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Swissair-Legende Beatrice Tschanz (75) über das Grounding
«Corti, Villiger oder Ospel – sie alle haben versagt»

Die Swissair war einst der Stolz der Nation. Dann kam der Absturz. Erst in Halifax, dann als Unternehmen. Swissair-Legende Beatrice Tschanz blickt zurück auf die bewegte Zeit.
Publiziert: 15.12.2019 um 23:10 Uhr
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Aktualisiert: 03.01.2020 um 15:32 Uhr
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Lange Zeit das Swissair-Gespann: Kommunikations-Chefin Beatrice Tschanz und der damalige Chef der Swissair, Philippe Bruggisser.
Foto: Toini Lindroos
Sven Zaugg

Ihr Name ist mit der Swissair verbunden wie kaum ein anderer: Beatrice Tschanz (75), ehemalige BLICK-Journalistin, Managerin und Kommunikationsspezialistin. Als Stimme der Swissair wurde die Zürcherin, die später sogar als Einflüsterin im Beraterstab des damaligen SP-Bundesrats Moritz Leuenberger (72) fungierte, Ende der 1990er-Jahre landesweit bekannt.

1997 stellt sie der damalige Swissair-Chef Philippe Bruggisser (71) an, um seine Expansionsstrategie der Öffentlichkeit zu verkaufen. Ihre Aufgabe bestand darin, dem stetig wachsenden Konzern unter der Führung des spröde und oft distanziert wirkenden Chefs ein sympathisches, nahbares Image zu verpassen. «Bruggisser drückte mir zwei Bücher zum Thema Luftfahrt in die Hand und sagte: ‹Wenn Sie das gelesen haben, sind Sie parat für den Job.›»

«Es darf nicht wahr sein»

Gleichwohl konnte sich Tschanz auf das, was ein Jahr später die Airline erschüttert, mit keinem Buch der Welt vorbereiten. Am 2. September 1998 stürzt eine Swissair-Maschine des Typs MD-11 mit dem Namen Vaud beim kanadischen Peggy's Cove ins Meer. 215 Passagiere und 14 Besatzungsmitglieder verlieren ihr Leben. Am Flughafen Genf-Cointrin, wo der Flug SR 111 um 9.30 Uhr hätte landen sollen, melden die Anzeigetafeln erst eine Verspätung, dann wird der Status auf «cancelled» geändert.

«Es darf nicht wahr sein. Eine Swissair-Maschine fällt nicht einfach so vom Himmel», ging es Tschanz durch den Kopf. «Ich riss mich zusammen, sagte mir: ‹Bea, jetzt muesch liefere.›» Noch in der Nacht stieg Tschanz ins Auto, fuhr zum Hauptsitz in Kloten ZH. Totales Chaos! Tränen flossen. «Bruggisser war kreidebleich», erzählt Tschanz. «Wir hatten noch gehofft, dass es sich um eine Falschmeldung handelt.» In der bislang dunkelsten Stunde in der Geschichte der Swissair tritt Bruggisser vor die Medien, flankiert von seiner Kommunikationschefin Beatrice Tschanz. Sie verkünden das Unfassbare.

Wenn Worte nicht mehr helfen

Schnell ist klar: Es braucht eine klar Kommunikation, einen Masterplan. Tschanz setzt die erste Pressekonferenz auf 7 Uhr morgens an. Danach sollte im Stundenrhythmus informiert werden. «Alle Fakten, keine Spekulationen, Opfer und Angehörige haben Priorität», lautet die Devise. Eine solch durchdachte Kommunikationsstrategie ist ein Novum in der Schweiz.

Nur Tage später sitzt Tschanz mit Angehörigen der Opfer in einer Swissair-Maschine nach Halifax (Kanada). «Das war verdammt hart», sagt Tschanz. «Wenn Eltern gleich zwei Töchter verlieren, nützen Worte kaum mehr.» Noch heute sagt Tschanz mit zitternder Stimme: «Ich habe noch nie so viel Leid gesehen.» Dank ihres ehrlichen und klugen Krisenmanagements trug die Swissair kaum einen Reputationsschaden davon.

Bittere Tränen

Tschanz machte weiter, hielt dem Konzern auch nach Halifax die Treue. Derweil Bruggisser an seiner aggressiven Expansionsstrategie festhielt und weiter marode Airlines zukaufte – bis der Konzern als Ganzes drei Jahre später abstürzte und der Chef vom Verwaltungsrat fristlos entlassen wurde.

Dann begann das grosse Sesselrücken. Erst übernahm Swissair-Verwaltungsrat Eric Honegger (73) das Ruder, dann kam Crossair-Haudegen Moritz Suter (76), und schliesslich sollte Mario Corti (72), damals Finanzchef bei Nestlé, den Karren aus dem Dreck ziehen. «Corti war guten Willens, doch die Lage war bereits aussichtslos», sagt Tschanz. Dennoch stellte sie sich vor das Management, verteidigte die Swissair bis aufs Blut.

Kurz vor dem Grounding räumte auch Tschanz ihren Sessel. «Corti machte mir klar, dass ich nicht mehr gebraucht werde», erzählt Tschanz. Die Chemie stimmte nicht mehr. Für Tschanz war der Abgang bei der Swissair schmerzhaft, wie sie heute sagt. «Ich vergoss bittere Tränen.» Was folgt, ist auch für Tschanz ein Schock. Obschon sie detaillierte Informationen besass, wie schlecht es um die Finanzen der Swissair bestellt war. «Vielleicht wollte ich einfach nicht wahrhaben, wie schlecht es unserer Firma wirklich ging.»

Das Grounding

2. Oktober 2001, am Nachmittag kurz nach 16 Uhr. Passagiere horchen im Terminal A jener Lautsprecheraussage, die die Schweiz mitten ins Herz trifft: «Aus finanziellen Gründen ist die Swissair nicht mehr in der Lage, ihre Flüge auszuführen.» Die Jets mit dem Schweizerkreuz, die einst so stolz durch die Lüfte düsten, fliegen nicht mehr. Dicht gedrängt stehen sie auf dem Vorfeld des Flughafens.

Es sind traurige Bilder, die an jenen Tagen über die Mattscheiben in die Schweizer Stuben flimmern. Medien rund um den Globus berichten über das Grounding. Männer und Frauen, die bis anhin ohne aufzumucken mit Stolz und Fleiss für die Swissair arbeiteten, malten Transparente und gingen auf die Strasse, vergossen gemeinsam Tränen. «Die Swissair lässt man nicht verrecken», skandierten die Demonstranten vor dem Hauptsitz am Klotener Balsberg. Die ganze Nation im Griff von Wut und Trauer.

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«Diese Bilder bringe ich nicht mehr aus Kopf», sagt eine nachdenkliche Tschanz 18 Jahre später. Selbstkritisch fügt sie an. «Wir haben die Swissair damals besser dargestellt, als sie tatsächlich war.» In ihren letzten Tagen als Kommunikationschefin betonte Tschanz gegenüber den Medien, dass der Konzern grundsätzlich stabil sei. «Ich hätte damals gegenüber der Konzernleitung kritischer sein sollen. Nicht alle Informationen, die wir weitergaben, entsprachen der Wahrheit.»

Schuld sind die anderen

Grössenwahn und eine irrsinnige Expansionsstrategie hatten die Swissair ruiniert. «Vor allem die Beteiligung an der Düsseldorfer Charterfluggruppe LTU war ein Desaster», sagt Tschanz. Im Nachgang werfen sich Corti und die Banken gegenseitig Versäumnisse vor. Corti wird sagen, er habe schlichtweg kein Geld mehr gehabt. Die Banken werden behaupten, es seien noch Millionenbeträge da gewesen.

So weit hätte es nicht kommen müssen, glaubt Swissair-Legende Tschanz. «Ob Corti, Villiger oder Ospel – sie alle haben damals versagt.» Das habe die Nation tief verletzt, sagt Tschanz. «Wir reden hier nicht von irgendeiner Firma. Wir reden von einem Unternehmen, das von den Mitarbeitern getragen wurde, von einem Unternehmen, das für viele eine zweite Familie war.» Eine Familie, die von Politik und Wirtschaft im Stich gelassen und von Managern mit irren Plänen in den Abgrund gerissen wurde. Stellvertretend richtete sich die Wut auf den damaligen UBS-Chef Marcel Ospel (69) und auf den früheren Bundesrat Kaspar Villiger (78).

Zehn Jahre nach dem Grounding endete das grösste Wirtschaftsstrafverfahren in der Schweizer Geschichte: Der Prozess um die Swissair-Pleite. Das Bülacher Bezirksgericht sah es nicht als erwiesen an, dass im Zuge des Untergangs der nationalen Fluggesellschaft Swissair die angeklagten Manager und Verwaltungsräte strafrechtliche Verfehlungen begangen hätten. Alle 19 Angeklagten wurden freigesprochen.

Für Tschanz ging das Leben abseits der grossen Öffentlichkeit weiter. Sie übernahm verschiedene Beratungs -und Verwaltungsratsmandate und engagiert sich als Botschafterin von Pink Ribbon für die Brustkrebs-Früherkennung.

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