Ende September verkündete Gesundheitsminister Alain Berset (50) den Prämienhammer: Die Kosten für eine obligatorische Krankenversicherung werden im Jahr 2023 durchschnittlich um 6,6 Prozent steigen!
Der Schock ist nicht nur für die Versicherten gross, er lässt auch die Versicherer nicht kalt. Denn grosse Prämiensprünge haben viele Kassenwechsel zur Folge. Die Frist läuft bis Ende November – und weil niemand den Basar als Verlierer verlassen will, buhlen die Versicherer heftig um Prämienzahler.
«Der Kampf um Aufmerksamkeit war in den vergangenen Wochen so gross wie nie»,sagt Felix Schneuwly, langjähriger Krankenkassenexperte beim Onlinevergleichsdienst Comparis. Die Versicherer hätten für ihre Werbeaktivitäten deutlich mehr Prämien-Millionen ausgegeben als in den Vorjahren, ist Schneuwly überzeugt: «Comparis musste im permanenten Auktionsverfahren bei Google so viel bezahlen wie nie zuvor, um bei bestimmten Suchbegriffen wie zum Beispiel ‹Krankenversicherung› zuoberst angezeigt zu werden.»
Im Oktober und November seien pro Person, die auf eine top platzierte Anzeige klickt und dann auf der Website des bezahlenden Unternehmens eine Offerte verlangt, bis zu 100 Franken an Google bezahlt worden. «Da nicht jede Offerte zu einem Vertragsabschluss führt, ist davon auszugehen, dass teilweise mehrere Hundert Franken geflossen sind, um einzelne Versicherte zu einem Wechsel zu bewegen», sagt Schneuwly.
Experten sind kritisch
Der Experte findet diese Entwicklung stossend – insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich die Krankenkassen offiziell dazu bekannt haben, die Kosten für die Kundengewinnung zu reduzieren: Seit 2021 ist eine neue Branchenvereinbarung in Kraft, in der sich die Versicherer dazu verpflichten, auf die «telefonische Kaltakquise» zu verzichten. Zudem wurden die Provisionen für Vermittlerfirmen gedeckelt. Pro vermitteltem Neukunden in der Grundversicherung darf eine Kasse nun höchstens 70 Franken bezahlen. Dazu Schneuwly: «Es macht durchaus Sinn, die Provisionen für die Kundenvermittlung zu deckeln. Wenn die Prämiengelder dann aber an Google und Co. fliessen, wird das Ganze für die Versicherten noch teurer.»
Die Kritik von Schneuwly ist mit Vorsicht zu geniessen. Comparis ist Partei und leidet gleich doppelt unter den aktuellen Entwicklungen: Erstens muss der Vergleichsdienst wegen der erhöhten Konkurrenz mehr bezahlen, um bei Suchmaschinen einen prominenten Platz zu ergattern. Zweitens hat das Unternehmen wenig Interesse an tiefen Vermittlerprovisionen, da es damit sein Geld verdient.
Der Eindruck, dass die Krankenkassen dieses Jahr mit der ganz grossen Kelle angerichtet haben, ist aber nicht aus der Luft gegriffen: Wer nach «günstigste Krankenkasse» googelt, wird mit Inseraten überhäuft. Zudem lauerte in den vergangenen Wochen an jeder Strassenecke ein Krankenkassenplakat. Der Zürcher Hauptbahnhof war auch diese Woche noch fest in den Händen von Helsana, ÖKK und Co. Assura wiederum hat in der blau-weissen Limmatstadt gar ein Tram rot einfärben lassen, um den befürchteten Versicherten-Aderlass zu stoppen.
Krankenkassen wiegeln ab
Die Krankenkassenverbände versuchen die Beobachtungen zu relativieren und sehen die Branchenvereinbarung, die 2021 eingeführt wurde, als vollen Erfolg. «Von 2020 auf 2021 gab es bei der Grundversicherung lediglich einen geringen Anstieg bei den Werbeausgaben von 60 auf 62 Millionen Franken», sagt ein Sprecher von Santésuisse. Die Vermittlerprovisionen seien demgegenüber deutlich stärker zurückgegangen.
Der Konkurrenzverband Curafutura bestreitet, dass es eine ungewöhnlich grosse Werbeoffensive gebe. Zudem betont eine Sprecherin, dass die Werbekosten im Jahr 2021 für lediglich 0,2 Prozent der Gesamtkosten in der Grundversicherung verantwortlich waren.
0,2 Prozent klingt nach wenig – die 62 Millionen Franken, die dahinterstecken, nach deutlich mehr. Wobei selbst diese Zahl nur ein Teil der Wahrheit ist. Schliesslich beziehen sich die 62 Millionen Franken nur auf die Werbeausgaben in der Grundversicherung. Die meisten Krankenkassen, die auch Zusatzversicherungen und viele weitere Produkte anbieten, werben jedoch für die gesamte Marke. «Wie viel dabei dem Bereich der Grundversicherung zugerechnet wird, ist je nach Kasse unterschiedlich», sagt der Chef eines grossen Grundversicherers hinter vorgehaltener Hand.
Aufschlussreicher sind deshalb Zahlen des Marktforschungsinstituts Media Focus. Diese zeigen, dass die Krankenkassen in diesem Herbst tatsächlich besonders intensiv um Prämienzahler warben: Der Bruttowerbedruck – also der Gegenwert für die Einzelschaltung von Werbung gemäss offiziellen Medientarifen – belief sich bei den Krankenkassen alleine im September und Oktober auf 14,2 Millionen Franken. 2021 waren es im gleichen Zeitraum 12,6 Millionen, im Corona-geprägten Jahr 2020 gar nur 7,4 Millionen Franken.
Es sind Ausgaben, die am Ende die Versicherten mit ihren Prämien berappen müssen.