2013 riss Renault die Mauer ein. In einem Werbespot für das Elektroauto Zoé liess der französische Autobauer die Lärmschutzwand neben einer Autobahn zerstören. Man würde sie bald nicht mehr brauchen, schliesslich machten E-Autos keinen Lärm. Passend dazu der Song der Werbung: der 60er-Jahre-Hit «Sound of Silence» von Simon & Garfunkel.
Sauber und leise sollte die Zukunft des Verkehrs sein. Bloss: Sauber wäre sie selbst dann nicht, wenn alle Autos elektrisch fahren würden – dafür ist Dreckstrom noch zu billig. Und leise sowieso nicht.
AVAS-Regel gilt ab Juli
Erstens war die Renault-Werbung Quatsch: Bei Geschwindigkeiten über 20 km/h machen nicht die Motoren den Grossteils des Lärms, sondern die Reifen. Zweitens müssen E-Autos neu auch von Gesetzes wegen die Umwelt beschallen, selbst wenn sie langsam fahren. Die Produzenten bauen dafür extra Aussenlautsprecher ein. Grund: Fussgängerschutz. Viele Erwachsene laufen auf ihr Ohr vertrauend über die Strasse – ohne nach links und rechts zu schauen.
Die Schweiz übernimmt im Rahmen der bilateralen Verträge von der EU eine Regelung namens AVAS. Das steht für «Acoustic Vehicle Alerting System», zu Deutsch: akustische Fahrzeugwarnung. Ab 1. Juli 2019 müssen alle E-Auto-Modelle, die neu auf den Markt kommen, bis zu Tempo 20 km/h und beim Rückwärtsfahren künstlichen Lärm machen. In zwei Jahren gilt die Regelung dann für jedes neu zugelassene E-Auto – auch für Hybridautos und Plug-in-Hybrid-Modelle, deren Batterien man aufladen kann.
Und so investieren die Autohersteller seit Jahren Millionen in Musikdateien, die ihre Marke akustisch gut repräsentieren sollen. Die Lautsprecher an sich sind unspektakulär verbaut: Bei den meisten Modellen stecken sie am Motor, beim E-Golf dagegen gleich hinter der Frontschürze. Bei einigen Herstellern ist der Sound auch in der Fahrerkabine zu hören, bei anderen nicht.
Mit dem AVAS-Sound gehen die Autobauer ganz unterschiedlich um: Während etwa der kalifornische Edelhersteller Tesla gegenüber BLICK keine genauen Angaben darüber machen kann, wie er mit der neuen Pflicht umgehen wird, sind andere mit vollem Eifer bei der Sache.
BMW hat zum Beispiel öffentlichkeitswirksam einen Klangkomponisten angestellt, der in einem riesigen Studio einen «markentypischen Sound» kreierte. Und Daimler ist überzeugt, ein «dezentes charakteristisches Klangbild» erschaffen zu haben.
Renault-Fahrer können schon seit Jahren am Bordcomputer unter verschiedenen Sounds auswählen, einer davon tönt wie ein Tür-Klangspiel. Und Jaguar schuf einen Klang, der an ein Ufo erinnern soll. Bei den Tests in der Öffentlichkeit schauten die Fussgänger statt auf die Strasse allerdings in den Himmel – also mussten die Komponisten nochmals über die Bücher.
Mit dem AVAS-Sound gehen die Autobauer ganz unterschiedlich um: Während etwa der kalifornische Edelhersteller Tesla gegenüber BLICK keine genauen Angaben darüber machen kann, wie er mit der neuen Pflicht umgehen wird, sind andere mit vollem Eifer bei der Sache.
BMW hat zum Beispiel öffentlichkeitswirksam einen Klangkomponisten angestellt, der in einem riesigen Studio einen «markentypischen Sound» kreierte. Und Daimler ist überzeugt, ein «dezentes charakteristisches Klangbild» erschaffen zu haben.
Renault-Fahrer können schon seit Jahren am Bordcomputer unter verschiedenen Sounds auswählen, einer davon tönt wie ein Tür-Klangspiel. Und Jaguar schuf einen Klang, der an ein Ufo erinnern soll. Bei den Tests in der Öffentlichkeit schauten die Fussgänger statt auf die Strasse allerdings in den Himmel – also mussten die Komponisten nochmals über die Bücher.
CVP-Graber: «Schizophren!»
Jene Hersteller, die den Sound nicht eh schon in die Standardausstattung packen, bieten ihn als Zusatzpaket an. So kostet ein AVAS-Lautsprecher für den VW E-Golf zum Beispiel 160 Franken. «Bei jedem dritten E-Golf-Modell, das im 2019 in der Schweiz ausgeliefert wurde, ist das AVAS mitbestellt worden», schreibt ein VW-Sprecher auf Anfrage. Der Konzern begrüsse die Einführung.
Andere laufen dagegen Sturm. «Fast zwei Millionen Schweizer leiden unter Strassenlärm. Quartierstrassen tragen trotz tiefer Geschwindigkeiten einen grossen Teil dazu bei», schimpft der Luzerner CVP-Ständerat Konrad Graber (60) gegenüber BLICK. «Jetzt hätten wir endlich eine Lösung für das Problem – und als Erstes führen wir eine Beschallungspflicht ein. Das ist doch schizophren.»
Unfallexperten unterstützen Sommaruga
Letzten Monat hat der Bundesrat auf eine Interpellation von Graber zum Thema geantwortet. Simonetta Sommarugas (59) Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) verweist auf Studien, gemäss denen die Unfallgefahr bei leisen Fahrzeugen steige. Statistiken für Unfälle mit E-Autos gibt es in der Schweiz aber noch keine.
Zwar bestehe die Möglichkeit, Fahrzeugvorschriften bei hohen Risiken für Sicherheit, Umwelt und Gesundheit nicht automatisch von der EU zu übernehmen, so das Uvek – bei der AVAS-Regelung sei dies aber nicht der Fall, auch weil sie nicht zu mehr Lärm führe, als die bisherigen Autos mit Verbrennungsmotor verursachen. Unterstützung erhält Bundesrätin Sommaruga hier von der Beratungsstelle für Unfallverhütung, die sich über die Lärmpflicht zum Fussgängerschutz freut.
Ständerat Graber ist damit nicht einverstanden. Er wird in der Sommersession, die nächste Woche beginnt, eine Diskussion darüber verlangen. «Viel wichtiger als der künstliche Lärm ist doch, dass wir alle besser auf die anderen Verkehrsteilnehmer achten.»