SNB-Direktionsmitglied Andréa Maechler
«Nur wenige Zentralbanken sind so transparent wie wir»

Exklusiv: Andréa Maechler (47) spricht über den Brexit-Schock und die Vorteile von Negativzinsen – als Mitglied des Nationalbank-Direktoriums ist sie eine der mächtigsten Frauen der Schweiz.
Publiziert: 28.08.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 17:44 Uhr
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Frankenstärke, Negativzins, Brexit – zusammen mit SNB-Präsident Thomas Jordan (53) und Vizepräsident Fritz Zurbrügg (56) macht Andréa Maechler die Schweizer Geldpolitik.
Foto: Sabine Wunderlin
Guido Schätti und Moritz Kaufmann

SonntagsBLICK: Der Brexit hat viele überrascht. Wann in der Nacht auf den 24. Juni haben Sie realisiert, dass es dazu kommen würde?
Andréa Maechler:
Gegen 1 Uhr gab es erste Resultate. Und plötzlich begann sich die Möglichkeit abzuzeichnen, dass eine Mehrheit für den Austritt sein könnte. Ab 6 Uhr morgens hatten wir mehrere Telefonkonferenzen mit dem Direktorium. Kurz nach 9 Uhr verschickten wir eine Stellungnahme, die SNB werde stabilisierend auf dem Devisenmarkt eingreifen.

Sie hatten eine Freinacht.
Als Leiterin des Departements III, das für die Finanzmarktoperationen zuständig ist, war klar, dass ich vor Ort bin. Die Märkte reagierten sehr heftig, zuerst in Asien, dann in Europa. Aber bereits um 10 Uhr hatten sie ein neues Gleichgewicht gefunden, sogar noch vor der Öffnung der amerikanischen Märkte. Bei uns kam nie Hektik auf. Wir waren gut vorbereitet.

Sie sind die erste Frau im SNB-Direktorium. Was bedeutet das für Sie?
Als Mitglied des Direktoriums trage ich die Verantwortung für die geldpolitischen Entscheidungen mit. Das ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, dessen bin ich mir bewusst. Dass ich eine Frau bin, steht nicht im Vordergrund. Ich kenne andere Frauen in Führungsgremien von Zentralbanken. Gerade im heutigen Umfeld ist die Qualität der Arbeit wichtig – nicht, von wem sie geleistet wird.

Sie waren mit 17 Jahren Schweizermeisterin im Delphin- und Lagenschwimmen. Warum haben Sie keine Sportler-Karriere verfolgt?
Der Sport hat mich stark geprägt, war aber nie einziger Lebensinhalt. Mit 17 ging ich studieren. Da habe ich Studium und Sport kombiniert – das war herausfordernd und grossartig. Später konzentrierte ich mich auf meine Laufbahn, jetzt bringe ich Beruf und Familie unter einen Hut.

Heute betreiben Sie Geldpolitik in stürmischen Gewässern. Was sagt es über den Zustand der Weltwirtschaft aus, wenn man Geld fürs Schuldenmachen bekommt?
Es gibt eine Vielzahl von Gründen dafür, dass die Zinsen negativ sind. Einerseits ist das Wachstum als Folge der schweren Finanzkrise noch immer schwach. Die tiefen Zinsen sind ein Mittel, um es zu stimulieren. Es gibt aber auch strukturelle Faktoren: die tiefe Produktivität, die Alterung der Gesellschaft und die daraus resultierende höhere Sparneigung, die schwache Investitionstätigkeit. Dagegen kann die Geldpolitik nichts machen.

Die Finanzkrise begann vor neun Jahren. Sehen Sie ein Ende der Tiefzinsphase voraus?
Die Finanzmärkte erwarten in Grossbritannien und der Eurozone eine weitere Lockerung der Geldpolitik. Selbst in den USA geht die Erhöhung der Zinsen nur sehr langsam voran. Sie bleiben deshalb auf absehbare Zeit global tief. So lange dies der Fall ist, hat die SNB kaum Spielraum, die Zinsen zu erhöhen.

Persönlich

Andréa Maechler wuchs in Genf auf. Sie studierte Volkswirtschaft, unter anderem in Toronto (CDN) und Genf. Vor der SNB wirkte sie beim Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington. Die einstige Schweizermeisterin im Schwimmen ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Andréa Maechler wuchs in Genf auf. Sie studierte Volkswirtschaft, unter anderem in Toronto (CDN) und Genf. Vor der SNB wirkte sie beim Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington. Die einstige Schweizermeisterin im Schwimmen ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Aber die SNB sagte bei der Einführung, sie wolle den Negativzins nicht lange beibehalten. Nun sind es bereits eineinhalb Jahre.
Wir haben immer gesagt, dass wir die Negativzinsen aufheben, sobald dies möglich ist. Das gilt noch immer. Der Negativzins ist ein ausserordentliches Instrument. Wir können das internationale Umfeld aber nicht ändern. Heute rentieren weltweit fast 30 Prozent aller Staatsanleihen negativ. Der Anteil der Schweiz an ausstehenden Staatsanleihen macht nur ein Prozent aus. Wir sind also nicht der Treiber dieser globalen Entwicklung, auch wenn unser Zinsniveau eines der tiefsten ist.

Die Kritik an den Negativzinsen wächst. Können Sie dies nachvollziehen?
Die meisten Länder verfolgen mit Negativzinsen das Ziel, die Nachfrage und die Kreditvergabe zu stützen. Das ist Neuland und mit vielen offenen Fragen verbunden. Für die Schweiz geht es aber um etwas anderes. Wir haben keine Kreditklemme. Wir haben die Negativzinsen eingeführt, um die Zinsdifferenz zum Ausland zu erhalten und so den Aufwertungsdruck auf den Franken zu reduzieren. Für diesen Zweck bleibt der Negativzins ein wichtiges und gutes Instrument.

Wo wäre der Frankenkurs ohne Negativzinsen?
Das ist schwierig zu sagen, aber der Franken wäre auf jeden Fall deutlich stärker, mit entsprechenden negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft. Wir sind überzeugt, dass im Fall der Schweiz die positiven Effekte des Negativzinses überwiegen.

In Ländern mit schwacher Konjunktur wird diskutiert, ob die Notenbanken die Staaten oder den Konsum direkt finanzieren sollen. Was halten Sie von Helikoptergeld, der Auszahlung von Zentralbankgeld an Staat oder Bürger?
Für die SNB ist das ein No-Go. Dass die Zentralbank dem Staat Geld gibt, verstösst bei uns gegen das Gesetz. Dafür gibt es gute Gründe. Auch international setzt sich die Einsicht durch, dass die Geldpolitik bereits sehr viel getan hat. Es ist wichtig, dass auch die Fiskal- und die Strukturpolitik ihren Teil leisten. Die Geldpolitik kann nicht die ganze Last tragen.

Die Nationalbank verwaltet fast 700 Milliarden Franken – mehr als das BIP der Schweiz!
Dass wir so hohe Fremdwährungsanlagen haben, ist ja nicht Selbstzweck, sondern einfach das Resultat unserer Geldpolitik.

Es fällt auf: Sie verwalten immer mehr Aktien.
Wir können uns gegen das grösste Risiko, das wir haben, nämlich das Wechselkursrisiko, nicht absichern. Um das zu tun, müssten wir Franken kaufen. Das würde den Franken stärken und damit unserer Geldpolitik zuwiderlaufen. Also müssen wir diversifizieren. Wir investieren deshalb in viele Anlageklassen, seit mehreren Jahren vermehrt auch in Aktien. 20 Prozent unseres Portfolios entfallen heute auf Aktien.

Wie stellen Sie sicher, dass dieses Geld nicht in dubiose Unternehmen oder Rüstungsfirmen fliesst?
Wir nehmen die Rolle als bedeutender Investor sehr ernst. Es gibt Ausschlusskriterien: Wir investieren nicht in mittel- und grosskapitalisierte Banken – das könnte zu Interessenkonflikten führen. Und wir passen auf, dass wir nicht in Unternehmen investieren, die geächtete Waffen herstellen: Streubomben, Personenminen und so weiter. Auch bezüglich Umwelt sind wir sehr vorsichtig. Wir verzichten auf Unternehmen, die systematisch massive Umweltschäden verursachen. Und natürlich auf Unternehmen, die grundlegende Menschenrechte verletzen.

Dennoch gerät die SNB immer wieder in Kritik, sie investiere zu sorglos. Warum kommunizieren Sie Ihre Richtlinien nicht offensiver?
Wir nehmen Kritik ernst und analysieren sie gründlich. Aber wir sind eine Zentralbank. Wir dürfen keine Massstäbe in Wertediskussionen setzen. Das ist nicht unsere Rolle.

Es gehört zu Ihrer Aufgabe, die Politik der SNB zu erklären. Glauben Sie, dass Ihre Argumente ankommen beim Volk?
Ich hoffe es! Das Pflichtenheft einer Zentralbankleitung hat sich seit der Finanzkrise stark verändert. Die Kommunikation ist noch viel wichtiger geworden. Bei einer so grossen Bilanz wie unserer haben wir eine verstärkte Rechenschaftspflicht. Wenige Zentralbanken sind so transparent wie wir! Aber es geht nicht nur um Transparenz gegenüber dem Markt.

Sondern?
Ich spreche mit vielen Menschen und lese viel Zeitung. Ich überlege immer: Was haben die Leute für Anliegen gegenüber der Nationalbank? Können wir etwas besser machen? Welche Botschaft wird gut oder weniger gut verstanden? Jede Anregung bringt mich weiter. Am Ende ist für mich wichtig, aus all diesen Teilen ein ganzes Bild zu vermitteln.

Die Kritik kann persönlich werden. Die Gewerkschaften werfen der Nationalbank vor, Tausende von Jobs gekillt zu haben. Lassen Sie das an sich heran?
Es ist wichtig, dass ich mir Kritik anhöre. Der Schweizer Wirtschaft geht es zwar besser, als man es nach dem Brexit hätte erwarten dürfen. Aber das heisst noch lange nicht, dass es jedem Unternehmen gut geht. Oder dass es einfach ist für jemanden, der eine Stelle sucht. Das ist mir klar. Doch wir können niemandem einen Job vermitteln.

Wie bezahlen Sie eigentlich, wenn Sie in den Laden gehen?
Mit Bargeld natürlich! Seit ich nicht mehr in den USA wohne, sondern wieder in der Schweiz, nutze ich viel mehr Bargeld.

Wie lange braucht es Bargeld noch?
In der Schweiz wird noch lange mit Bargeld bezahlt werden. Manchmal ist Bargeld sogar unverzichtbar. Wenn man beispielsweise in den Bergen wandert, ist man ohne Bargeld aufgeschmissen. Solange das so ist, stellt sich für die SNB die Frage gar nicht, ob man das Bargeld abschaffen soll.

Zentralbanken-ABC

Aufwertungsdruck

Der Wert einer Währung ist zu niedrig – sei es wegen guter wirtschaftlicher Leistungen im Inland oder wegen Krisen im Ausland. An den Märkten wird die Währung teurer.

Helikoptergeld

Von der Zentralbank geschöpftes Geld wird nicht wie üblich über die Banken in Umlauf gebracht. Sondern direkt an Staat oder Bürger verteilt, um die Wirtschaft anzukurbeln.

Intervenieren

Eine Zentralbank versucht, den Wert einer Währung zu beeinflussen. Im Fall der Schweiz: Die SNB kauft ausländische Währungen, um Druck vom Franken zu nehmen.

Kreditklemme

Banken vergeben wenige oder keine Kredite an Firmen. Weil nicht investiert werden kann, lahmt die Wirtschaft.

Negativzinsen

Statt Zinsen zu geben, verlangt die SNB Strafgebühren, wenn Banken bei ihr Geld anlegen. Damit will sie verhindern, dass grosse Mengen gehortet werden.

Staatsanleihe

Der Staat nimmt ein Darlehen auf, wird also Schuldner. Ist die Anleihe negativ, verdient der Geldgeber daran aber nichts mehr, sondern der Staat.

Aufwertungsdruck

Der Wert einer Währung ist zu niedrig – sei es wegen guter wirtschaftlicher Leistungen im Inland oder wegen Krisen im Ausland. An den Märkten wird die Währung teurer.

Helikoptergeld

Von der Zentralbank geschöpftes Geld wird nicht wie üblich über die Banken in Umlauf gebracht. Sondern direkt an Staat oder Bürger verteilt, um die Wirtschaft anzukurbeln.

Intervenieren

Eine Zentralbank versucht, den Wert einer Währung zu beeinflussen. Im Fall der Schweiz: Die SNB kauft ausländische Währungen, um Druck vom Franken zu nehmen.

Kreditklemme

Banken vergeben wenige oder keine Kredite an Firmen. Weil nicht investiert werden kann, lahmt die Wirtschaft.

Negativzinsen

Statt Zinsen zu geben, verlangt die SNB Strafgebühren, wenn Banken bei ihr Geld anlegen. Damit will sie verhindern, dass grosse Mengen gehortet werden.

Staatsanleihe

Der Staat nimmt ein Darlehen auf, wird also Schuldner. Ist die Anleihe negativ, verdient der Geldgeber daran aber nichts mehr, sondern der Staat.

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