Hans-Ulrich Bigler (63) nimmt die Schweizer Einkaufstouristen in die Pflicht. Der Direktor des Gewerbeverbands fordert Solidarität, verurteilt die Flucht ins Einkaufsparadies Deutschland. «Wir bedauern diese Entwicklung grundsätzlich. Vor allem kleine Detaillisten haben unter den Lockdowns gelitten, hatten massive Umsatzausfälle», sagt Bigler zu Blick TV. «Wir hatten gehofft, dass die Solidarität so spielt, wie sie auch gegenüber dem Pflegepersonal spielt.»
Tatsächlich sind viele solidarisch, shoppen in der Schweiz statt im Ausland. In Aarau, Bern, Winterthur ZH oder Zürich – überall, wo sich Blick umschaut, sind Einkaufsstrassen gut besucht, tragen die Leute prall gefüllte Einkaufstaschen nach Hause.
Einkaufstourismus rechnet sich nicht
Zum Beispiel in Aarau ist Solidarität wichtig. «Wir haben unsere Geschäfte hier, und die wollen ja auch etwas verdienen», verurteilt Rentnerin Vreni Wagner (74) aus Hirschthal AG den Einkaufstourismus. «Ich finde das wirklich nicht richtig, wenn man zum Einkaufen nach Deutschland fährt.»
Gleiches denkt Marco Esposito (36), Koch aus Buchs AG. «Ich gebe mein Geld dort aus, wo ich es verdiene. Es ist wichtig, dass wir die Schweizer Wirtschaft unterstützen.» Viele stellen eine Vollkostenrechnung an, billig ist relativ. «Die tieferen Preise, ich weiss nicht, ob sich das am Ende auszahlt», sagt Monika* (67) aus Aarau. «Die Kosten für die Auto- oder Zugfahrt muss man ja auch mit einberechnen.»
Berner stürmen Warenhaus Loeb
Erika Audino (68), Rentnerin aus Aarau, fährt zwar gerne mal nach Deutschland, den neuen Teppich für den Balkon hat sie in der Schweiz gekauft. «Zusammen mit meinen Freundinnen fahren wir manchmal nach Deutschland, lassen uns dort die Nägel machen, und anschliessend gehen wir noch ein wenig zum Shoppen.»
Einkaufen als soziales Ereignis. Das war auch in Bern angesagt. Zur Mittagszeit sind die Terrassen voll. In den Lauben ist zum Teil kein Durchkommen mehr. Beim traditionsreichen Warenhaus Loeb ist der Ansturm besonders gross, das Zählsystem am Anschlag. Das Display am Eingang beim Bahnhof leuchtet immer wieder rot auf. Trotzdem: Für ein kurzes Interview fehlt den Konsumenten dann doch die Zeit.
Luxusshopping in Zürich
Anders in Winterthur: Auch hier ist die Marktgasse sehr gut besucht. Bettina* (43) aus Schaffhausen ist mit Tochter Leara (11) hier. «Wir kaufen ganz bewusst in der Schweiz ein», erklärt die Mutter. «Wir verdienen unser Geld hier und haben Kinder, die hier eine Lehrstelle brauchen.» Ähnlich sieht es auch Michelle* (24) aus Zürich. Sie möchte die heimischen Produzenten unterstützen, insbesondere die Bauern, aber auch die kleinen Detailhändler. «Die Krise hat viele finanziell hart getroffen.»
Allerdings bei weitem nicht alle: Rund um die Bahnhofstrasse in Zürich stauen sich die schicken Limousinen und Sportwagen, warten lange auf einen freien Parkplatz. Schlangen bilden sich vor allem vor den Luxusgeschäften. Hier geht es nicht darum, mit Einkaufstourismus ein paar Franken zu sparen, sondern sich auch in der Krise etwas zu gönnen. Und das mit der schicken Einkaufstasche von Gucci oder Prada auch zu zeigen.
* Wollten Nachnamen nicht preisgeben