Sylvia Hilpertshauser (31) hat einen der schönsten Arbeitsplätze der Schweiz. Keine 20 Meter vor ihrem Werkstattfenster beginnt der Brienzersee. Von der Werkbank aus sieht sie das Schwarzhorn und das Faulhorn. Viele hätten wohl Mühe, sich da auf die Büez zu konzentrieren.
Doch Hilpertshauser würde den Job auch machen, wenn die Aussicht nicht einer Postkarte gliche. Sie ist Holzbildhauerin, schnitzt Christchindli, Maria- und Joseffiguren bei der Firma Huggler in Brienz BE. «Ich liebe meinen Job, die Kreativität, das Material», sagt sie, als BLICK auf Firmenbesuch bei ihr in der Werkstatt steht.
Keine Nachwuchsprobleme
Vor allem aber würde Hilpertshauser wohl keine andere Stelle finden. Der Konkurrenzkampf um die Jobs in dieser Branche ist gross, anders als in anderen Handwerksberufen, hat man keine Nachwuchsprobleme.
«Das klingt gut, ist aber traurig», sagt Heinz Linder (37), Hilpertshausers Chef. «Denn es kommt pro Jahr nur eine Handvoll neuer Holzbildhauer auf den Arbeitsmarkt.» Nämlich jene, die die Schule für Holzbildhauerei abschliessen. Sie steht ein paar Meter entfernt ebenfalls in Brienz. Dazu schliesst alle vier Jahre jemand seine Lehre bei Huggler ab. «Es gibt aber nicht genug Stellen für all die Neuen.»
Um 1900 herum waren alleine in der Region Brienz 2000 Menschen auf dem Beruf gemeldet. Damals waren verschnörkelte Holzmöbel en vogue und Brienz – das sieht man seinen Chalets heute noch an – der Hauptort der Schnitzer. Heute zählt der Berufsverband schweizweit noch gut 100 Mitglieder. Viele davon haben einen zweiten Brotjob.
Bei Huggler ist das ganze Jahr Weihnachten
Die einzige mehrköpfige Firma, die überlebt hat, ist Huggler. 17 Personen arbeiten dort, bei einem Jahresumsatz von stabil einer knappen Million Franken. Der Rest der Holzbildhauer in der Schweiz sind Einzelkämpfer. Sie reparieren alte Möbel, schlagen Büsten aus Holzstämmen, schnitzen Spezialanfertigungen.
Das alles tun die Holzbildhauer bei Huggler manchmal auch. Doch die beliebtesten Produkte hier sind die Krippen und dazugehörige Figuren in allen möglichen Farben, Grössen und Formen. Sie werden auch im Frühling und Sommer vorproduziert – bei Huggler ist das ganze Jahr über Weihnachten.
Bis vor drei Jahren gehörte das Geschäft den Nachfahren von Hans Huggler-Wyss (1877–1947), der die Firma 1900 gegründet hatte. Dann kaufte ihnen Linder die Firma ab – zusammen mit seiner Partnerin, einer Holzbildhauerin. «Reich werden wir davon nicht, aber es ist eine wunderbare Aufgabe», sagt er.
Show-Schnitzerei neben dem Verkaufsladen
Er, der ehemalige Banker, ist dabei für die betriebswirtschaftlichen Aspekte verantwortlich. Er ist optimistisch für die Zukunft: «Die Kunden sterben uns nicht weg. Es gibt nach wie vor viele Familien in der Schweiz, auch junge, in denen man aus Tradition Holzfiguren schenkt.» Hinzu kämen rund zehn Prozent Exporte, vor allem nach Deutschland und in die USA. «Mit dem starken Franken können sich dort aber nur noch Wohlhabende unsere Produkte leisten.»
Huggler-Produkte schenken nämlich ein: Wenn Sylvia Hilpertshauser ein Starter-Set mit Christchindli in der Krippe, Maria und Josef schnitzt, kostet das knapp 500 Franken. Die Holzkuh kostet deutlich über 200 Franken. Das Pendant aus der Fabrik von Alpen-Barde Marc Trauffer (39) dagegen kostet nur ein Zwanzigernötli.
Der Grund: Die Trauffer Holzspielwaren AG in Hofstetten bei Brienz sägt und schleift, die Firma Huggler dagegen schnitzt mit dem Meissel ein deutlich detaillierteres Produkt. «Trauffer verkauft Spielwaren, wir Kunst.» Damit der Kunde das sieht und den hohen Preis fassen kann, arbeitet Hilpertshauer im Zimmer direkt neben dem Verkaufsladen. Die Türe lässt sie offen, damit die Kunden sie bei der Arbeit sehen.
Handarbeit darf teurer sein
Ganz ohne Show verläuft dagegen die Arbeit in der Hauptwerkstatt von Huggler, einem mehrstöckigen Haus 300 Meter vom Laden entfern:
Arbeitsschritt 1: Hansulrich Fischer (66) sägt grobe Blöcke aus dicken Lindenholzbrettern. Überall liegen Holzspäne, in der Luft hängt der süss-kratzige Geruch von Holzarbeit.
Schritt 2: An einer sogenannten Kopierfräsmaschine spannt er jeweils acht der Holzblöcke ein. Dazu eine Modellfigur, deren Konturen er mit einem Modell-Fräskopf nachfährt. Acht Fräsköpfe sind mit diesem verbunden und fräsen die anderen acht Holzblöcke in die gleiche Form. Heraus kommen sogenannte Rohlinge.
Schritt 3: Walter Zeier (62), seit 30 Jahren in der Firma, schnitzt die Rohlinge in die Endform.
Schritt 4: Priska Bieri (21) und Franziska Venrath (53) bemalen die Figuren.
Zweieinhalb Stunden dauert die Handarbeit vom Holzblock bis zur fertigen Krippenfigur im Schnitt. Kein Wunder, kostet das viel mehr als die Figürchen von Trauffer. Und noch viel mehr als die Billigkopien aus Osteuropa und Fernost.
Allerdings: Statt der Kopierfräsmaschine könnte man auch eine computergesteuerte benutzen, das Endprodukt wäre tupfgenau das gleiche, aber deutlich billiger. Warum tun sie das nicht? Linder: «Die Kunden schätzen es, zu wissen, dass wir alles von Hand machen. Dafür zahlen sie auch gerne ein bisschen mehr.»