BLICK interviewt Star-Politologe Francis Fukuyama
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Interview mit Francis Fukuyama:BLICK interviewt Star-Politologe Francis Fukuyama

Star-Politologe Fukuyama (66) über das WEF, Trump und die Krise des Westens
«Viele Länder werden Demokratien wie der Schweiz nacheifern»

Das Ende des Kommunismus bedeutete das Ende der Geschichte. Mit dieser Behauptung wurde Francis Fukuyama vor knapp dreissig Jahren weltberühmt. Mit BLICK spricht der Politikwissenschaftler über das World Economic Forum, Donald Trump und den Brexit.
Publiziert: 21.01.2019 um 00:14 Uhr
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Aktualisiert: 26.09.2022 um 13:51 Uhr
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Wie von einer unsichtbaren Schnur geleitet würden Gesellschaften zu Demokratien werden, prophezeite Stanford-Professor Francis Fukuyama.
Foto: Keystone
Interview: Fabienne Kinzelmann und Konrad Staehelin

Wenn sich die globale Elite zum 49. Mal am Word Economic Forum trifft, wird der Bündner Ferienort Davos für eine Woche zur Metropole. Repräsentanten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft begegnen sich zum Austausch und diskutieren die ganz grossen Fragen. Globalisierung, Wachstum, Armut. Diese stellt auch immer wieder Francis Fukuyama (66). Der Politikwissenschaftler behauptete das Ende des Kommunismus sei «Das Ende der Geschichte». Mit dem gleichnamigen Buch wurde Fukuyama vor dreissig Jahren weltberühmt. Doch die Geschichte ging weiter: 9/11, die Finanzkrise, Putin, der Aufstieg Chinas, Trump. Ist die Geschichte als doch nicht zu Ende? BLICK erreicht Fukuyama via Skype in seinem Büro an der Elite-Uni Stanford.

BLICK: Herr Fukuyama, Klimakatastrophe, Flüchtlingskrise und der rasante Aufstieg der Rechtspopulisten. Ist es nur ein Gefühl oder brennt die Welt wirklich?
Francis Fukuyama:
In vielen Bereichen steht die Welt so gut da wie nie zuvor. Die Kindersterblichkeit ist tief, Hunderte von Millionen sind der extremen Armut entflohen. Doch die liberale Weltordnung hat trotz des Wirtschaftswachstums zu grosser Ungleichheit geführt. In allen Ländern gibt es eine Klasse von Oligarchen, denen es enorm gut geht. Viele von ihnen treffen sich diese Woche in Davos.

Klaus Schwab hat das WEF 1971 mit dem Ziel gegründet, dass die Mächtigen der Welt miteinander reden. Jetzt fehlen Donald Trump, Emmanuel Macron, Xi Jinping, Wladimir Putin und Theresa May. Was heisst das?
Es sagt mehr über das WEF aus als über diese Politiker. Das Prestige des WEF hat sich in unseren populistischen Zeiten geändert. Ich war überrascht, dass Trump letztes Jahr nach Davos reiste. Er hat die Aufmerksamkeit offensichtlich so nötig, dass er nicht widerstehen konnte. Aber ideologisch ergibt das keinen Sinn für ihn – er attackiert oft genau jene, die nach Davos fahren. Mit den anhaltenden Protesten der Gilets jaunes in Frankreich ist es verständlich, dass auch Macron nicht mit der Wirtschaftselite in Verbindung gebracht werden will.

Davos first! Auch ohne Trump kommen Prominente

Am diesjährigen Weltwirtschaftsforum (WEF) fehlen neben Donald Trump viele andere Politik-Grössen. Dennoch hat das WEF einiges zu bieten. Bundespräsident Ueli Maurer (68) hat am Dienstag seinen Auftritt. Er will sich am WEF in Davos mit vielen Staats- und Regierungschefs treffen. Zudem wird der Bundespräsident an einem Anlass von Digitalswitzerland mit Nationalbankpräsident Thomas Jordan (55) und dem digitalen Vordenker Sebastian Thrun (51) über die Chancen und Risiken der Digitalisierung unseres Geldes debattieren. 

Die Abwesenden prägen das WEF trotzdem. So wird keine Diskussion über die künftige Wirtschaftsentwicklung um Fragen wie «Was droht bei einer Verschärfung des Handelskrieges?» oder «Was wären die Folgen eines ungeregelten Austritts Grossbritannien aus der EU?» herumkommen. Mit Spannung erwartet werden der Auftritt des umstrittenen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro (63), der für seine erste Auslandsreise extra einen medizinischen Eingriff verschoben hat. Oder die Rede der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (64).

Am diesjährigen Weltwirtschaftsforum (WEF) fehlen neben Donald Trump viele andere Politik-Grössen. Dennoch hat das WEF einiges zu bieten. Bundespräsident Ueli Maurer (68) hat am Dienstag seinen Auftritt. Er will sich am WEF in Davos mit vielen Staats- und Regierungschefs treffen. Zudem wird der Bundespräsident an einem Anlass von Digitalswitzerland mit Nationalbankpräsident Thomas Jordan (55) und dem digitalen Vordenker Sebastian Thrun (51) über die Chancen und Risiken der Digitalisierung unseres Geldes debattieren. 

Die Abwesenden prägen das WEF trotzdem. So wird keine Diskussion über die künftige Wirtschaftsentwicklung um Fragen wie «Was droht bei einer Verschärfung des Handelskrieges?» oder «Was wären die Folgen eines ungeregelten Austritts Grossbritannien aus der EU?» herumkommen. Mit Spannung erwartet werden der Auftritt des umstrittenen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro (63), der für seine erste Auslandsreise extra einen medizinischen Eingriff verschoben hat. Oder die Rede der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (64).

Also hat das WEF wegen des Populismus an Bedeutung verloren?
Ich weiss nicht, wie wichtig Davos jemals war. Viele der Ideen, die dort vertreten werden, sind heute überholt – darum ist auch das WEF weniger einflussreich.

Als Trump vor zwei Jahren als Präsident loslegte, erwarteten viele den Weltuntergang. Doch wir leben immer noch, und er hat alle aufgerüttelt. Das hat doch etwas Gutes.
Er wird schlimmer. Im ersten Jahr war er anständig. Mittlerweile hat er alle Leute um sich gefeuert, die ihn zurückgehalten haben. Darum haben wir jetzt den längsten Shutdown der US-Geschichte. Am meisten sorge ich mich aber, dass Russland noch weiter in die Ukraine einmarschieren oder China Taiwan angreifen könnte. Wenn ich Putin oder Xi wäre, würde ich die Möglichkeit ausnutzen. Die US-Regierung funktioniert im Moment so schlecht, dass sie wohl keine starke Antwort darauf parat hätte.

Also geben die USA wegen Trump ihren internationalen Einfluss auf?
Das Problem liegt tiefer. Die amerikanische Gesellschaft ist gespalten. Trump macht aber alles noch schlimmer. Er hat die absurde These geäussert, dass das kleine Montenegro den dritten Weltkrieg anzetteln könnte. Die einzig mögliche Quelle dafür ist das direkte Gespräch mit Putin. Aber Trump lässt keinen die Protokolle davon sehen. Wir haben also einen US-Präsidenten, der sich wie ein russischer Agent verhält. Das ist keine gute Situation für den Westen.

Trump, der Brexit, die Hilflosigkeit der EU in der Flüchtlingskrise: Die westlichen Demokratien schaden sich selbst. Putin und Xi dagegen setzen ihren Plan durch. Ist das der bessere Weg?
Die liberale Demokratie ist nicht für jedes Land unbedingt die beste Lösung. Autoritäre Regime sind selbstbewusster geworden, allen voran China. Aber die Kommunistische Partei dort hat noch keine grössere Krise überstehen müssen. Sollte das Wirtschaftswachstum stark zurückgehen, könnte es zu sozialen Spannungen kommen.

Er hat das «Ende der Geschichte» ausgerufen

Der 66-jährige Politikwissenschaftler Francis Fukuyama lehrt an der Stanford University in Kalifornien. Er wurde 1989 nach dem Kalten Krieg und dem Zusammenbruch des Kommunismus mit seiner These vom Ende der Geschichte bekannt. Der politische und ökonomische Liberalismus habe gesiegt, eine Alternative gebe es nicht, sagte er. Später zeigte Fukuyama vor allem auch Defizite der Demokratie auf. Diese lägen in der Umsetzung, nicht in der Idee. Fukuyama ist der Enkel japanischer Einwanderer und wurde in Chicago (USA) geboren. In seiner Freizeit schreinert er Möbel im Kolonialstil. Fukuyama ist verheiratet und hat drei Kinder.

Der 66-jährige Politikwissenschaftler Francis Fukuyama lehrt an der Stanford University in Kalifornien. Er wurde 1989 nach dem Kalten Krieg und dem Zusammenbruch des Kommunismus mit seiner These vom Ende der Geschichte bekannt. Der politische und ökonomische Liberalismus habe gesiegt, eine Alternative gebe es nicht, sagte er. Später zeigte Fukuyama vor allem auch Defizite der Demokratie auf. Diese lägen in der Umsetzung, nicht in der Idee. Fukuyama ist der Enkel japanischer Einwanderer und wurde in Chicago (USA) geboren. In seiner Freizeit schreinert er Möbel im Kolonialstil. Fukuyama ist verheiratet und hat drei Kinder.

Für Sie hatte sich die liberale Demokratie als «Ende der Geschichte» schon durchgesetzt. China beweist jetzt das Gegenteil.
Ja. Ich glaube aber nicht, dass sich der Westen an der autoritären Marktwirtschaft von China orientieren wird. Die kann man nicht kopieren. Viel eher werden viele Länder prosperierenden, nicht korrupten Demokratien wie der Schweiz oder Dänemark nacheifern.

Wie wird 2019?
Vielleicht muss es noch schlechter werden, bevor es besser werden kann. Das Vereinigte Königreich ist jetzt so nahe an der Klippe des No-Deal-Brexits, dass viele Menschen erstmals sehen, wie desaströs die Auswirkungen wären.

Und in den USA?
Wir werden ein schreckliches Jahr haben. Washington ist geteilt und gelähmt, die Schlinge um Trump zieht sich zu. Der Shutdown ist bloss ein erstes Symptom des kaputten Systems. Aber selbst das kann etwas Gutes nach sich ziehen, nämlich dass die Leute ihn definitiv satt haben und 2020 einen normalen Präsidenten wählen.

Vor ein paar Monaten war Trumps ehemaliger Berater Steve Bannon in Zürich und sagte, Christoph Blocher sei in den 1990ern Trump vor Trump gewesen. Warum war die Schweiz hier Vorreiterin?
Die Schweiz hat, wenn man von Luxemburg absieht, mit 25 Prozent den höchsten Ausländeranteil in Europa. Das ist enorm viel. Auch wenn im Gegensatz zu Frankreich die meisten Einwanderer aus Europa und nicht aus islamisch geprägten Ländern kommen. Die Schweiz ist ausserdem sehr konservativ. Es ist jedoch immer schwer vorauszusagen, wann sich dies politisch niederschlägt. Entscheidend sind jeweils starke politische Köpfe wie Blocher oder Trump. Hätte er gewollt, hätte Trump schon vor 15 Jahren an die Macht kommen können.

Wirklich? Die Finanzkrise vor gut zehn Jahren hat ihren Teil zu seinem Erfolg beigetragen.
Das stimmt auch wieder. Damals war die Linke vielerorts an der Macht. Obwohl die Finanzindustrie für die Krise verantwortlich war, hat sie diese nicht zurückgestutzt. Obama stellte viele Wall-Street-Leute ein und Hillary Clinton nahm hohe Honorare für Vorträge bei Goldman Sachs an. Kein Wunder, steckten die Leute die Demokraten mit der Finanz-Elite in eine Schublade.

Hat die Linke versagt?
In den USA, aber auch in vielen Ländern Westeuropas, ist die Linke ab den 1990ern zu stark in die Mitte gerückt und hat keine wirtschaftliche Alternative mehr geboten. Viele der Menschen, die von den Sozialdemokraten zu den Rechten übergelaufen sind, haben aber auch das Gefühl, dass ihre nationale Identität durch die Migration verwässert wird. Wäre ich Politiker, würde ich eine linke Wirtschaftspolitik mit einer kulturell konservativen Politik verbinden, also der Migration mehr Beachtung schenken.

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