Basel reisst eine Kirche ab und erstellt eine Überbauung, St. Gallen plant Wohnungen in einem ungenutzten Gotteshaus und in der St.-Josef-Kirche in Solothurn wird heute Kunst gezeigt. Wo früher gebetet wurde, wird jetzt getafelt und gestaunt: «Das Kloster hatte kaum Neuzugänge, man wollte den Bau abreissen», erzählt Reto Emch (57), selber Künstler, bei einem Rundgang mit BLICK.
Als einer der Ersten betreibt er einen Kunstraum im Kirchenschiff, drei Wochen im Jahr sogar eine Brasserie: Wo einst der Altar stand, ist heute eine Bar, diniert wird inmitten der Exponate.
In vielen Kantonen erhöht der wachsende Mitgliederschwund den Druck auf die Kirchgemeinden. Katholiken und Reformierte suchen nach Lösungen, um ungenutzten Pfarrämtern, Kirchen und Gemeindezentren ein zweites Leben zu geben – und Gelder zu sparen. Zudem gehören den Landeskirchen Land, Wohnungen und Häuser.
Auf dem überhitzten Immobilienmarkt und dem aktuellen Rekord-Leerstand von über 72'000 Wohnungen ist die Kirche somit ein weiterer Akteur, der um potenzielle Mieter buhlt.
Goa-Partys und Militärbibliothek
Das Kloster St. Josef gehört zum Bistum Basel, eine Stiftung hat das Nutzungsrecht für die ehemalige Kirche und vermietet an Reto Emch. Der bringt die Miete über den Verkauf der Exponate, seiner eigenen Kunst und den Betrieb der Brasserie auf. Bevor die Kunst Einzug hielt, wurde über ein Möbelhaus, eine Militärbibliothek oder Architektenbüros diskutiert, so Emch. Zweimal fanden gar Goa- und Technopartys in der Kirche statt. Doch das Bistum wollte eine ruhige Nutzung. «Durch die Kunst ist dies immer noch ein Ort der Begegnung», sagt Emch.
Katholiken und Reformierte der Kantone Basel-Stadt, Solothurn und Aargau verlieren seit einigen Jahren in der Schweiz prozentual die meisten Mitglieder. Der Schwund bedeutet leere Bänke in den Gotteshäusern und ein Loch im Finanzhaushalt.
Mitgliederschwund, Priestermangel, Gemeindefusionen
Doch: «Steuergelder sind nicht das einzige Thema, das die Kirchen zum Verkauf oder Umnutzung ihrer Immobilien treibt», erklärt Johannes Stückelberger (60). Der Dozent für Religions- und Kirchenästhetik an der Universität Bern hat 2017 eine Datenbank für Kirchenumnutzungen in der Schweiz aufgebaut – fast 200 Gebäude sind bereits erfasst. «Auch Priestermangel und Gemeindefusionen lassen die Zahl leer stehender Liegenschaften steigen», sagt Stückelberger.
In Zürich strebt die reformierte Kirche eine Gemeindefusion an: Aus 32 Kirchgemeinden soll eine Einheitsgemeinde entstehen, die dann über 200 Immobilien verfügt. Ursprünglich wurden die Kirchen einmal für 270'000 Personen erbaut, heute sind es noch gut 80'000 Mitglieder. Bis 2030 rechnen die Reformierten mit einem weiteren Verlust von 20'000 Mitgliedern.
«Wir schreiben keine roten Zahlen», sagt Michael Hauser (54), Immobilien-Verantwortlicher der reformierten Kirche Zürich. Dennoch fliessen jährlich zehn Millionen Franken in den Unterhalt der Liegenschaften. Zur besseren Regulierung hat die Kirche das «Leitbild Immobilien» erstellt. «Für eine Umnutzung im Sinne der Kirche, streben wir Kooperationen etwa mit der Stadt Zürich an, der Platz für mehr Schulen oder Kitas fehlt», erklärt Hauser. Auch in Bern wird eine Fusion diskutiert: Zwölf Gemeinden sollen zu einer zusammengeführt werden.
Mieterträge stopfen das Finanzloch
Prozentual haben die Kirchen im Kanton Basel-Stadt 2017 die meisten Mitglieder verloren: Auf 1000 Gläubige kommen 35 Austritte bei den Katholiken und 28 bei den Reformierten. Für die Bewirtschaftung von nicht kirchlichen Immobilien hat die evangelisch-reformierte Kirche schon vor Jahren eine Anstalt gegründet. Mit dem Zweck, die Liegenschaften zu vermieten. «Der Ertrag fliesst der Kirche zu», sagt Matthias Zehnder, Medienbeauftragter der Kirche. 2017 wurde der Umnutzung von fünf Liegenschaften im Gesamtwert von sechs Millionen Franken zugestimmt.
Im Aargau ist das Verhältnis bei 16 Austritten auf 1000 Mitglieder bei den Reformierten ebenfalls hoch. Die Kirchgemeinde Mandach AG spürt den Schwund: «Unsere Einnahmen durch die Kirchensteuer reichten schon länger nicht mehr aus, und wir bezogen jährlich zwischen 10'000 bis 30'000 Franken Finanzausgleich von der Landeskirche», erzählt Andreas Krebs (55), Präsident der Kirchenpflege. 2010 tat sich die Kirche mit der Gemeinde zusammen, um eine Überbauung auf 5000 Quadratmetern Land der Kirche zu realisieren.
Heute könne die Kirchgemeinde dank der insgesamt zwölf Wohnungen rund 10'000 Franken im Jahr zur Seite legen und Pfarrhaus und Kirche instand halten, erklärt Krebs. «Seit 2015 benötigen wir den Finanzausgleich der Landeskirche nicht mehr.»
Der Druck auf die Gemeinden steigt
«Manche Gemeinden stehen aufgrund des Mitgliederschwunds stark unter Druck», sagt Christoph Weber-Berg (54), Präsident der reformierten Kirche Aargau. Die Immobilienstrategie sei auch Teil und Folge dieser Entwicklung. Um sich einen Überblick über die Liegenschaften zu verschaffen, gab er eine Studie in Auftrag. «Wir wollten wissen, wie gross das Potenzial der Immobilien unserer Kirchgemeinden ist», sagt Weber-Berg. Das Ergebnis: Es gibt Gemeinden, die aus ihren Immobilien Erträge generierten, weiteres Potenzial sei vorhanden.
Es sei jedoch nicht Aufgabe der Kirche mittelständisches Wohnen zu subventionieren, findet er. Wohnungen sollten zu Marktpreisen vermietet, die Erträge in soziale Projekte gesteckt werden. Denn: «Es ist nicht Ziel der Kirche mit Immobilien zu spekulieren», sagt er.