Die Eidgenössische Zollverwaltung verkündete diese Woche stolz: «Exporte auf Allzeithoch.» Die Schweizer Exportunternehmen verkauften 2017 Waren im Wert von 220,4 Milliarden Franken, eine Zunahme von beeindruckenden 4,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Allerdings: Die Ausfuhren in die EU nahmen lediglich um 3,5 Prozent zu.
Damit bestätigt sich ein langjähriger Trend. Seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2007/2008 haben sich die Exporte in die EU in jedem einzelnen Jahr schlechter entwickelt als die Exporte in den Rest der Welt. Folge: Die Schweizer Exportwirtschaft war noch nie so wenig vom EU-Binnenmarkt abhängig wie heute.
Die USA nehmen eine wichtige Rolle ein
2007 gingen rund 63 Prozent der Schweizer Exporte in die EU. 2017 waren es schon zehn Prozent weniger. Zieht man Grossbritannien ab, das ja voraussichtlich bald nicht mehr Teil der EU sein wird, dürfte in naher Zukunft sogar weniger als die Hälfte der Schweizer Exporte in die EU gehen (siehe Grafik).
Wie lässt sich diese Entwicklung erklären? Schliesslich sind die Absatzchancen für Schweizer Exportfirmen nirgends so gut wie in der EU. Nur hier geniessen sie dank der bilateralen Verträge freien Marktzugang. Yngve Abrahamsen von der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich begründet die Verschiebung mit dem Strukturwandel der Schweizer Wirtschaft: «Die zunehmende Bedeutung der Pharma- und Uhrenindustrie hatte zur Folge, dass mehr in nichteuropäische Länder exportiert wird.»
Die Pharmasparte hat die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM) längst als wichtigste Exportbranche überholt. Dabei exportieren die Schweizer Pharmariesen prozentual gesehen weniger Produkte nach Europa als die MEM-Firmen. Für Roche oder Novartis nehmen die USA eine weit wichtigere Rolle ein. Die Uhrenbranche wiederum ist sehr stark auf Asien ausgerichtet. In die EU gehen lediglich 41 Prozent ihrer Exporte.
Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) begründet den Bedeutungsverlust der Europäischen Union damit, dass die EU-Staaten stärker unter der Finanzkrise gelitten hätten als andere Länder. Zudem habe die starke Aufwertung des Frankens gegenüber dem Euro dafür gesorgt, dass die preisliche Wettbewerbsfähigkeit von Schweizer Produkten im Euroraum stark geschwächt wurde.
«Aufgrund dieser schwierigen Umstände in Europa haben viele Schweizer Unternehmen versucht, sich sowohl qualitativ wie auch geografisch zu diversifizieren», sagt Seco-Sprecher Fabian Maienfisch. Viele Exporteure hätten es geschafft, neue Absatzmärkte ausserhalb Europas zu erschliessen.
Das Seco beurteilt die geografische Diversifizierung «eher positiv». Maienfisch: «Ein Beweis für die grosse Anpassungsfähigkeit des Schweizer Exportsektors.» Volkswirtschafter Alexis Bill-Körber vom Konjunkturforschungsinstitut BAK Basel Economics ist überzeugt, dass die Diversifizierung weitergehen wird: «Viele Schwellenländer haben ihren Aufholprozess noch nicht abgeschlossen und werden auch weiterhin stärker wachsen als die etablierten Industrienationen.»
Körber geht davon aus, dass dieser Prozess etwas langsamer ablaufen wird als im vergangenen Jahrzehnt: «Eine natürliche Grenze für Diversifizierung gibt es aber nicht.»
Switzerland Global Enterprise (S-GE) unterstützt Schweizer Exportfirmen bei der Erschliessung neuer Märkte. Die Organisation stellt fest, dass nicht mehr nur grosse, sondern auch viele kleine Unternehmen begonnen haben, sich ferne Märkte zu erschliessen – sei es in Amerika, dem Nahen Osten oder Asien.
S-GE-CEO Daniel Küng: «Wir befürworten explizit eine stärkere Diversifikation. Nur schon damit sich unsere Firmen frühzeitig in zukunftsträchtigen Märkten positionieren können.»
Die EU ist und bleibt wichtig für KMU
Küng betont aber auch, dass die EU weiterhin sehr wichtig sei für die Schweizer Exportwirtschaft: «Vor allem für KMU sind die europäischen Märkte meist nach wie vor die erste Adresse. Denn für Unternehmen mit weniger Ressourcen stellt dies den einfachsten Schritt ins internationale Geschäft dar.»
Bund, Ökonomen und Branchenverbände sind sich einig: Auch wenn die Abhängigkeit vom europäischen Binnenmarkt in den vergangenen Jahren reduziert werden konnte, bleiben die bilateralen Verträge unverzichtbar.
Dazu BAK-Mann Körber: «Ohne diesen guten Marktzugang hätte die Schweizer Wirtschaft deutlich stärker unter der EU-Schwäche gelitten als ohnehin schon.» Ins gleiche Horn stösst Sara Käch vom Branchenverband Interpharma: «Die bilateralen Verträge haben die Schweiz als Produktionsstätte für Medikamente gestärkt.» Dank dieses Abbaus von Handelshürden spiele es für Pharmafirmen heute keine Rolle mehr, ob in der Schweiz produziert werde oder in einem EU-Land. «Das dürfte einer der Gründe dafür sein, warum heute auch Firmen in der Schweiz produzieren, die ihren Hauptsitz in einem anderen Land haben.»