Nach der Klimawahl ist klar: Der politische Druck auf die Wirtschaft steigt. Sie muss grüner werden. Doch auch aus der Wirtschaft selbst kommen vielfältige Initiativen für umweltfreundliche Lösungen. Bloss: Wie sieht die Ökowirtschaft des 21. Jahrhunderts konkret aus? Und was kostet sie? «Sie ist kohlenstofffrei und produziert günstiger als heute», sagt der amerikanische Starökonom Jeremy Rifkin (74) im Gespräch mit SonntagsBlick. Damit beschreibt er keine ferne Zukunft – im Gegenteil: «Bis 2028 wird unsere fossil befeuerte Welt von einer digitalen grünen Zivilisation abgelöst.»
In seinem neuen Buch «Der globale Green New Deal» skizziert Rifkin die Grundzüge dieser Zivilisation, die gerade in seinem Heimatland weit von der Realität entfernt scheint: Von 2012 bis 2019 verdoppelte sich die amerikanische Erdöl-Produktion von 5,5 Millionen auf zwölf Millionen Barrel pro Tag. Die USA sind Öl-Exportweltmeister.
Doch seit diesem Sommer kommt der Boom ins Stocken. Die Ölpreise fallen, Investoren wenden sich ab, Förderfirmen gehen pleite.
Riesige Kohlenstoffblase wird platzen
«Das ist erst der Anfang», sagt Rifkin. «Die Ära der fossilen Energien ist zu Ende.» Die Ölindustrie müsse mit gestrandeten Anlagewerten in Höhe von 100 Billionen US-Dollar rechnen – Geld, das vernichtet wird, weil die Firmen auf ihrem Öl sitzen bleiben. «Es ist eine riesige Kohlenstoffblase. Und sie wird platzen.»
Der Grund: Die vier Schlüsselsektoren Kommunikation, Elektrizität, Mobilität und Immobilien entkoppeln sich von den alten Brennstoffen. Rifkin: «Solar- und Windenergie sind heute schon billiger als Kohle und Gas. Ein Showdown mit dem fossilen Energiesektor ist programmiert.» Und der Markt reagiert: Die Techgiganten Google, Facebook und Apple decken den riesigen Strombedarf ihrer Datenzentren bereits heute mit nachhaltiger Energie. Andere Konzerne ziehen nach.
Was Bohrtürmen und Pipelines droht, blüht auch den Verbrennungsmotoren: «Bis 2025 werden Elektrofahrzeuge billiger sein als Verbrenner», sagt Ökonom Rifkin. «Benzinautos stehen vor dem Aus.» Die Automobilbranche trifft bereits konkrete Vorbereitungen, sie in den Ruhestand zu schicken. Volkswagen hat 80 Milliarden Euro für den Übergang zu E-Autos bereitgestellt. Bis 2025 will der Konzern 50 neue batteriebetriebene Fahrzeugmodelle auf den Markt bringen. BMW macht 50 Milliarden locker für zwölf neue E-Modelle. Damit nicht genug. Jeremy Rifkin ist überzeugt: «In Zukunft werden wir uns in fahrerlosen Autos auf smarten Strassensystemen bewegen.» Basis dafür ist das Internet, das nicht nur im Verkehr eine zentrale Rolle spielt. Kommunikation, Energie, Mobilität und Logistik werden digital verknüpft. Die Infrastruktur ist das Internet der Dinge, eingebettet in sämtlichen privaten, gewerblichen und öffentlichen Gebäuden. Rifkin verspricht sich davon eine drastische Steigerung der energetischen Gesamteffizienz und der Produktivität. Eine total digitalisierte grüne Welt vom intelligenten Stromnetz bis zum autonomen Fahrzeug – das ist doch Science-Fiction!
Pensionskassen steigen um
«Nein», entgegnet Dirk Helbing (54), ETH-Professor für Computational Social Science. «Eine Verbreitung des Internets der Dinge steht uns in der Tat bevor.» Digitalisierung sei ein starker Katalysator, aber es brauche ein Umdenken: «Das alte Gegeneinander muss zu einem Miteinander werden, zu einer Sharing Economy, die Ressourcen und Informationen teilt.»
Gratis ist das alles nicht. Der Umstieg auf grüne Energie, E-Autos und vernetzte Städte kostet Milliarden. Wie lässt sich der Übergang finanzieren? «Reinvestition», sagt Jeremy Rifkin und verweist auf die Pensionskassen. Sie sind der weltweit wichtigste Investor mit dem grössten Kapitalpool. Noch investieren viele von ihnen in die fossile Energieindustrie. «Wenn die Kohlenstoffblase platzt, wird das verheerend für Millionen von Arbeitern.» Immer mehr Pensionskassen steigen deshalb aus den fossilen Energien aus und investieren in erneuerbare. Rifkin: «Es ist die grösste Reinvestitionsbewegung in der Geschichte des Kapitalismus.»
Massimo Filippini (56), ETH-Professor für Energiewirtschaft, bestätigt den Trend. «Immer mehr Banken, Investmentfonds und Pensionskassen setzen auf Green Finance.»
Gute Voraussetzungen in der Schweiz
Der Markt allein werde es nicht richten, glaubt Ökonom Rifkin. «Die Politik muss für neue Gesetze sorgen und Impulse setzen – mit Anreizen und Sanktionen.» In der Schweiz seien die Voraussetzungen dafür gut. In der Tat: Vom neuen Parlament in Bern sind solche Impulse durchaus zu erwarten. «Der Wählerauftrag ist klar», sagt Politologe Lukas Golder (45), Co-Leiter der GFS Bern. «Jetzt sind starke Figuren im Parlament gefragt, die eine grüne Brücke zur Wirtschaft schlagen.»
In den USA dürfte das schwieriger werden. Dort hat die Öllobby einen mächtigen Verbündeten: Donald Trump. Hat Jeremy Rifkin dem Präsidenten ein Exemplar seines Buches geschickt? «Nein. Ich bin nicht sicher, ob er lesen kann.»