Erstmals hat ein Schweizer Weltkonzern einen Chef mit sichtbar afrikanischen Wurzeln. Tidjane Thiam wurde 1962 in der Elfenbeinküste geboren. Das westafrikanische Land heisst heute Côte d’Ivoire, hat 20 Millionen Einwohner und war eine französische Kolonie (bis 1960). Er war dort später Minister – und nach einem Putsch unter Hausarrest.
Tidjane ist das jüngste von sechs Kindern. Als er vier Jahre alt war, zog er mit seinen Eltern nach Marokko. Der Vater war dort Botschafter geworden. Nach der Rückkehr in die Elfenbeinküste ging er in die Mittelschule: Laut einem Kollegen hat sich Tidjane sehr geärgert, dass er zwar als Bester abschloss, aber nicht die bestmögliche Note machte.
Dann erhielt Thiam als erster Student der Elfenbeinküste ein Stipendium an der Pariser Ecole Polytechnique. Er wurde Ingenieur – wieder als bester seines Jahrgangs.
Über seine Herkunft pflegt der neue CS-Chef Thiam ganz bescheiden zu sagen: «Ich bin schwarz, Afrikaner, frankophon und 1,93 Meter gross.»
Er ist vor allem etwas: einer der weltweit besten Manager der Finanzindustrie. Bisher als Chef des britischen Lebensversicherers Prudential (25'000 Angestellte). Dort sorgte er seit 2009 mit einem aggressiven Expansionskurs für eine Verdreifachung des Aktienkurses.
Tidjane Thiam ist kein reiner Banker. Aber er hat grosse Erfahrung in Asien. Der Region, in der die Credit Suisse besonders wachsen will.
Bis in die Neunzigerjahre konnten nur Männer Chefs von Schweizer Grossbanken werden, die es in der Armee zu etwas gebracht hatten. Dann waren Erfahrungen im US-Investmentbanking besonders gefragt. Und jetzt müssen sie extrem global sein, wie die Wahl von Tidjane Thiam an die Spitze der Credit Suisse (CS) zeigt.
«Es ehrt mich, dass ich die Gelegenheit erhalte, dieses grossartige Unternehmen zu leiten», lässt sich der Afrikaner mit französischem Pass heute Morgen zitieren. «Ich werde alles daran setzen, den Vertrauensvorschuss zu rechtfertigen», schiebt er am Nachmittag an einer Medienkonferenz nach.
Der zweifache Familienvater Thiam kennt die Schweiz unter anderem von seinen Auftritten am WEF in Davos GR. Er spricht Deutsch («etwas rostig»), Französisch und Englisch. An der Medienkonferenz begann er auf Deutsch, wechselte darauf ins Französische und fuhr auf Englisch weiter.
Und er kennt VR-Präsident Urs Rohner und Dougan seit sechs Jahren. ««Tidjane und ich sind Freunde», sagte Dougan. Zum Job verholfen hat ihm allerdings etwas anderes. «Wissen, Erfahrung und Persönlichkeit», erklärt Rohner. Die Suche nach einem neuen CEO wurde im Herbst 2014 gestartet. Thiam habe sich am Schluss gegen mehrere interne und externe Bewerber durchgesetzt, so Rohner weiter.
Der neue CS-Chef wird seinen neuen Job in Zürich Anfang Juli antreten.
Thiam macht seinem neuen Arbeitgeber schon mal Komplimente: Er freue sich, «die sehr gute Marktstellung der Credit Suisse zu erhalten und weiter zu stärken und für unsere Kunden in der Schweiz und weltweit da zu sein».
Mit seinem Vor-Vor-Vorgänger Lukas Mühlemann hat Thiam die McKinsey-Erfahrung gemein: Der diplomierte Ingenieur begann seine Karriere im für seine Jobabbau-Massnahmen berüchtigten Beratungsunternehmen in Paris und London. Nach seinem Abstecher in die Politik (1998/1999) kehrte er kurz zu McKinsey zurück, ehe er ins Versicherungswesen wechselte.
2010 bejubelte die «Frankfurter Allgemeine» den Prudential-Chef Tidjane Thiam als «ersten schwarzen Konzernchef Englands». Im Artikel mit dem Titel «Eine farbige Karriere» hiess es: «Thiam wird gern mit Barack Obama verglichen.»