Städte schlagen Alarm
Jetzt geht das Lädelisterben erst richtig los

Die Übermacht der Online-Shops drückt erst richtig durch. Die Luft für die Läden wird dünner und dünner. Die Städte wirken immer verschlafener – und versuchen verzweifelt, Gegenmassnahmen zu ergreifen.
Publiziert: 23.02.2019 um 23:49 Uhr
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Thierry Steiert, Stadtammann von Freiburg, kämpft gegen ein «gotisches Ballenberg».
Foto: Peter Gerber
Moritz Kaufmann
Moritz KaufmannWirtschaftsredaktor

Es klingt nach Alarmstufe Rot: «Viele Innenstädte sind in höchster Not.» Heimat und sogar die Versorgungssicherheit stünden auf dem Spiel. Und das alles, weil mehr und mehr Läden dichtmachen. So formulierte es Anfang Woche der deutsche Handelsverband in einer Mitteilung.

In der Schweiz wählt man zwar vorsichtigere Worte. Doch die Situation ist ähnlich dramatisch. Das Lädelisterben ist in vollem Gange! Längst trifft es nicht mehr nur die Kleinen. Diese Woche veröffentlichte zum Beispiel der Detailhandelsmulti Coop seine Geschäftszahlen. Unter dem Strich hat er zwar die Verkaufsfläche im Jahr 2018 ausgebaut. Sieht man aber von den Supermärkten und den Tankstellen ab, zeigt sich ein ganz anderes Bild: Fast alle zu Coop gehörenden Einzelhandelsketten – von Inter Discount über die Import Parfumerie bis hin zu Christ Uhren und Schmuck – haben Filialen und Flächen abgebaut. Bei der Migros, welche die detaillierten Zahlen erst noch vorlegen wird, sticht ein Umsatzeinbruch von 5,7 Prozent bei Globus ins Auge.

Schweizer kaufen für 8,6 Milliarden Franken online ein

«Das Ladensterben hat noch gar nicht richtig begonnen, kommt aber jetzt», sagt Internethandelsexperte Alexander Graf zu SonntagsBlick. «Wer bis jetzt überlebt hat, hat eben nur überlebt.» Wenn nächste Woche der Verband des Schweizerischen Versandhandels die Onlineshopping-Zahlen präsentiert, wird wieder ein dickes Plus resultieren – wie schon in den vergangenen Jahren. Aktuell kaufen Schweizerinnen und Schweizer für 8,6 Milliarden Franken online ein, davon für 1,6 Mil­liarden bei ausländischen Shops. Das zwingt immer mehr Läden aufzugeben. Der Immobilienberater Wüest Partner geht davon aus, dass die Mieten für Verkaufsflächen 2019 weiter sinken werden. Die Angebotsziffer – also das Verhältnis zwischen den angebotenen Ladenlokalen und dem Totalbestand – steigt seit Jahren.

In gewissen ­A-Lagen, etwa an der Zürcher Bahnhofsstrasse, dürfte das Vermieten von Ladenflächen zwar weiterhin kein Problem sein. Doch in B-Lagen und kleineren Städten – dort, wo nicht so viele Passanten vorbeilaufen, droht die grosse Öde. Und das spüren die Städte zunehmend. Ihre Innen- und Altstädte wirken immer verschlafener. «Wenn Geschäfte schliessen, wirkt sich das direkt auf das Leben und die Vielfalt in den Innenstädten aus», konstatiert Martin Tschirren, stellvertretender Direktor des Schweizerischen Städteverbands, «Läden gehören zur DNA einer ­lebendigen Innenstadt.»

Freiburgs Altstadt soll zur Touristenzone erklärt werden

Eines von vielen Beispielen ist die Zähringerstadt Freiburg. «Wir sind keine A-Lage. Wir sind nicht in derselben Liga wie Interlaken oder die Bahnhofstrasse in Zürich», sagt Thierry Steiert, Stadtammann von Freiburg. Er kämpft seit Jahren um eine belebte Altstadt, das Herz von Freiburg. Analysen wurden gemacht, Workshops mit Anwohnern, Vermietern, Ladenbesitzern und Beizern durchgeführt. «Wir haben eine spektakuläre Altstadt. Die wollen wir neu gestalten und möglichst beleben», sagt Steiert, «sie soll kein gotisches Ballenberg werden.» Steiert weiss, dass er den ­Onlinehandel nicht wegzaubern kann. Deshalb versucht er neue ­Impulse zu setzen. Er kämpft dafür, dass die Altstadt zur Touristenzone erklärt wird. So dürften die Läden wochentags bis 22 Uhr und auch sonntags geöffnet haben – und das im erzkatholischen Freiburg! Noch muss das Stadtparlament ­darüber entscheiden. «Das Kleingewerbe ist für eine Innenstadt enorm wichtig», sagt Steiert. «Es wäre naiv zu glauben, dass man alle leere ­Ladenflächen mit Cafés und Kinderkrippen ersetzen kann.» Ausserdem hätten neue Läden nicht die gleiche Qualität. «Ein Tattooshop ist zum Beispiel nicht das Gleiche wie ein Bergsportladen.»

Bei den Ladenbesitzern stossen diese Worte auf Genugtuung. «Es scheint, als habe man erst jetzt realisiert, was man an den Läden hat», sagt Dagmar Jenni, Geschäftsführerin der Swiss Retail Federation, welche die kleinen und mittleren Läden vertritt. Man habe die Bedürfnisse der Geschäfte zu lange sträflich vernachlässigt. «Es kann nicht sein, dass wir nur noch an den Bahnhöfen oder Tankstellen einkaufen. Wir wollen belebte Innenstädte.»

Vor allem der Non-Food-Bereich ist betroffen

Doch das Grundproblem bleibt: Online frisst den Läden die Existenzgrundlage weg. Martin Tschirren vom Städteverband sieht eine Lösung in einer Kombination von Online- und normalem Laden. ­«Läden als Demo- und Abhol-Hubs oder gemeinsame Lager- und ­Lieferservices können den Handel stärken.»
E-Commerce-Experte Graf ist skeptisch: «Kein Online-offline-Modell hat richtig funktioniert.» Er sieht schwarz für den Handel, wie wir ihn kennen. «Bis jetzt ist es keinem einzigen stationären Händler gelungen, Marktanteile zurückzugewinnen. Und der stationäre Markt schrumpft weiter.» Dabei sei es ein Bedürfnis der Menschen, sich zu treffen und auszutauschen. «Doch dies wird nicht mehr durch den Handel finanziert werden. In Zukunft wird sich das anders organisieren.» Und auch Laden-Botschafterin Dagmar Jenni macht sich wenig Illusionen: «Ich gehe davon aus, dass das Ladensterben weitergeht. Gerade im Non-Food-Bereich und vor allem im Bekleidungsbereich ist die Lage ernst.»
Alarmstufe Rot also, auch in der Schweiz.

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