Carsten Koerl errechnet Wahrscheinlichkeiten für Sportwetten
Er weiss genau, ob ein Tor fällt

«Bei Penalty liegt die Torwahrscheinlichkeit zwischen 69 Prozent in der italienischen Serie A und 75 in der französische Ligue 1. In der Bundesliga sind 72 Prozent drin», sagt Carsten Koerl, Doktor Data des Sports und Chef der Firma Sportradar.
Publiziert: 22.09.2018 um 19:43 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2021 um 07:03 Uhr
Gründer von Sportradar im BLICK-Interview
2:13
Carsten Koerl über die hohe Kunst des Wettens:Gründer von Sportradar im BLICK-Interview
Harry Büsser

Für die Fotografin schaut er durch eine Art Riesenmuschel, die im Eingangsbereich des Hauptsitzes seiner Firma in St. Gallen steht. Carsten Koerl, Chef und Gründer von Sportradar, sagt, er habe einem Künstler fast freie Hand bei der Gestaltung der Büros gegeben. Dieser schleudere morgendlich Kaffeesatz auf eine Leinwand. Die Ergebnisse hängen an den Wänden in St. Gallen. Koerl lacht oft, während er erzählt.

Kürzlich hat der Wert seines Anteils an der Firma eine Milliarde Franken überschritten. «Ich will gestalten, die Firma macht mir Spass», sagt Koerl. Seine Firma sammelt Sportdaten, bereitet sie auf und verkauft ihre Analysen an Medien und Sportwettanbieter. Sport ist dem Chef wichtig. In seinem Büro gibt es einen Minigolf-Kunstrasen. Dort spiele er manchmal beim Telefonieren, sagt die Assistentin: «Er kann Multitasking!»

Carsten Koerl

Carsten Koerl (53) lebt in Teufen AR, geht aber über 200 Tage im Jahr weltweit auf Reisen zu Kunden und Mitarbeitern. Er ist Vater eines Sohnes und zweier Töchter. Er war nie als Angestellter tätig, gründete bereits während des Studiums zwei Firmen. Später brachte er den Sportwettanbieter Bwin an die Börse und verkaufte seine Anteile. Inzwischen hat er die Firma Sportradar aufgebaut, deren Mehrheitseigentümer und Chef er ist. Seine Anteile dort sind mit über einer Milliarde Franken bewertet.

Carsten Koerl (53) lebt in Teufen AR, geht aber über 200 Tage im Jahr weltweit auf Reisen zu Kunden und Mitarbeitern. Er ist Vater eines Sohnes und zweier Töchter. Er war nie als Angestellter tätig, gründete bereits während des Studiums zwei Firmen. Später brachte er den Sportwettanbieter Bwin an die Börse und verkaufte seine Anteile. Inzwischen hat er die Firma Sportradar aufgebaut, deren Mehrheitseigentümer und Chef er ist. Seine Anteile dort sind mit über einer Milliarde Franken bewertet.

Im Aufenthaltsraum hängt eine Dartscheibe, links steht ein Tischfussball und fast in der Mitte eine Tischtennisplatte. Koerl spielt gut, schmettert jedoch den ersten Ball daneben. Man spürt seinen spielerischen Ehrgeiz. Jeder Punkt ist ihm wichtig. Wir beginnen das Interview während des Spiels.

Ich habe beim US Open auf den Sieg von Roger Federer gewettet. War das eine gute Idee?
Carsten Koerl: Auf Federer zu setzen, ist immer eine gute Idee, denn er ist immer einer der Favoriten. Aber das konkrete Resultat hängt von seiner Form ab und davon, wer sich sonst noch qualifiziert. Das muss man wissen, bevor man die Wahrscheinlichkeit eines Sieges berechnen kann.

Weil Federer einer der Favoriten ist, liegt die Gewinnquote tief.
Die Quote ist nur eine Momentaufnahme von Wahrscheinlichkeiten – und Sportwetten sind vor allem Unterhaltung für Fans.

Es gibt Leute, die Sportwetten professionell betreiben ...
Es sind ganz wenige, die professionell Sportwetten platzieren.

Funktioniert das, Wetten mit mathematischen Systemen?
Wenn ein Sportwettanbieter einen Kunden hat, der immer gewinnt, muss er ihn so limitieren, dass er keinen Schaden anrichten kann. Es ist wie beim Blackjack im Casino: Wenn Sie beim Kartenzählen erwischt werden, lässt man Sie hinausbegleiten.

Manchmal wird auch betrogen.
Es gibt Muster, an denen man das erkennen kann.

Zum Beispiel?
Wenn in der ersten Halbzeit eines Fussballspiels keine Tore fallen, gibt es Wahrscheinlichkeiten – je nach Liga und Mannschaften –, wie viele Tore noch kommen.

Interessant wird es, wenn die Wahrscheinlichkeit stark von den Wetten abweicht.
Ja, wenn jetzt jemand viel darauf wettet, dass noch drei Tore oder mehr fallen, dann analysieren wir das.

Weil das unwahrscheinlich ist.
Vielleicht sehen wir im Spiel, dass der Schiedsrichter in den letzten Minuten einige Penaltys pfeift.

Was noch kein Beweis ist.
Wir analysieren auch sein soziales Umfeld in den sozialen Medien, schauen uns an, mit wem er verkehrt und in welchen Spielen er vorher gepfiffen hat. Aus diesen Puzzleteilen kann sich ein Beweisbild zusammensetzen. Unsere Daten sind die einzigen, die vor dem Internationalen Sportschiedsgericht in Lausanne als Beweismittel zugelassen sind.

Ihre Daten sind also treffsicher.
Wenn wir ein Betrugsmuster erkennen, können wir schnell sagen, wie ein Spiel ausgehen wird.

Passiert das oft?
Sehr selten, eher jedes tausendste als jedes hundertste Mal.

Wetten für Milliarden

Rund 6000 freie Mitarbeiter erheben für Sportradar weltweit Daten in den Spielstätten, fest angestellt sind 2000. Dieses Jahr strebt die Firma einen Umsatz von 350 Millionen Euro an, 2017 erreichte man 280 Millionen. 30 Prozent des Umsatzes werden mit 1500 Kunden im Medienmarkt erwirtschaftet, der Rest mit rund 600 Sportwettanbietern, die Daten und Analysen von Sportradar beziehen. Aus dem Verkauf von Anteilen lässt sich ein Wert des Unternehmens von 2,1 Milliarden Euro ableiten. Carsten Koerl, der Mehrheitseigentümer, kann sich gut vorstellen, dass künftig auch grosse Onlinehändler wie Amazon ins Geschäft mit den Sportwetten einsteigen und seine Dienste nutzen.

Rund 6000 freie Mitarbeiter erheben für Sportradar weltweit Daten in den Spielstätten, fest angestellt sind 2000. Dieses Jahr strebt die Firma einen Umsatz von 350 Millionen Euro an, 2017 erreichte man 280 Millionen. 30 Prozent des Umsatzes werden mit 1500 Kunden im Medienmarkt erwirtschaftet, der Rest mit rund 600 Sportwettanbietern, die Daten und Analysen von Sportradar beziehen. Aus dem Verkauf von Anteilen lässt sich ein Wert des Unternehmens von 2,1 Milliarden Euro ableiten. Carsten Koerl, der Mehrheitseigentümer, kann sich gut vorstellen, dass künftig auch grosse Onlinehändler wie Amazon ins Geschäft mit den Sportwetten einsteigen und seine Dienste nutzen.

Wegen solcher Daten wurde schon eine albanische Mannschaft von der Champions League ausgeschlossen. Vor allem der Torhüter manipulierte.
Im Fussball sind Torhüter und Schiedsrichter die ersten, die angesprochen werden, wenn jemand ein Spiel beeinflussen will. Sie haben grossen Einfluss auf den Spielverlauf. Generell kommen Manipulationen in Einzelsportarten eher vor als in Mannschaftssportarten.

Das Aufdecken von Wettbetrug ist nicht Ihr Hauptgeschäft.
Nein, es ist ein verschwindend kleiner Teil. Wir beliefern Medien und Sportwettanbieter mit Daten.

Was bieten Sie da genau an?
Seit einigen Jahren ist Sensorik ein Thema im Sport. Im American Football werden Sensoren in den Schulterpolstern verwendet, die 25-mal pro Sekunde Positions- und Beschleunigungsdaten durchgeben.

Das gibt grosse Datenmengen!
1,2 Millionen Datenpunkte pro Spiel. Zum Vergleich: Bei jedem Spiel haben wir vier Scouts, die manuell 9000 Datenpunkte erfassen.

Die bereiten Sie dann auf.
Damit können Laufwege eines Quarterbacks gezeigt werden oder sogar, wie viel Energie ein Team verbraucht hat.

Wo kann ich das sehen?
US-Fernsehstationen zeigen das. Solche Zusatzinformationen kommen mehr und mehr. In den USA gibt es schon Diskussionen darüber, ob Herzschlag, Schwitzen und andere Daten von Spielern gezeigt werden sollen.

Die Spielergewerkschaften wollen das nicht.
Wenn man sich die Entscheider ansieht, merkt man, dass das eher etwas ältere Spieler sind. Die wollen vielleicht nicht, dass alle sehen, wenn jemand Fitnessprobleme hat.

Verständlich. Was tun Sie für Sportwettanbieter?
Zum Beispiel helfen wir ihnen, ihre Risiken zu managen. Wir informieren sie darüber, dass wir jetzt, in dieser Sekunde, diesen Betrag zu dieser Quote in einer bestimmten Wette annehmen würden. Als Empfehlung.

Sie erheben Daten nicht nur mit Sensoren, sondern auch manuell mit Ihren freien Mitarbeitern am Spielfeld vor Ort. Was sind das für Leute?
Das kommt ganz darauf an. In Italien zum Beispiel sind es häufig Sportjournalisten. Die verdienen fast nichts mehr und brauchen deshalb andere Möglichkeiten, zu Geld zu kommen.

Die können Daten liefern, die Sie brauchen?
Wir trainieren sie. Es geht nicht nur darum, dass ein Scout alle Tore oder Einwürfe notiert, er muss auch melden, wenn sich eine gefährliche Attacke anbahnt.

Geben Sie uns ein Beispiel?
Der Bayern-Verteidiger Mats Hummels rennt hinter dem Dortmund-Stürmer Marco Reus her. Hummels hat nicht mehr die besten Beschleunigungswerte, aber Erfahrung und ein gutes Stellungsspiel. Reus ist explosiv und schnell. Er hat den Ball, freien Weg zum Tor, Hummels ist zwei Schritte zurück.

Das gibt wahrscheinlich ein Tor.
Wenn Hummels sich streckt, und das macht er gern, nimmt er Reus von den Füssen. Passiert das im Strafraum, gibt es Penalty.

Das muss kein Tor werden.
Bei Penalty liegt die Torwahrscheinlichkeit zwischen 69 Prozent in der italienischen Serie A und 75 in der französischen Ligue 1. In der Bundesliga sind 72 Prozent drin.

Da müssen Sie schnell reagieren!
Ja, der Mitarbeiter muss das antizipieren, damit wir den Sportwettanbietern melden können: Nimm kein Geld mehr für Wetten auf dieses Tor an. Weil die Wahrscheinlichkeit zu hoch ist, dass es zu einem Penalty kommt und dann zu einem Tor.

Auf diese Wahrnehmung trainieren Sie Ihre Scouts.
Das ist ein Prozess, für den wir viele Testvideos aufgesetzt haben, da schauen wir dann, wie die reagieren. Der Scout muss ein Gefühl dafür entwickeln, was passiert. Er muss etwas erfassen, was jemandem, der es weiss, bei Wetten einen Vorteil verschaffen würde.

Zocken für eine gute Sache

Kommentar von Journalist Fibo Deutsch

Was haben Röbi Koller und die Samstagabendsendung «Happy Day» im Schweizer Fernsehen mit dem neuen Geldspielgesetz zu tun? Mehr, als Sie denken. Die erfolgreichste Unterhaltungssendung, die Spitzeneinschaltquoten bis über 800'000 Zuschauer erreicht, wäre ohne Gesetz und massiven Zustupf aus Glücksspielgewinnen, in diesem Fall von Swisslos, nicht finanzierbar.

Das galt schon für das Format «Swiss Award». Die Verlosung einer Million macht «Happy Day» attraktiv und teuer, die Produktion kostet noch einmal mehrere Hunderttausend Franken. «Happy Day» ist allerdings nur ein Beispiel dafür, wie die Gewinne aus Spielcasinos, Sportwetten und Lotterien in der Schweiz verwendet werden können. Insgesamt fliessen jedes Jahr fast eine Milliarde Franken in die AHV/IV, in die Unterstützung von Sport, Sozialem und Kultur – dazu gehört auch die Unterhaltung.

Das neue, erweiterte Geldspielgesetz stellt sicher, dass die Spieler vor Missbrauch geschützt und die Gewinne kontrolliert verteilt werden. Die wesentlichen Änderungen, über die wir im Juni abstimmen, bringen neu Internetangebote für Schweizer Betreiber und befreien Lotteriegewinne bis zu einer Million von der Steuer!

Ausgesperrt werden sollen dagegen klar ausländische Onlinespielangebote, die in der Schweiz nicht bewilligt sind. Es ist besser, beim Glücksspiel seinen Einsatz in der Schweiz zu verwetten. Davon profitiert dann neben dem Spass am Spiel eine unserer gemeinnützigen Institutionen.

Fibo Deutsch, Journalist
Geri Born

Kommentar von Journalist Fibo Deutsch

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