Samstagmorgen in Bachs ZH. Während die Wintersonne langsam durch den Nebel dringt, schneidet Maja Bartholet (31) im Garten ein paar Zweige von einem Baum und legt sie auf einen Holztisch. Darauf liegen schon andere Äste und Blumen, die sie im Wald gesammelt, im Garten gepflückt oder nach der letzten Sommersaison getrocknet hat.
Weidenkätzchen, Helleboren, Amaranth. Vorsichtig bindet Bartholet daraus einen winterlichen Strauss. Seit 2018 verkauft sie mit Fleuraissance nebenberuflich Blumensträusse. Dabei richtet sie sich nach den Jahreszeiten: In ihre Bouquets kommt das, was draussen gerade wächst. «Und das ist auch im Winter viel mehr, als man denkt. Man muss einfach ein bisschen genauer hinschauen», sagt sie. Jeder Strauss von Maja Bartholet ist einzigartig. Wer nach Perfektion sucht, sei bei ihr aber am falschen Ort. «Meine Sträusse sind eher wild und natürlich.»
Das Projekt Fleuraissance gründete Bartholet aus einem eigenen Bedürfnis heraus: Sie hatte in Blumenläden erfolglos nach einem saisonalen Strauss gesucht. Sie merkte: Da fehlt ein Angebot! Also eignete sie sich per Fernkurs und viel eigenem Experimentieren das Handwerk des sogenannten Flower Farmings an und zieht seitdem eigene Blumen und Sträucher. Ohne Pestizide – dafür mit viel Platz für Insekten.
Produktionsweise spielt heute oft keine Rolle
Einen eigenen Laden hat Bartholet nicht. Ihre Blumen verkauft sie auf Bestellung. Als einzelne Sträusse, im Abo oder für Hochzeiten. Der Vorteil daran: «Meine Sträusse sind innerhalb von 24 Stunden nach dem Pflücken bei den Kunden.»
Bartholets Konzept regionaler und saisonaler Blumenkunst – Slow Flowers genannt – ist im Ausland schon etabliert, in der Schweiz schlägt es gerade erste Blüten.
Höchste Zeit! Denn während wir beim Gemüse schon längst auf Herkunft und Produktionsweise achten, spielen sie beim Kauf eines Bouquets oft keine Rolle. «Die meisten Leute denken, Blumen seien sowieso bio und von hier», sagt Bartholet.
Konventioneller Anbau schadet dem Klima
Dabei kommen nur gerade zehn Prozent der Schnittblumen aus der Schweiz. Der Grossteil – 20'000 Tonnen jedes Jahr – stammt aus konventionellem Anbau in Kenia, Ecuador oder Holland. Mit Folgen: Die Produktion verbraucht nicht nur viel Wasser und Pestizide, sondern schadet auch dem Klima.
Nach Berechnungen der Stiftung Myclimate werden für einen Strauss Rosen aus Kenia vier Kilo CO 2 ausgestossen. Für holländische Rosen, die in beheizten Treibhäusern wachsen, sind es gar 23 Kilo CO2 – so viel wie für 50 Kilometer Autofahren. Und Blumen in Bioqualität? Die sind kaum zu finden.
«Der Bioanbau ist bei Blumen noch unbedeutend», sagt Urs Meier, Geschäftsleiter des Floris- tenverbands. «Wenn, dann findet man Bioblumen am ehesten im Direktverkauf ab Hof oder auf dem Markt.» Für Maja Bartholet unverständlich: «Ich finde es schwierig, dass man sich Blumen mit krebserregenden Stoffen dran auf den Tisch stellt.»
Pestizidgetränkte Blumen aus Übersee
Auch Judica Altmann kämpft seit langem gegen pestizidgetränkte Blumen aus Übersee. Sie ist eine Pionierin im Bereich Slow Flowers. Bereits seit 2005 verkauft sie in ihrer Stadtberner Blumenboutique Flair saisonale und regionale Bioblumen aus eigener Produktion. «Das gibt es so sonst nirgends in der Schweiz», sagt Altmann. Früher habe man sie deswegen belächelt. Jetzt steige das Interesse. Auch was Bio angeht: «Die Leute denken dabei mittlerweile nicht mehr nur ans Essen, sondern auch an die Produktion, die Biodiversität und die Zukunft.»
Auch in der Stadt Zürich feiert ein noch junges Slow-Flowers-Projekt erste Erfolge. Seit letztem Sommer verkaufen Julia (24), Joelle (26) und Jan (25) als Blumenpost regionale und saisonale Blumensträusse in einem flexiblen Abo. Mit ihren natürlichen Sträussen haben sie einen Nerv getroffen. «Das Interesse steigt von Auslieferung zu Auslieferung», sagen sie.
Urs Meier vom Floristenverband freut sich über die Slow-Flowers-Bewegung. «Regionalität und Saisonalität verstärkt zu beachten, ist ein interessanter Ansatz, der auch zunehmend bei den Fachgeschäften Einzug hält», sagt er.
Konsumenten bestimmen, was angeboten wird
Trotzdem: Slow Flowers fristet in der Schweiz noch ein Mauerblümchendasein. Das zeigen auch die rund vier Millionen Importrosen, die am Freitag an Valentinstag über die Ladentheke gingen.
Dennoch glaubt Maja Bartholet daran, dass eine nachhaltigere Blumenbranche möglich ist. Für Urs Meier ist klar: In der Hand haben es die Konsumenten. «Wenn sie nach regionalen, saisonalen und naturnah produzierten Blumen fragen, werden sie auch angeboten.»