In kaum einem anderen Land gehören Kühe so stark zum Landschaftsbild und Kulturerbe wie in der Schweiz. Laut dem «Schweizer Bauern» halten fast 20'000 Milchbäuerinnen und -bauern im Land rund 560'000 Kühe. Sind diese bald fertig gemolken? Ausgerechnet das Schweizer Unternehmen Nestlé, der grösste Nahrungsmittelkonzern der Welt, hat erstmals mithilfe von Gentechnik hergestellte Kunstmilch versuchsweise auf den Markt gebracht. Setzt sich der Versuch in den USA durch, ist fraglich, ob Labormilch Milchkühe bald überflüssig macht.
Die Kunstmilch soll dem Original im Geschmack und auch in der Zusammensetzung zum Verwechseln ähnlich sein, berichtet die «SonntagsZeitung». Die Grundlage liefern Proteine des US-Unternehmens Perfect Day. Dieses verwendet Mikroorganismen, die genetisch so verändert wurden, dass sie Milchproteine erzeugen.
Laut einem Nestlé-Sprecher komme die Labormilch bei Kundinnen und Kunden gut an. Fraglich bleibt, ob sich mit der synthetischen Milch auch Käse und andere Milchprodukte wie Joghurt herstellen lassen. Gentüftler sehen gerade bei künstlichem Käse grosses Potenzial. So steht der auch als «Käsezüchter» bekannte Schweizer Jungunternehmer Raffael Wohlgensinger kurz vor der Markteinführung von Käse, dessen Rohstoff mithilfe genetischer Baupläne gezüchtet wird.
Gefahr für hochsubventionierte Land- und Alpwirtschaft?
Mit Kunstkäse will auch Wohlgensinger den Milchmarkt aufmischen. «Mikroorganismen sind effizienter in der Herstellung von Lebensmitteln als Kühe», sagt er – in der Hoffnung, «dass es in Zukunft weniger industrielle Massentierhaltung mit dem Einsatz von Kraftfutter brauchen wird».
Doch auch wenn sich vorerst lediglich Milchersatz durchsetzen sollte: In grossem Massstab industriell produzierte Milch würde die ganze hochsubventionierte Land- und Alpwirtschaft der Schweiz auf den Kopf stellen. Das Bundesamt für Landwirtschaft und der Verband der Schweizer Milchproduzenten Swissmilk beobachten die Lage mit Interesse.
Swissmilk sieht in «derart hochverarbeitenden Produkten» keine Alternative zu «natürlichen Milchprodukten», heisst es. Dies, obschon etwa auch Fleischersatzprodukte nicht mehr aus dem Warenangebot wegzudenken sind – und auch der Konsum von Milch bereits seit Jahrzehnten beständig zurückgeht. 1950 betrug der Pro-Kopf-Milchverzehr in der Schweiz noch fast das Fünffache von heute. (kes)