Schweizer Justiz sperrt Gelder von Nawalny-Unterstützer
Helvetia im Würgegriff des Kremls

Russland nutzt die internationale Rechtshilfe aus, um Oppositionelle zu jagen. Die Schweiz fahndet mit – weil sie keinen Streit mit Moskau riskieren will.
Publiziert: 17.01.2021 um 21:06 Uhr
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Aktualisiert: 18.01.2021 um 12:34 Uhr
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Am Sonntagnachmittag kehrte der russische Dissident Alexei Nawalny (44) nach Moskau zurück – wo staatliche Sicherheitsbeamte bereitstanden, um ihn sofort zu verhaften.
Foto: Getty Images
Danny Schlumpf

Es waren sehr wahrscheinlich Mitglieder des russischen Geheimdienstes, die im Herbst einen Mordanschlag auf den berühmten Dissidenten Alexei Nawalny (44) verübten. Der Oppositionspolitiker überlebte ­einen Giftanschlag und liess sich in Berlin behandeln. Am Sonntag kehrte er nach Moskau zurück, wo Sicherheitsbeamte bereitstanden, um ihn zu verhaften.

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Doch der russische Staat ist nicht nur hinter Nawalny her. «Jeder, der von den russischen Behörden als Unterstützer der Opposition betrachtet wird, muss leiden», sagt Nawalnys langjäh­riger Wegbegleiter Wladimir Aschurkow (47) zu SonntagsBlick. «Dazu gehört auch das ­Risiko, von der russischen Regierung eliminiert zu werden.»

Aschurkow ist Direktor von ­Nawalnys Anti-Korruptionsstiftung, einem zentralen Instrument im Kampf der russischen Opposi­tion, die auch Jaroslaw Alekseew (51) unterstützen wollte. Als Präsident der Bank24.ru lancierte der Banker 2012 die Nawalny-Kreditkarte: Ein Prozent aller Transaktio­nen sollte an die Stiftung fliessen. «Doch die Probleme begannen, als das Projekt öffentlich wurde», sagt Alekseew. Der Staat entzog ihm die Lizenz, plünderte die Guthaben der Bank und klagte ihre Führungsmitglieder wegen Veruntreuung an. «Die russischen Behörden kriminalisieren unabhängige Geschäftsleute, um ihre Vermögen zu rauben und ihre Unterstützung der Opposition zu unterbinden», sagt Alekseew.

Nach der Plünderung seiner Bank floh der Familienvater nach Polen. Doch der Kreml setzte Alekseew nach. Im Herbst 2019 fordert Russland seine Auslieferung. Polen lehnt ab: Der Vorwurf der Veruntreuung sei vorgeschoben, Alekseew werde aus politischen Gründen verfolgt.

Die Schweiz als Steigbügelhalter des Kreml

Anders die Schweiz: Als das Bundesamt für Justiz über die Medien von den Ereignissen in Polen erfährt, informiert es Russland umgehend über ein Konto von Alekseew auf einer Genfer Bank. Dort liegt der Grossteil seines Vermögens, rund eine Million Franken.

Die Russen zögern nicht lange und stellen ein Rechtshilfegesuch an Laurence Fontana Jungo (54), Vizedirektorin des Bundesamts für Justiz und zuständig für internationale Rechtshilfe. Darin verlangt die russische Generalstaatsanwaltschaft die sofortige Sperrung von Alekseews Konto und detaillierte Informationen über sämtliche Geldflüsse. Fontana Jungo übergibt den Fall der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, die Anfang 2020 Alekseews Konto sperrt.

Üblicherweise leiten Schweizer Ermittlungsbehörden nach ­einem solchen Schritt ein Geldwäscherei-Verfahren ein. Nicht so in diesem Fall: Der Sachverhalt werde bereits im Ausland untersucht, begründet die Zürcher Staatsanwaltschaft gegenüber SonntagsBlick. «Hierbei handelt es sich um ein Standardvorgehen.»

Frank Meyer (45), Strafrechtsprofessor an der Uni Zürich und Experte für internationale Rechtshilfe, widerspricht: «Dass im gesuchstellenden Land selber Ermittlungen geführt werden, ist kein Grund, es hierzulande nicht auch zu tun. Wenn die Möglichkeit einer Straftat nach Schweizer Recht besteht, müssen die Schweizer Ermittlungsbehörden aktiv werden.»

Staatsanwaltschaft schaut weg

Die Untätigkeit der Staatsanwaltschaft wirft die Frage auf, wie viel Glauben sie den Vor­würfen der russischen Behörden überhaupt schenkt. Hat sie Bedenken, dem Beispiel Polens zu folgen, und führt die Rechtshilfeprüfung deshalb weiter?

In den nächsten Tagen wollen Alekseews Anwälte bei der Staatsanwaltschaft vorsprechen. Sie werden auf Artikel 2 des Bundesgesetzes über internationale Rechtshilfe verweisen, der die Rechtshilfe bei politischer Verfolgung untersagt. Dass dies bei Alekseew gegeben sein könnte, belegt neben den Vorfällen rund um die Nawalny-Kreditkarte auch eine konkrete Personalie: Federführend in diesem Fall ist der russische stellvertretende Generalstaatsanwalt Viktor Grin (69), der wegen seiner Rolle im berühmten Magnitski-Fall auf der Sanktionsliste der USA steht.

Der russische Wirtschafts­prüfer Sergei Magnitski (1972–2009) machte 2008 einen Steuerbetrug öffentlich, der Kreml-­nahen Funktionären 230 Millionen Dollar in die Kassen spülte. Statt der Funktionäre wurde Magnitski verhaftet und über Monate hinweg misshandelt. Viktor Grin liess eine Untersuchung darüber schleifen, bis Magnitski 2009 im Gefängnis starb.

Anschliessend stellte Grin fest, den Beamten seien keine Ver­stösse vorzuwerfen. In der Zwischenzeit wurden die geraubten Steuergelder ins Ausland transferiert. 20 Millionen flossen auf Konten von Credit Suisse und UBS. Zwar liess die Bundesanwaltschaft ­diese Gelder 2011 sperren. Doch nach neun Jahren ergebnisloser Untersuchungen sollen sie just in diesen Tagen freigegeben werden.

«Die Schweiz hat ein sehr freundliches Rechtshilfegesetz»

Weshalb erstattet die Eidgenossenschaft mutmasslichen Kriminellen mit Kreml-Verbindungen ihre Beute – und sperrt das Konto eines Mannes, der sehr wahrscheinlich ein Opfer politischer Verfolgung ist? «Die Schweiz hat ein sehr freundliches Rechtshilfegesetz», sagt Strafrechtler ­Meyer. «Doch unter dem Strich verwundert es schon, wie freundlich die Justiz mit den Russen umgeht. Denn für Russland ist die interna­tionale Rechtshilfe in erster Linie ein Instrument, um Oppositionelle zu terrorisieren, deren Vermögen oft jahrelang gesperrt bleibt.»

Moskau spiele in die Hände, dass der Nachweis politischer Verfolgung von der Schweiz aus juristisch kaum zu erbringen sei, sagt Meyer. «Für einen einzelnen Staatsanwalt ist das extrem schwierig, und er läuft Gefahr, zu einer Marionette Russlands zu werden.»

Andere Staaten besitzen griffige Rechtsinstrumente, um hart auf politische Verfolgung rea­gieren zu können: Die USA ­erliessen 2012 den Magnitsky Act, der korrupte Beamte und ­Politiker auf eine Sanktionsliste setzt. Die EU installierte im letzten Dezember ein ähnliches Sanktionsregime. «Auch die Schweiz sollte über ein solches Instrumenta­rium nachdenken», sagt Frank Meyer.

Die Alternative wäre, sich weiterhin von Autokraten vor den ­Karren spannen zu lassen, die Oppositionelle verfolgen möchten.

Druck auf Moskau wächst - Regierungen fordern sofortige Freilassung Nawalnys

Nach der Festnahme des nach Moskau zurückgekehrten Kremlgegners Alexej Nawalny wächst der Druck auf Russland. Politiker der EU, USA und Deutschlands forderten die russischen Behörden zur sofortigen Freilassung des 44-Jährigen auf. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International stufte den prominenten Gegner von Präsident Wladimir Putin als einen politischen Gefangenen Russlands ein.

Auch die US-Regierung hat die sofortige Freilassung des in Moskau festgenommenen russischen Oppositionspolitikers gefordert. «Die Vereinigten Staaten verurteilen aufs Schärfste die Entscheidung Russlands, Alexej Nawalny zu inhaftieren», teilte US-Aussenminister Mike Pompeo am Sonntagabend (Ortszeit) mit. «Wir nehmen mit grosser Sorge zur Kenntnis, dass seine Festnahme der jüngste in einer Reihe von Versuchen ist, Nawalny und andere Oppositionelle und unabhängige Stimmen, die den russischen Behörden kritisch gegenüberstehen, zum Schweigen zu bringen.» Die russische Regierung müsse gleiche Bedingungen für alle politischen Parteien und Kandidaten schaffen, die sich am Wahlprozess beteiligen wollten. (SDA)

Nach der Festnahme des nach Moskau zurückgekehrten Kremlgegners Alexej Nawalny wächst der Druck auf Russland. Politiker der EU, USA und Deutschlands forderten die russischen Behörden zur sofortigen Freilassung des 44-Jährigen auf. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International stufte den prominenten Gegner von Präsident Wladimir Putin als einen politischen Gefangenen Russlands ein.

Auch die US-Regierung hat die sofortige Freilassung des in Moskau festgenommenen russischen Oppositionspolitikers gefordert. «Die Vereinigten Staaten verurteilen aufs Schärfste die Entscheidung Russlands, Alexej Nawalny zu inhaftieren», teilte US-Aussenminister Mike Pompeo am Sonntagabend (Ortszeit) mit. «Wir nehmen mit grosser Sorge zur Kenntnis, dass seine Festnahme der jüngste in einer Reihe von Versuchen ist, Nawalny und andere Oppositionelle und unabhängige Stimmen, die den russischen Behörden kritisch gegenüberstehen, zum Schweigen zu bringen.» Die russische Regierung müsse gleiche Bedingungen für alle politischen Parteien und Kandidaten schaffen, die sich am Wahlprozess beteiligen wollten. (SDA)

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