Nein, es nerve ihn nicht, dass sich sein Vorgänger Daniel Koch (65) immer wieder in den Medien inszeniert und sich in den aktuellen Corona-Diskurs einmischt. «Wir tauschen uns nur noch selten aus. Manchmal sind seine Äusserungen in unserem Sinne, und mal sind sie es nicht», sagt Stefan Kuster (43), Corona-Experte des Bundes, im Interview mit der «NZZ». Damit müsse man umgehen können. «Vielleicht hat er mittlerweile andere Interessen, und das muss man entsprechend einordnen.»
Meint Kuster damit vielleicht das neue Buch über «Mister Corona», das kommenden Mittwoch erscheint? Den Teil über die Corona-Krise hat Koch selbst geschrieben. Die «Tamedia»-Zeitungen hatten Einblick ins Manuskript. «An mehreren Stellen im Text Kochs schimmert verhohlene Kritik an Wissenschaftlern durch, die sich parallel zu Koch und damit zum Bundesamt für Gesundheit in der Öffentlichkeit zum Thema Corona äusserten», heisst es. Koch bot offenbar dreimal seinen Rücktritt an (Artikel hinter Bezahlschranke).
«Gehen in einen Wiederanstieg»
Lieber als über Koch spricht Kuster über die aktuelle Corona-Lage. «Anfang des Jahres waren wir das erste Mal mit dem Virus konfrontiert, jetzt gehen wir das erste Mal in einen Wiederanstieg», sagt Kuster. Die Anzahl der Neuinfektionen steigt seit Juni wieder. Gestern gabs einen neuen Höhepunkt: In den letzten 24 Stunden wurden in der Schweiz und Liechtenstein insgesamt 528 neue Corona-Ansteckungen gemeldet. Zum letzten Mal wurden Anfang April über 500 Fälle verzeichnet. Damals wurde allerdings weniger getestet.
Der Leiter der Abteilung Übertragbare Krankheiten beim BAG fragt sich, wie lange die Schweiz es schaffe, die Risikogruppen vor dem Virus zu schützen. «Das ist die grosse Herausforderung. In den umliegenden Ländern gab es mit dem Anstieg der Fallzahlen früher oder später auch mehr Hospitalisationen.»
Genf, Waadt und Zürich jetzt gefordert
Kuster hofft nicht, dass die Pandemie wieder zentral bekämpft werden muss. «Momentan wäre dies der falsche Weg, weil sich die Hotspots auf Ballungszentren unter anderem in den Kantonen Genf, Waadt und Zürich konzentrieren. Diese Kantone sind jetzt gefordert», sagt er im «NZZ»-Interview weiter.
Von einer erneuten Schliessung der Landesgrenzen hält der Wissenschaftler nichts: «Grenzschliessungen sind dann sinnvoll, wenn es in der Nähe der Grenze einen starken Herd gibt – wie es in Norditalien der Fall war –, und wenn es im eigenen Land noch keine oder wenige Fälle hat. Wenn es in zwei Nachbarländern eine diffuse Verteilung gibt, ist eine Grenzschliessung nicht sinnvoll.» Kuster geht nicht davon aus, dass es noch einmal zu Grenzschliessungen kommt.
Gleichzeitig geht er nicht davon aus, dass man die Quarantänepflicht von zehn Tagen nach Rückkehr aus einem Risikoland verkürzt. «Die Anpassung der Dauer der Quarantäne ist im Moment aus fachlicher Sicht nicht gerechtfertigt.» Grundsätzlich solle die Reisequarantäne auch dazu führen, dass man sich überlege, ob man wirklich reisen muss, so Kuster.
Sollen Kinder Maske tragen?
Eine Frage ist derzeit, wie sich Kinder anstecken und Krankheiten übertragen. Und ob auch ein Mundschutz für Primarschüler gelten sollte. Für Kinder unter 12 Jahren gibt es keine Empfehlung vom Bund, einen Mund- und Nasenschutz zu tragen, stellt Kuster klar. «Bei kleinen Kindern ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie das Virus übertragen, deutlich geringer als bei Erwachsenen. Sie stecken sich wahrscheinlich auch seltener an. Aber natürlich gibt es keine harte Altersgrenze bei 12 oder 16 Jahren.»
Aktuell und im Herbst und Winter wohl noch viel schlimmer hustet und niest es wieder vermehrt in Kindergärten, Primar- und weiterführenden Schulen. Wenn ein Kind einen Schnupfen hat oder hustet, wann sollte man es nach Hause schicken?
«Da sind wir gerade dabei, in Zusammenarbeit mit den Pädiatern Empfehlungen auszuarbeiten. Es wird eine Grauzone geben. Aber ein einfacher Schnupfen ist kein Problem, deshalb sollte man das Kind nicht heimschicken», rät Kuster. Das sei weder sinnvoll noch nötig. «Wenn aber andere Symptome wie etwa Fieber vorliegen, dann sollte das Kind wie in jeder anderen Wintersaison auch nicht in der Schule sein.» (uro)