Shoppingfalle Instagram
Habe ich das wirklich bestellt?

Nichts verleitet mehr zu Affektkäufen wie Werbung für «praktische» Gadgets in den sozialen Medien. Auch Journalisten sind nicht immun dagegen.
Publiziert: 14.03.2020 um 18:56 Uhr
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Dieser Zahnstocher-Spender in der Form eines Fabergé-Eis wurde SonntagsBlick-Redaktor Jonas Dreyfus fälschlicherweise geschickt. Europäische Zahnstocher sind zudem zu gross für den Spender.
Foto: Thomas Meier
Jonas Dreyfus

Was zum Geier?! Ich greife in das Paket mit chinesischem Absender und ziehe einen silberfarbenen Klumpen aus Plastik heraus. Absolut hässlich, das Teil – offenbar einem Fabergé-Ei nachempfunden – und schwer wie eine Handgranate.

Was ist das? Ich beginne daran herumzudrücken. Mit einem Quietschen öffnet sich der Deckel. Mir fällt das Gadget ein, das ich vor ein paar Wochen online gekauft habe. Eine Figur in der Form von Darth Vader, der anstelle eines Lichtschwerts einen Zahnstocher zückt.

Jemand hat mir offenbar die falsche Version des Zahnstocher-Spenders geschickt. Jemand aus einer Region namens Zhejiang.

Das Schaufenster im Hosensack

Soziale Medien sind verheerend, wenn es um Affektkäufe geht. Früher mussten Konsumenten erst mal vor einem Schaufenster stehen, um Gefahr zu laufen, aus einer Stimmung heraus etwas zu kaufen, an das sie noch nie einen Gedanken verschwendet hatten. Heute haben sie das Schaufenster in Form des Smartphones immer mit dabei. Und die Ware hinter dem Glas: saubillig!

Vor allem auf Instagram wimmelt es von gut gemachter Werbung für Produkte, die auf den ersten Blick wahnsinnig praktisch wirken. Wie konnte ich ohne die Gummihandschuhe mit integrierter Noppen-Büste oder das lebenslang wiederverwertbare Ohrenstäbchen aus Silikon überhaupt überleben, frage ich mich genauso wie Hunderte User , die das Produkt liken und kommentieren. Und warum ist der Waschball, mit dem man 1800 Dollar sparen kann, eigentlich nicht in meinem Besitz?

Inzwischen ist er es. Der «King of Laundry» liegt in meiner Hand wie eine missratene Kinder-Rassel. Auf Insta sah er anders aus. Dort haben heute selbst die drögsten Produkte den Werbeauftritt eines Dyson-Staubsaugers. Neben den Ferienbildern der Influencer kommen sie besonders gut zur Geltung.

Waschmittel mit Placebo-Effekt?

Ich könne dem Waschmittel von nun an Goodbye sagen, verspricht die Werbung des Waschballs. Die ionisierenden, antibakteriellen Keramik-Kügelchen in dieser neuartigen Erfindung sollen die Oberflächenspannung des Wassers in der Waschmaschine so verändern, dass der Schmutz von der Wäsche praktisch abfällt. Oder so ähnlich.

Leider habe ich die Testberichte zu dieser Art von Produkt erst nach dem Kauf gelesen. «Kassensturz» hat ein Modell getestet. Die Wäsche war nach der Anwendung so sauber wie nach einem Waschgang mit reinem Wasser. Das Forschungs-Institut WFK in Krefeld (D) schreibt in einem Testbericht: «Alle von uns bisher untersuchten Waschbälle haben keine nachweisbare Wirkung gezeigt.» Für «Die Umweltberatung» in Österreich scheinen Waschbälle «vor allem durch den Placebo-Effekt» zu wirken. Oder anders gesagt: Alle würden mich riechen ausser mir selbst.

Schnell kaufen, lange warten

Es geht schnell – im Netz etwas zu kaufen. «Zum Warenkorb hinzufügen», «Bezahlen», Paypal oder Twint fährt hoch, «Kauf bestätigen», fertig. Bis die Ware ankommt, dauert es. Manchmal so lange, dass der Konsument vergessen hat, etwas bestellt zu haben. Wenn das Paket irgendwann eintrifft, fühlt sich das an, als hätte man sich selbst eine Überraschung gemacht.

Ich muss sehr abwesend gewesen sein, als ich diese zwei weiss-rosafarbenen Plastikteile gekauft habe, von denen ich keine Ahnung mehr habe, wofür sie gut sind. Ich weiss nur noch, dass sie irgendeinen Kochvorgang erleichtern.

An den Plastikteilen lässt sich ein Knopf drücken, es öffnen sich kleine Spalten. Sind es Klammern für Servietten? Wenn ja, dann sehr unpraktische. Der Kauf lässt sich nicht mehr zurückverfolgen. Ich habe erfolglos in meinem Bekanntenkreis herumgefragt, ob jemand etwas Ähnliches besitzt. Es wird wohl für immer ein Rätsel bleiben.

«Keine brutalen Chemikalien»

Kürzlich habe ich mit James Bridle gesprochen, einem hochgebildeten Digitalisierungskritiker aus England. Er sagt, dass alles, was uns das Leben einfacher macht, das Leben von jemand anderem schwieriger macht. Daran erinnere ich mich jetzt jedes Mal, wenn ich meine Turnschuhe mit den Sneaker-Feuchttüchern reinige, die ich für ein Butterbrot aus China bestellt habe. Wer hat sie produziert, wer hat die Dämpfe des Mittels eingeatmet, in dem sie getränkt wurden?

Was Bridle auch noch sagt: Je günstiger wir einkaufen, desto weniger Ansprüche können wir stellen. Wegen der Fabergé-Handgranate reklamieren? Zwecklos! Herausfinden, was in den Feuchttüchern drin ist? Beinahe unmöglich! «No harsh chemicals» steht auf der Packung– so viel wie «keine brutalen Chemikalien». Brutal beruhigend!

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