1985 sorgte sich vor dem Bormio-Rennen die ganze Nation um ihr Knie. Wie geht es dem Gelenk heute?Pirmin Zurbriggen: Verrückt, dass ich immer noch danach gefragt werde! (lacht herzlich) Meinem Knie geht es hervorragend. Ich habe angefangen zu joggen, lief letztes Jahr ohne Schmerzen einen Halbmarathon (21km) und den Ultratrack in Zermatt (16km) – letzteren sogar unter zwei Stunden. Ich wurde zweiter in meiner Alterskategorie und hatte eine «Schiis Freid».
Sie kommen gerade aus den Ferien zurück – wo waren Sie?
Wir waren fünf Tage in der Nähe von Sölden (Österreich). Unser Sohn Elias qualifizierte sich für den Weltcup-Prolog. Mal schauen, ob er dieses Jahr bei der Spitze mitfahren kann. Vor dem Winter fahren meine Frau und ich nochmals eine Woche weg und unsere Tochter Maria schaut auf unser Hotel. So schön es in Zermatt ist: Ich kann nie abschalten. Es gibt immer Arbeit. Im Frühling gehen wir als Familie an den Strand – vor allem wegen meiner Frau. Früher wars Soma Bay in Ägypten, aber die letzten zwei Jahren war es zu gefährlich.
Und wo ist Ihre Heimat?
In Saas Almagell wurde ich geboren, da habe ich ein Stück meines Herzens verloren. Ich bin der Region tief verbunden und dankbar – das zeigt sich in meinem Engagement für die Saas-Region. Aber ich lebe mit meiner Familie in Zermatt, und wo die Liebsten sind ist ebenfalls Heimat. Somit mag ich beide Destinationen gleichermassen da beide Orte ihre Kraft und Charme haben.
Trotzdem: Wo fahren Sie lieber Ski?
In Zermatt fahre ich sehr gerne während der Saison. In Saas Fee ist der Schnee gegen Ende Saison, so im März/April, besonders genial. In Saas Almagell kenne ich jeden Schneehügel, das macht Spass. Dank der Höhe und dem Gletscher sind Zermatt und Saas Fee die schneesicherstern Destinationen im Alprenraum, trotz klimatischen Veränderungen.
Welcher ist Ihr Lieblingsort in Saas Fee?
Jeder Fleck in Saas verbinde ich mit Skifahren. Deswegen würde ich sagen, dass das Eigenerjoch , der schönste Ort ist. Hier bietet sich nicht nur eine Spektakuläre Kulisse mit Mattmark und Dom, hier hab ich meine Saison-Vorbereitung gemacht. Und immer wenn es mir da oben gut lief, wusste ich: Es kommt gut. Auf diesem Berg schöpfte ich Selbstvertrauen.
Selbstvertrauen brauchen Sie auch jetzt: Als Verwaltungsratspräsident der Saastal Bahnen haben Sie einer Crowdfunding-Aktion zugestimmt, bei welcher Saisonabos für 222 Franken* verschleudert werden.
Solch eine grosse Verantwortung zu tragen ist nicht immer nur leicht – aber das Projekt hat mich überzeugt. Das Geschäft mit den Bergbahnen ist nicht einfach, aber genau deshalb ist die Zeit reif, etwas zu wagen. Wir haben natürlich gerechnet: Die 222 Franken sind kein Schleuderpreis – mit neuen Skifahrern können wir den attraktiven Preis kompensieren. Stellen Sie sich vor, nach 3 Tagen ist das Skifahren in der ganzen Saison in Saas-Fee gratis. Jetzt haben es die Skifahrer selber in der Hand, ob wir ein solches attraktives Produkt für die nächsten Winter in Saas-Fee haben wollen.
Über die Bergbahnen wird stets gemotzt: Zu teuer!
Aber den Ticket-Preisen stehen hohe Unterhaltskosten der Bahnen gegenüber: Schneekanonen, Pisten präparieren, Skilifte – und das bei hohen Sicherheitstandards. Am Schluss hat man eine Mischrechnung und muss sich seine Chancen ausrechnen. Schaut man nach Kanada, gehen die Skigebiete unkonventionelle Wege: Während Red Mountain Via Crowdfunding Land verkauft, um zehn Millionen zu sammeln, schluckte das Nachbarsskigebiet Vail den Riesen Whistler Blackcomb für rund eine Milliarde.
Sind Fusionen die Zukunft der Skigebiete?
Gross, grösser am grössten – irgendwann bringt wachsen nichts. Jedes Skigebiet muss sein Potenzial analysieren. Die Stärke der Saas Region lässt mich nicht unberührt: Wir haben ein Ski-Gebiet auf Internationalem Top-Level – nur drei Stunden von Zürich entfernt. Aber wir dürfen den Anschluss nicht verpassen.
Wie nehmen Sie die Hoteliers an Bord der Crowdfunding-Aktion?
Hoteliers und Bahnen kriegen sich oft in die Wolle, weil jeder an sich denkt. Bei diesem Projekt bieten die Bahnen Hand und geben den Hoteliers ein Instrument für günstige Saison-Abos und damit kann man auch die Logiernächte steigern. Es ist schön zu sehen, wie die Hotels und die ganze Destination geschlossen mit uns zusammenarbeiten um das Projekt zum Erfolg zu bringen. Die Bahn hat sehr schwere Zeiten hinter sich – im letzten Jahr musste der CEO Rainer Flaig acht Millionen einsparen. Das tat richtig weh und das ohne wesentlichen Leistungsabbau.
Brexit, starker Franken – wie viel Spass macht es noch, im Tourismus zu arbeiten?
Der Brexit wird uns vorderhand viele Gäste aus England kosten. Der starke Franken macht uns das Leben schwer. Daher sind wir auf Herr und Frau Schweizer angewiesen, dass die Skifahren gehen und das versuchen wir auch mit der initiieren Kampagne mit der neu geschaffenen WinterCARD für einen sensationellen Preis.
Das Franken-Problem hat Österreich nicht...
Die Konkurrenz ist global! Aber wir passen uns an: Im Sommer können Hotel-Gäste gratis mit den Bahnen fahren. Runtergerechnet sind wir absolut konkurrenzfähig mit Österreich. Mit der neu geschaffenen Karte sind wir bzgl. Preis-/Leistungsverhältnis konkurrenzlos im Alpenraum.
Was entgegnen Sie einem Schweizer, der trotzdem nach Österreich in die Ski-Ferien geht?
Komm ins Saastal – es ist nicht nur günstiger, sondern wir haben auch ein tolles Ambiente. Fürs Ski-Erlebnis muss man keine Sekunde nach Österreich gehen, denn das hat die aktuelle Studie von «Best SkiResort» wiederholt aufgezeigt, dass die Schweizer Skigebiete - und namentlich Zermatt und Saas-Fee -– Top sind.
Trotzdem: Skifahren kann sich manche Familie nicht leisten.
Seit 13 Jahren arbeite ich daran, Jugendliche wieder auf die Ski zu bringen. Wenn nicht mal mehr die Walliser Ski fahren, wer dann? Das Geld darf kein Handicap sein. Im Wallis haben wir deshalb die Formation 13 Etoiles ins Leben gerufen. 2500 Kinder machen mit: Mit fünf können sie in Skiclubs einsteigen und jedes Jahr kriegen die Kinder für ihre Leistung einen Stern – bis sie 18 sind. Aber für ein solches Programm braucht es die Unterstützung der Sportgeschäfte und der Bergbahnen. Und an der Hilfe von letzteren fehlte es manchmal. Das will ich ändern.
Im Breitensport findet man Talente.
Deshalb ist es wichtig, dass eine breite Masse an Jugendlichen wieder auf die Skier geht und Sport treibt. Ich habe vor 13 Jahren als Turnlehrer ausgeholfen und war schockiert, als die Sekundarschüler weder einen Salto auf dem Trampolin noch einen richtigen Purzelbaum konnten! Die Lehrer haben keine Lust auf Turnstunden: Zu gefährlich, zu aufwändig. Und auf die Skiier? Das wär noch verrückter! Motiviert man mehr Kinder zu Sport ist auch die Chance grösser, Talente zu finden. Und eine gute Mischung ist wichtig für den Team-Geist. Es ist sehr wichtig für die Region, dass wir Kindern – auch wenn sie nicht im Spitzenbereich liegen – ermöglichen Ski zu fahren.
Helfen erfolgreiche Ski-Aushängeschilder wie Lara Gut dem Spitzensport und dem Wintertourismus?
Absolut – wenn sie eine Verbindung zu den Skiclubs und Vereinen haben. Kommt Didier löst er eine riesige Begeisterungswelle aus. «Das ist einer von uns», schwärmen die Kids. Bei Lara Gut merkt man, dass sie eine Einzelkämpferin ist. Aber ich merke, dass sie sich anpasst und Freude am Teamgedanken findet. Das ist ein bisschen wie beim Fussball: Ein Nationalspieler der nicht in einem grossen Club spielt hat auch nicht die gleiche Anhängerschaft. Diese Einsicht fehlt oft, wenn man noch jung ist.
Sie hat einen anderen Ansatz gewählt.
Ich kann verstehen, dass Lara zu Beginn diesen Ansatz wählte – sie hatte viele Schwierigkeiten, war die einzige aus dem Tessin. Aber es gab eine Zeit wo es besser gewesen wäre, wenn sie nicht so eine Barriere aufgebaut hätte. Skifahren ist ein Team-Sport. Man inspiriert und fordert sich. Auch Marc Girardelli gab mir gegenüber kürzlich zu, dass die Vorteile beim Training im Team überwiegen.
Girardelli trainierte mit seinem Vater.
Genau, ich bewunderte ihn dafür, dass er Biss hatte und hart trainierte – ohne Teamkollegen die ihn motivierten. Ich sagte ihm: «Wie hast du das hingekriegt? Du musst ein «sturer Seckel» sein.» Ich trainierte von immer mit einem grossen Team. Diese Athleten mit denen ich trainierte kamen noch aus der Ogi-Zeit. Eigentlich verdanke ich dem Dölf meine ganze Karriere. Damals wurden grosse Teams gebildet - darauf begründete der Erfolg der Schweizer Ski-Nati in den 80-er Jahren. Mike von Grüningen, Paul Accola und Pitch Müller und ich lernten viel von einander und wir trieben uns zu Höchstleistungen an. Das war «u huere» schön.
Als Spitzensportler bringt man Opfer. Sie mussten ihre Kochlehre abbrechen. Würden Sie es wieder so machen?
Ich bin kein Vorbild in dieser Hinsicht – aber ich hatte keine andere Möglichkeit. Ich fuhr mit 16 Jahren im Europacup und verpasste zuviel in der Schule. Die Junioren müssen heute einen Abschluss machen. Im Skisport verdient man im Gegensatz zum Fussball nicht genug um sich einen gemütlichen Lebensabend damit zu machen. Aber ich würde sofort einen Ex-Spitzensportler anstellen: Die haben Biss.
*Die Blick-Gruppe ist Partnerin bei der Aktion we-make-it-happen.ch