Schwere Vorwürfe gegen Schweizer Zementkonzern
«Holcim beutet uns aus!»

Über eine Milliarde Franken Dividende schüttet Holcim für die Aktionäre aus. Dafür spart der Zementriese bei den Angestellten. Die protestieren gegen Entlassungen – und ziehen vor Gericht.
Publiziert: 09.05.2021 um 11:29 Uhr
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Aktualisiert: 09.05.2021 um 15:22 Uhr
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Nach einer Massenentlassung im Holcim-Werk in der philippinischen Stadt Davao kam es zu Protesten.
Danny Schlumpf

Rund um die Welt kündigen Regierungen gewaltige Konjunkturprogramme zur Ankurbelung der Wirtschaft an: gute Nachrichten für den weltgrössten Zementkonzern Holcim. Denn wer baut, braucht Beton.

An der Generalversammlung versprühte das Schweizer Unternehmen deshalb am Dienstag Zuversicht – trotz 13Prozent Umsatzrückgang im Pandemie-Jahr. Aktionäre dürfen sich freuen: Sie kassieren Dividenden im Gesamtumfang von 1,2 Milliarden Franken.

Überraschend, denn der Konzern steckt mitten in der Klima-Transformation. Die Zementherstellung verursacht acht Prozent der globalen Treibhausgase. Produzenten müssen deshalb auf CO2-freien Beton umstellen. Und das kostet.

Sparen durch Reduktion

Bloss: Wie sparen – wenn nicht bei den Dividenden?

Zuerst einmal durch Reduktion. Holcim hat seine Werke in Indonesien, Malaysia, Sri Lanka, Vietnam und Singapur abgestossen. Gerüchte gehen um, es treffe demnächst auch Brasilien.

Diese Verkäufe seien der wichtigste Grund, warum die Belegschaft in den letzten fünf Jahren von 100`000 Mitarbeitern auf 70 `000 geschrumpft sei, sagt das Unternehmen.

Sieben Tage Arbeit für Mindestlohn

Doch die Gewerkschaft Bau- und Holzarbeiter Internationale (BHI) widerspricht. Viel einschneidender sei eine neue Strategie: «Das Unternehmen lagert alles aus, was möglich ist», sagt Ambet Yuson (55), Generalsekretär der BHI. Dazu gehörten auch die Arbeiter. Holcim ersetze immer mehr Festangestellte durch Leiharbeiter. Rund 100`000 Subunternehmen arbeiten weltweit für den Konzern.

Der spart damit Kosten. So erhalten die Leiharbeiter im Holcim-Werk in der philippinischen Stadt Davao zwei Drittel weniger Lohn als Festangestellte. Für diesen Mindestlohn arbeiten sie sieben Tage in der Woche. Im Gegensatz zu den Festangestellten geniessen sie weder Ferien noch Vergünstigungen und müssen die teure Schutzausrüstung selbst finanzieren.

Für Holcim ging das so lange gut, bis auf den Philippinen ein neues Gesetz zur Einschränkung der Leiharbeit erlassen wurde. 2019 verlangten die Behörden vom Unternehmen, die Büezer in bestimmten Bereichen fest anzustellen.

«Holcim beutet die Leiharbeiter aus!»

Die Firma reagierte – und entliess sämtliche 141 Leiharbeiter im Werk von Davao City auf der Insel Mindanao. «Es war ein Schock», sagt Gilbert Dusal (31). Der Lademaschinenführer gehörte wie sein Vater zu den Entlassenen. «Holcim beutet die Leiharbeiter aus!», sagt Dusal. «Und jetzt haben sie uns auch noch vor die Tür gesetzt.»

30 Entlassene stellte die Firma später wieder fest ein. Auffällig: Gewerkschaftsmitglieder sind nicht darunter. «Das ist Kalkül», sagt Michael Ibanez (47) von der Gewerkschaft der Region Davao. «So entledigt sich der Konzern der Arbeiter, die sich gewerkschaftlich engagieren.» Nach der Massenentlassung organisierte Ibanez Streiks vor dem Werk in Davao.

Doch Holcim habe das Streikrecht boykottiert, sagt Ibanez. «Sie riefen immer wieder die Polizei, welche die Demonstranten einschüchterte und vertrieb.»

Weitere Verfahren seien noch am Laufen

In den sozialen Medien lief eine Kampagne gegen die Streikenden. Schlägertrupps bedrohten sie vor dem Holcim-Werk. Die Gewerkschafter forderten das Unternehmen auf, die Angriffe zu verurteilen. «Doch Holcim tat nichts», sagt Ibanez. «Es liegt ja im Interesse des Konzerns, dass wir mundtot gemacht werden.» Der Konzern widerspricht: «Wir haben diese Taten verurteilt.» Und betont: «Alle von der Restrukturierung betroffenen Mitarbeiter und Auftragnehmer wurden angemessen behandelt und entschädigt.»

Das sehen die Entlassenen anders und gingen vor Gericht. «Dort versuchte der Konzern, die Verantwortung auf die Subunternehmen zu schieben», so Ibanez. «Dabei ist die Firma gemäss internationalen Richtlinien auch für die Leiharbeiter verantwortlich.» Ein philippinisches Berufungsgericht teilte diese Auffassung. Es zwang den Konzern, zwölf entlassene Leiharbeiter wieder einzustellen – und zwar als Festangestellte. Ein weiteres Verfahren läuft noch.

Der Konzern missbrauche seine Mitarbeiter

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) beschäftigt sich im Rahmen eines Mediationsverfahrens ebenfalls mit den Ereignissen auf den Philippinen. Morgen Montag publiziert es dazu seinen Abschlussbericht.

Doch Davao sei kein Einzelfall, sagt die Gewerkschaft Bau- und Holzarbeiter Internationale. Die Ausbeutung der Leiharbeiter habe System – ebenso wie das Vorgehen gegen Gewerkschafter. «Der Konzern missbraucht seine Arbeiter und weist die Verantwortung von sich», sagt BHI-Generalsekretär Ambet Yuson. «Das muss aufhören.»

Holcim wehrt sich gegen die Vorwürfe: Nicht nur die Belegschaft habe in den letzten fünf Jahren um 30 Prozent abgenommen. «Das gilt auch für die Subunternehmen.» Man arbeite in voller Übereinstimmung mit den Arbeitsgesetzen des entsprechenden Landes und den internationalen Richtlinien. «Wir unterhalten einen offenen Kanal zur Konfliktlösung und teilen regelmässig Informationen über die Entwicklung des Unternehmens.»

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