Steueramt zu verpetzen. Und der ist uns in die Wiege gelegt, sagt Psychologie-Professor Peter Kutter (77).

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Wurden Sie schon mal von einem Bekannten, Nachbarn oder dem Ex-Partner bei der Steuerbehörde verpetzt Oder haben Sie selbst schon jemanden angezeigt?

Ihre Geschichte interessiert uns. Schreiben Sie uns an: Redaktion BLICK Leserseite, Postfach, 8021 Zürich, Fax: 044 259 86 64, Mail: leser@blick.ch
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Ein Erfahrungsbericht
Steuerschnüffler sind männlich und nicht mehr ganz jung. Und es sind immer die paar Gleichen, die Einsicht ins Steuerregister verlangen. Frank Gerber, Kulturchef des BLICK, war während 5 Jahren Gemeindepräsident von Worben BE. Ein Erfahrungsbericht.

«Herr A. etwa erscheint jedes Jahr auf der Gemeindeverwaltung, sobald die neuen Steuerdaten zugänglich sind. Schliesslich steht in Gemeinden mit offenem Register jedem Einwohner das Recht zu, im Ordner mit allen Steuerpflichtigen zu blättern. So auch in der mittelkleinen Gemeinde, der ich bis letzten Monat als Gemeindepräsident vorstand.

Zu erfahren sind die Daten, die dem Schweizer als ganz privat gelten: Steuerbares Einkommen und Vermögen, mit dem zugehörigen Namen. Das regt die kriminalistische Fantasie an. Warum bloss fährt Herr B. einen neuen Mercedes, obwohl er überhaupt kein Einkommen versteuert?

Oft geben Autos den Ausschlag. Ich hab nie erlebt, dass eine neue Hausfassade zu nachbarlichen Steuerschnüffeleien geführt hätte. Auch wenn sie ebenso viel gekostet hat. Neue Fensterrahmen schüren eben weniger Neid.

Das offene Steuerregister gibt nur einen Teil der nötigen Information. Ob jemand einen Steuererlass bekommt – also wegen einer finanziellen Notlage keine Steuern bezahlen muss – ist daraus nicht zu erfahren. Aber in einem Dorf oft trotzdem bekannt. Manchmal erzählt sogar der Betroffene selbst davon. Was wiederum die Neider auf den Plan ruft. Bedauern mit dem Sozialfall gibts nicht, nur Neid über den
Steuererlass.

Die Schnüffeleien führen selten zu konkreten Anzeigen, meistens bleibts beim mehr oder weniger berechtigten Verdacht. Manchmal handelt es sich um reines Gezänk über den Gartenhaag der Parteigrenzen. Der ‹Erfolg› des offenen Steuerregisters liegt nicht in gewonnenen
Verfahren, sondern in der sozialen Kontrolle. Wer unter Aufsicht steht, bescheisst weniger. Sagt man.»
Steuerschnüffler sind männlich und nicht mehr ganz jung. Und es sind immer die paar Gleichen, die Einsicht ins Steuerregister verlangen. Frank Gerber, Kulturchef des BLICK, war während 5 Jahren Gemeindepräsident von Worben BE. Ein Erfahrungsbericht.

«Herr A. etwa erscheint jedes Jahr auf der Gemeindeverwaltung, sobald die neuen Steuerdaten zugänglich sind. Schliesslich steht in Gemeinden mit offenem Register jedem Einwohner das Recht zu, im Ordner mit allen Steuerpflichtigen zu blättern. So auch in der mittelkleinen Gemeinde, der ich bis letzten Monat als Gemeindepräsident vorstand.

Zu erfahren sind die Daten, die dem Schweizer als ganz privat gelten: Steuerbares Einkommen und Vermögen, mit dem zugehörigen Namen. Das regt die kriminalistische Fantasie an. Warum bloss fährt Herr B. einen neuen Mercedes, obwohl er überhaupt kein Einkommen versteuert?

Oft geben Autos den Ausschlag. Ich hab nie erlebt, dass eine neue Hausfassade zu nachbarlichen Steuerschnüffeleien geführt hätte. Auch wenn sie ebenso viel gekostet hat. Neue Fensterrahmen schüren eben weniger Neid.

Das offene Steuerregister gibt nur einen Teil der nötigen Information. Ob jemand einen Steuererlass bekommt – also wegen einer finanziellen Notlage keine Steuern bezahlen muss – ist daraus nicht zu erfahren. Aber in einem Dorf oft trotzdem bekannt. Manchmal erzählt sogar der Betroffene selbst davon. Was wiederum die Neider auf den Plan ruft. Bedauern mit dem Sozialfall gibts nicht, nur Neid über den
Steuererlass.

Die Schnüffeleien führen selten zu konkreten Anzeigen, meistens bleibts beim mehr oder weniger berechtigten Verdacht. Manchmal handelt es sich um reines Gezänk über den Gartenhaag der Parteigrenzen. Der ‹Erfolg› des offenen Steuerregisters liegt nicht in gewonnenen
Verfahren, sondern in der sozialen Kontrolle. Wer unter Aufsicht steht, bescheisst weniger. Sagt man.»
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