Foto: Kelly Smith Vorves

Start-up-Gründerin Lea von Bidder geht es mit der Gleichstellung der Frauen zu langsam
«Wer eine bessere Lösung hat als die Quote, soll sie bringen»

Mit 28 Jahren hat die Zürcherin Lea von Bidder geschafft, wovon viele Frauen nur träumen. Das US-Wirtschaftsmagazin «Forbes» zählt die Mitgründerin von Ava zu den wichtigsten Jungunternehmern. Dennoch sieht sie bei der Gleichstellung zu wenig Fortschritte.
Publiziert: 19.12.2018 um 10:53 Uhr
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Aktualisiert: 19.12.2018 um 16:26 Uhr
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Lea von Bidder (28) hat vor vier Jahren Ava mitgegründet.  Der Fruchtbarkeitstracker für das Handgelenk, teilt Frauen mit, wann sie am fruchtbarsten sind.
Foto: Kelly Smith Vorves
Claudia Gnehm
Claudia GnehmStellvertretende Wirtschaftschefin

Lea von Bidder (28) hat vor vier Jahren Ava mitgegründet. Der gleichnahmige Fruchtbarkeitstracker für das Handgelenk teilt Frauen mit, wann sie am fruchtbarsten sind. Mit ihrem Tracker werden täglich 50 bis 60 Frauen weltweit schwanger. Die Zürcherin will selber noch nicht schwanger werden – gerade steht der Honeymoon bevor. Die Ausnahmefrau macht sich grosse Sorgen über den Gender-Gap in der Schweiz, wie sie beim Treffen mit BLICK ausführt.

BLICK: Können Frauen in der jungen Start-up Szene einfacher aufsteigen als anderswo?
Lea von Bidder: Start-ups sind grundsätzlich moderner. Trotzdem haben wir in der Start-up-Szene ein Frauenproblem. Nur rund ein bis zwei Prozent des ganzen Wagnis-Kapitals geht an Frauen, respektive Teams mit einer Frau.

Woran liegt das?
Beim Netzwerken sind Frauen unterlegen. In der Start-up-Szene sind Netzwerke das A und O. An einen Investor kommt man nicht ohne Beziehung und einen guten Anwalt kriegt man über den Investor. Zu einer Konferenz eingeladen wird man über Beziehungen. Viele Gründer werden später Investoren. Diese wiederum fördern, diejenigen, die sie schon kennen. Weil das System in Männerhand ist, kommen nur wenige neue Frauen dazu.

Wie ernst werden Sie von diesen Männern genommen?
Bei mir ist das einfacher, weil ich ein Frauengesundheits-Unternehmen leite. Würde ich aber einer Blockchain- oder Kryptofirma vorstehen, wäre es wahrscheinlich anders. So oder so: Als Frau ist man immer in der Minderheit. Wenn man als einzige Frau in einen Raum kommt, auch wenn dich die Männer ernst nehmen, ist es schwierig einen Draht zu ihnen zu finden. Natürlich hilft mir, dass ich offen und extrovertiert bin.

Aber?
Zur Szene gehören auch viele Social Events. Investoren laden zum Beispiel auf einen Skitrip ein. Oder bei einem Ausflug mit nur einer Frau beschliessen die Männer, dass sie nackt baden wollen… Als Frau kann man sich durchsetzen und mitmachen, aber man bleibt immer eine Minderheit. Ich wünschte mir, dass sich das ändert. Aber es geht extrem langsam.

Woran machen Sie das fest?
Seit Jahren heisst es, es wird besser mit der Frauenvertretung, aber es bewegt sich unendlich langsam. Ich habe für meine Maturaarbeit mit Verwaltungsrätinnen gesprochen und habe voller Hoffnung über das Thema geschrieben. Zehn Jahre später gibt es bei den 20 grössten Börsenkotierten Firmen des SMI noch immer keine weiblichen CEO. Es kann doch nicht sein, dass wir erst in 200 Jahren am Ziel sind.

So pessimistisch?
Meine Mutter hat immer gesagt, für uns junge Frauen werde es besser. Es es gibt einige Fortschritte, aber nicht genug. Ich bezweifle auch, ob ein Mädchen, das heute hier geboren wird, in 20 Jahren ein ganz anderes Umfeld vorfindet. Trotzdem: Bei Ava arbeiten rund 70 Frauen und ich hoffe natürlich, dass jede einzelne sich sagt: Wenn es Lea geschafft hat, dann schaffe ich es auch. Dass sie selber etwas gründen oder Investorinnen werden.

Wieso haben Sie es geschafft?
Ich glaube nicht, dass es ein Rezept gibt. Ich habe viel Unterstützung gekriegt von meinen Mitgründern und ich bin extrem ehrgeizig. Auch habe ich immer daran geglaubt, dass ich alle Möglichkeiten habe. Das glaube ich nach wie vor.

Sind Frauenquoten die Lösung?
Ich wünschte mir, wir bräuchten die Quote nicht. Wer eine bessere Lösung hat als die Quote, soll sie bringen. Aber wenn die Quote am meisten bringt, und wir nichts anderes gefunden haben, um die Veränderung zu beschleunigen, dann sollten wir mit einer Quote anfangen. Andere Länder haben gezeigt, dass Quoten Fortschritte bringen.

Unternehmen sagen, sie sorgen freiwillig für mehr Frauen.
Das sagen sie schon seit Jahren und es passiert nichts.

Frauen wollen keine Quotenfrauen sein!
Niemand möchte als Quotenfrau dargestellt werden. Die Auswirkungen einer Quote sollten in ein paar Jahren gemessen werden. Wenn sie zu wenig bringt, war sie nicht die richtige Lösung. Immerhin hätte man es probiert.

Sie arbeiten in einem Frauenunternehmen. Wer kauft Ihren Fruchtbarkeits-Tracker Ava?
Wir erwarteten, dass wir vor allem Frauen ansprechen, die schon länger probieren schwanger zu werden oder etwas älter sind. Doch es zeigte sich, die Käuferinnen sind Frauen jeglichen Hintergrunds und Alters – oft, wenn sie die Pille oder eine andere Verhütung absetzen.

Und alle wollen schwanger werden?
Ein Grossteil davon. Viele möchten aber auch einfach ihren Zyklus, ihren Körper besser kennenlernen. Ava ist auch zu diesem Zweck entwickelt worden.

In den USA bietet Ihr neu eine Geld-Zurück-Garantie an, wenn Frauen damit nicht schwanger werden. Wie lange müssen sie probieren?
Was als lang empfunden wird, ist sehr individuell. Wir haben die Frist bei einem Jahr angesetzt bei einer Premiumversion von Ava. Wir möchten den Frauen damit sagen, dass selbst, wenn sie es jeden Monat zum richtigen Zeitpunkt probieren, nicht auf sicher schwanger werden. Denn natürlich kommt es nicht ausschliesslich aufs Timing an. Frauen, denen wir nicht helfen konnten, sollen diese Möglichkeit haben.

Wie reagieren die Männer?
Manche kaufen Ava für die Partnerin. Viele Paare kaufen es als gemeinsames Projekt, was wir sehr befürworten. Aber es gibt auch Frauen, die es dem Partner sagen, es sei ein Fitnesstracker. Tatsache ist, dass viele Paare falsche Vorstellungen und Erwartungen haben an eine Schwangerschaft. Sie denken, dass es innerhalb der ersten ein zwei Monate einschlägt. Aber die Erwartungen sind oft falsch.

Wieso?
Junge Frauen lernen nur, dass sie jederzeit schwanger werden können und was gute Verhütungsmethoden sind. Ich finde diese Information für Teenager gut. Allerdings sollte man mit Mitte 20 mehr wissen über den Zyklus. Ohne Verhütung wird man ja nicht automatisch immer schwanger.

Wird das Wissen um die Fruchtbarkeitsfenster auch immer wichtiger, weil die Frauen später Kinder möchten?
Statistisch gibt es immer mehr Paare, die Schwierigkeiten haben schwanger zu werden. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass Frauen immer später Kinder wollen. Bei einem Drittel der Paare geht es deutlich länger als sie erwartet haben.

Hilft Ava den Frauen zu mehr Kontrolle über ihr Leben?
Es geht eher um Sicherheit als um Kontrolle. Wer in der Situation ist, dass es nicht klappt, dem geht es nicht um das Kontrollieren oder Steuern. Wir sind ein Techprodukt, das Sicherheit gibt.

Das tönt etwas übertrieben.
In meinem Alter muss schon soviel zusammen kommen, dass man überhaupt bereit ist schwanger zu werden. Es ist nicht mehr einfach und darum werden die Leute auch älter, bis sie an dem Punkt sind. Und wer an dem Punkt ist und falsch gelernte Erwartungen hat, dem hilft es sehr zu wissen, dass er im Moment das Richtige macht.

Die Männer haben wohl nichts gegen fruchtbare Tage.
Natürlich gibt es solche, fragen, ob sie Ava hacken können, damit die Frauen jeden Tag Sex haben sollten. Aber die gesellschaftliche Anforderung, dass Männer jederzeit Sex haben wollen, macht jungen Männer auch Stress, wenn es um das Schwanger werden geht.

Ihre Firma expandiert neuerdings in Asien, wie reagieren die Menschen dort auf Ava?
Über das Thema schwanger werden, wird in Asien nicht gesprochen. Wir verkaufen Ava dort als Zyklus-Tracker. Wir lernen derzeit den Markt kennen. Wir möchten auch als Eisbrecher das Thema ansprechen, aber wir können uns nicht über die kulturell bedingten Befindlichkeiten hinwegsetzen. 

Sind die USA prüder als Europäer?
Im Gegenteil, es gibt ein Trend in den USA zu radikaler Offenheit. Frauen wehren sich gegen das frauenfeindliche politische Klima in den letzten zwei Jahren. Viele Frauen finden, ihre Rechte seien eingeschränkt worden, etwa durch die neuen Abtreibungsverbote.

Was wollen Sie noch mit Ava erreichen?
Wir investieren sehr viel in die Forschung und Entwicklung und möchten unter anderem ein Produkt zur Verhütung entwickeln. Immer mehr Frauen wollen weg von der hormonellen Verhütung. Aber die bisherigen Alternativen sind schwierig.

Start-up-Frau Lea von Bidder

Die Zürcherin Lea von Bidder (28) hat sich mit dem Start-up Ava international einen Namen gemacht. Ihr Handgelenktracker meldet Frauen, wann sie am fruchtbarsten sind. Das US-Wirtschaftsmagazin «Forbes» setzte 2017 die Mitgründerin des Herstellers Ava auf die Liste der 30 wichtigsten Jungunternehmerinnen und -unternehmer. Bidder studierte an der Universität St. Gallen, in Lyon, China, Montreal und in den USA. Ihr erstes Start-up, eine Schokoladenfirma, gründete sie mit 22 Jahren im indischen Bangalore. Ava startete sie im Jahr 2014 mit drei Jungunternehmern. Sie wird als Rednerin am Worldwebforum im Januar in Zürich auftreten.

Die Zürcherin Lea von Bidder (28) hat sich mit dem Start-up Ava international einen Namen gemacht. Ihr Handgelenktracker meldet Frauen, wann sie am fruchtbarsten sind. Das US-Wirtschaftsmagazin «Forbes» setzte 2017 die Mitgründerin des Herstellers Ava auf die Liste der 30 wichtigsten Jungunternehmerinnen und -unternehmer. Bidder studierte an der Universität St. Gallen, in Lyon, China, Montreal und in den USA. Ihr erstes Start-up, eine Schokoladenfirma, gründete sie mit 22 Jahren im indischen Bangalore. Ava startete sie im Jahr 2014 mit drei Jungunternehmern. Sie wird als Rednerin am Worldwebforum im Januar in Zürich auftreten.

«Feindinnen in den eigenen Reihen»

«Die Schweiz hat zwei neue Bundesrätinnen – aber es fehlen ihr die Wirtschaftsfrauen. Die Wahl von Karin Keller-Sutter und Viola Amherd wird als Erfolg gefeiert, der Jubel ist gross. Frauen loben einander, es herrscht Verbundenheit. Von jetzt an werde alles besser, so der Grundtenor. Frauen seien nun endlich in der Politik angekommen. Obwohl sie in Wahrheit schon seit Jahren zum politischen Geschehen beitragen.

Die Frage ist: Warum soll es etwas Spezielles sein, als Frau erfolgreich zu sein? Die Versuchung ist gross, ein Bild von bösen Männern zu malen: Sie mögen Frauen den Erfolg nicht gönnen, nehmen sie nicht ernst und reduzieren sie auf Haushalt und Kinderkriegen. Damit ist die Rechnung aber nur mit der Hälfte der Gesellschaft gemacht. Denn genauso, wie wir von Männern verlangen, ihren Teil zur Gleichstellung beizutragen, ist es an der Zeit, dass Frauen aufhören, selbst zu ihrer eigenen Diskriminierung beizutragen.

Weniger Neid, mehr Solidarität

Meine Beobachtungen zeigen mir: Missgunst und Neid gegenüber Frauen kommt mitunter gerade von Frauen selbst – den Feindinnen in den eigenen Reihen. Abfällige Kommentare über Karriere- und Familienplanung – ‹Du arbeitest Vollzeit und hast drei Kinder?›, ‹Wie kann man als Frau keine Kinder haben wollen?› – das Titulieren als Rabenmutter, taxierende Blicke aufs Outfit, Lästern über die Figur oder die Unterstellung, jemand sei nur wegen des Aussehens erfolgreich und auf einem Chefposten: unter Frauen gang und gäbe.

Ich bin davon überzeugt, dass viele Frauen von diesem Verhalten irritiert werden, und nicht nur, wie gerne propagiert, von einem männerdominierten Umfeld. Dass sich Frauen nur an Tagen wie der diesjährigen Bundesratswahl, am internationalen Tag der Frau oder am historischen Tag der Einführung des Frauenstimmrechts solidarisieren, ist ein Armutszeugnis.

An den Kompetenzen messen

Wir brauchen eine tolerante Kultur, in der sich Frauen gegenseitig unterstützen, fördern, vermitteln und akzeptieren sowie offen gegenübertreten. Nicht eine, in der sie sich beneiden, verurteilen und kritisieren. Damit wäre eine erste Basis geschaffen für eine Gesellschaft, die Bundesratsmitglieder und Führungskräfte nicht über das Geschlecht, sondern über Kompetenzen definiert.»

Die ehemalige Radiojournalistin Aileen Zumstein ist Unternehmerin, Verwaltungsrätin und Kommunikationsberaterin. Sie engagiert sich als Co-Gründerin von We Shape Tech Basel für Diversität im Technologie- und Innovationsbereich.  

Aileen Zumstein
Aileen Zumstein

«Die Schweiz hat zwei neue Bundesrätinnen – aber es fehlen ihr die Wirtschaftsfrauen. Die Wahl von Karin Keller-Sutter und Viola Amherd wird als Erfolg gefeiert, der Jubel ist gross. Frauen loben einander, es herrscht Verbundenheit. Von jetzt an werde alles besser, so der Grundtenor. Frauen seien nun endlich in der Politik angekommen. Obwohl sie in Wahrheit schon seit Jahren zum politischen Geschehen beitragen.

Die Frage ist: Warum soll es etwas Spezielles sein, als Frau erfolgreich zu sein? Die Versuchung ist gross, ein Bild von bösen Männern zu malen: Sie mögen Frauen den Erfolg nicht gönnen, nehmen sie nicht ernst und reduzieren sie auf Haushalt und Kinderkriegen. Damit ist die Rechnung aber nur mit der Hälfte der Gesellschaft gemacht. Denn genauso, wie wir von Männern verlangen, ihren Teil zur Gleichstellung beizutragen, ist es an der Zeit, dass Frauen aufhören, selbst zu ihrer eigenen Diskriminierung beizutragen.

Weniger Neid, mehr Solidarität

Meine Beobachtungen zeigen mir: Missgunst und Neid gegenüber Frauen kommt mitunter gerade von Frauen selbst – den Feindinnen in den eigenen Reihen. Abfällige Kommentare über Karriere- und Familienplanung – ‹Du arbeitest Vollzeit und hast drei Kinder?›, ‹Wie kann man als Frau keine Kinder haben wollen?› – das Titulieren als Rabenmutter, taxierende Blicke aufs Outfit, Lästern über die Figur oder die Unterstellung, jemand sei nur wegen des Aussehens erfolgreich und auf einem Chefposten: unter Frauen gang und gäbe.

Ich bin davon überzeugt, dass viele Frauen von diesem Verhalten irritiert werden, und nicht nur, wie gerne propagiert, von einem männerdominierten Umfeld. Dass sich Frauen nur an Tagen wie der diesjährigen Bundesratswahl, am internationalen Tag der Frau oder am historischen Tag der Einführung des Frauenstimmrechts solidarisieren, ist ein Armutszeugnis.

An den Kompetenzen messen

Wir brauchen eine tolerante Kultur, in der sich Frauen gegenseitig unterstützen, fördern, vermitteln und akzeptieren sowie offen gegenübertreten. Nicht eine, in der sie sich beneiden, verurteilen und kritisieren. Damit wäre eine erste Basis geschaffen für eine Gesellschaft, die Bundesratsmitglieder und Führungskräfte nicht über das Geschlecht, sondern über Kompetenzen definiert.»

Die ehemalige Radiojournalistin Aileen Zumstein ist Unternehmerin, Verwaltungsrätin und Kommunikationsberaterin. Sie engagiert sich als Co-Gründerin von We Shape Tech Basel für Diversität im Technologie- und Innovationsbereich.  

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