Starhistoriker Frank Trentmann (54) im Interview
«Die meisten Konsumenten haben ein schlechtes Gewissen»

Mit dem Buch «Herrschaft der Dinge» hat Frank Trentmann (54) einen internationalen Bestseller geschrieben, der ihn in die Riege der Starhistoriker katapultiert hat.
Publiziert: 11.01.2020 um 23:37 Uhr
Frank Trentmann (54), in seinem Büro in London.
Foto: Mark Chilvers
Interview: Danny Schlumpf

Der an der Universität London lehrende Deutsche hat die Geschichte des globalen Konsums seit dem 15. Jahrhundert erforscht. Dinge und deren Konsum seien Teil unserer Identität geworden, sagt Trentmann im Gespräch mit SonntagsBlick – und ein schweres kulturelles Erbe für die heutige Klimakrise.

SonntagsBlick: In der Klimadiskussion ist immer wieder zu hören: Ihr müsst euch umstellen! Bloss: Ändern die Menschen ihre Konsumgewohnheiten auf gutes Zureden hin?
Frank Trentmann: Leider nein. Für die meisten Menschen bewirkt dies wenig. Die meisten wissen zudem, dass ihr Konsum ökologische und soziale Nachwirkungen hat. Sie tragen ein schlechtes Gewissen mit sich herum, wenn Lebensmittel wieder in die Tonne wandern. Also am Bewusstsein hapert es weniger. Die Herausforderung liegt bei der Umsetzung von der Idee in die Praxis.

Haben wir bei unseren Konsumentscheidungen überhaupt eine individuelle Wahl?
Selbstverständlich können wir zwischen diesem oder jenem Produkt wählen. Aber ein grosser Teil unseres Konsums ist letztlich von gesellschaftlichen Normen und Rhythmen geprägt. Das heisst, der eine mag sich für Mercedes statt BMW entscheiden, aber die Mobilität als solche ist eine alltägliche Gewohnheit, die nicht von uns Einzelnen entschieden wird, sondern von Städteplanern, dem Staat, Gemeinden und auch von gesellschaftlichen Freizeitmustern.

Wie ist unter diesen Umständen Veränderung möglich?
Um Konsum wirklich verändern zu wollen, braucht es Fantasie und den politischen Willen, sich den Alltag anders vorzustellen. Das schliesst unser Wohnen und unsere Mobilität genauso ein wie, was wir wo in den Geschäften kaufen. Zum Glück gibt es hier die lange Geschichte des Konsums: Denn was heute als normal gilt, war vor einigen Generationen noch ganz anders. Es gibt also die Möglichkeit anders zu leben. Wir vergessen dies nur zu schnell.

Der Druck auf die Konsumenten steigt. Flugscham ist nur eines von vielen Scham-Wörtern, die kursieren. Gibt es in der Geschichte Parallelen zu diesem Phänomen?
Eine lange Reihe: Von den Attacken auf Frauen, die ausländische Baumwolltücher und Kleidungsstücke trugen, und noch im 18. Jahrhundert in der Schweiz und Teilen Mitteleuropas nicht nur mit «shaming» rechnen mussten, sondern mit Geldstrafen und sogar Gefängnis. Oft waren es Nationalisten und Patrioten, die mit Scham und Moral an Konsumenten appellierten.

Gibt es markante Beispiele?
Denken Sie nur an die Amerikanische Revolution von 1776. Dann in den 1920er-Jahren, als Gandhi eine Massenbewegung gegen das britische Empire mit Boykotten gegen dessen Produkte mobilisierte und im Gegenzug Inder dazu aufforderte, sich auf heimisches, selbst gesponnenes, raues Khadi zu konzentrieren. Im Grossen und Ganzen gesehen verpufften diese Kampagnen aber genauso schnell, wie sie begannen. Am Ende stieg der Konsum weiter an.

Gibt es fixe Kriterien, die den Konsum der Menschen steuern?
Menschen haben schon immer konsumiert – ohne Lebensmittel und einen warmen Herd lebt Homo sapiens nicht lange. Aber die Muster und Präferenzen haben sich extrem verschoben. Bis in die frühe Neuzeit wurde die Welt der Dinge meist als böse Versuchung und als Feind der menschlichen Seele gesehen. Erst seit dem 17. Jahrhundert hat sich eine neue Sichtweise durchgesetzt, in der Dinge und deren Konsum als essenzieller Teil der menschlichen Identität angesehen werden. Dies ist ein wohl wichtiger Teil unserer demokratischen Kultur geworden, aber auch ein schweres kulturelles Erbe für unsere heutige Klimakrise.

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