Ein Lastwagen voller Schweine. 165 Tiere auf engstem Raum. Der Schlachter wartet schon. Doch er erlebt eine böse Überraschung: Von den Sauen sind 53 krank oder verletzt. Abszesse, Vereiterungen, offene Wunden – elf der Schlachttiere sind gänzlich ungeniessbar.
Geliefert hat sie der St. Galler Schweinezüchter K. W.* (48).
Zwischen 2007 und 2009 betrieb er 15 Schweinemasten in der Ostschweiz. Nur zwei tragen das Qualitätssiegel QM Schweizer Fleisch, das der Bauernverband an alle Betriebe vergibt, die nach seinen Standards arbeiten.
«Glaubhafte und unabhängige» Kontrollen sind fester Bestandteil des QM-Programms. Züchter W. lässt sie lediglich in zwei seiner Betriebe zu. In allen anderen herrschen offenbar chaotische Zustände, der Kantonstierarzt spricht von «unangemessener Haltung und Pflege»: Die Tiere leben auf engstem Raum, etliche leiden an der Lungenseuche EP, teilweise kannibalisieren sie sich gegenseitig. Doch W. verkauft auch diese Schweine als Qualitätsware.
18938 Masttiere lieferte der Züchter innerhalb von zwei Jahren an Schlachthöfe in Zürich, Basel und Bazenheid SG. Von dort gelangte das Fleisch zur Weiterverarbeitung an die Grossproduzenten Bell Schweiz AG und die Ernst Sutter AG. Sie zahlten dem Grüsel-Mäster dafür insgesamt sechs Millionen Franken. Hätten die Fleischverarbeiter gewusst, dass sie Fleisch mit gefälschtem Zertifikat erhalten, hätten sie es nie angenommen. So aber gelangte auch minderwertiges Schweinefleisch in den Handel.
Erst jetzt wird das ganze Ausmass des Lebensmittelskandals publik. Mehr als sechs Jahre dauerte es, bis die Staatsanwaltschaft eine Anklageschrift vorlegte.
Am 22. September muss sich K. W. vor dem Richter in Uznach SG verantworten. Der Staatsanwalt wirft ihm gewerbsmässigen Betrug, Urkundenfälschung, mehrfache vorsätzliche Tierquälerei sowie Vernachlässigung der Unterhaltspflichten. Als Strafe fordert er viereinhalb Jahre Gefängnis, eine Busse sowie den Einzug des illegal erworbenen Vermögens von rund 3,2 Millionen Franken.
So geht es aus der Anklageschrift hervor, die SonntagsBlick vorliegt. Für einen Angestellten und Gehilfen von W. fordert der Staatsanwalt eine bedingte Freiheitsstrafe von zwei Jahren.
Die Schweinereien des Mästers flogen auf, weil sich der Amtstierarzt einschaltete. Das war Anfang 2008. Zwar durfte K. W. zunächst weiter liefern. Die Abnehmer vergüteten ihm die kranken Tiere einfach mit einem tieferen Preis: «Defekter Schinken. Abzug: 81.35 Franken», heisst es beispielsweise zu einer Lieferung an den Schlachtbetrieb Basel vom März 2008.
Im November 2008 führte das Amt für Veterinärwesen St. Gallen in einem der Ställe eine Kontrolle durch. Ein weiteres halbes Jahr dauerte es, bis der Kantonstierarzt, zusammen mit der Kantonspolizei, am 4. März 2009 eine Razzia im Stall Grafenau in Kaltbrunn SG (Bild links) durchführte. Er notierte: 17 Schweine mit Körperschäden aufgrund falscher Haltung, manche der Tiere waren sogar gelähmt. Erst im Anschluss an diese Durchsuchung schlossen die Behörden W.s Ställe. Seine letzte Schweinelieferung an ein Schlachthaus erfolgte im Mai 2009.
W.s Anwalt Heinz Peter Kühnis erwartet für seinen Mandanten dennoch einen Freispruch: «Der Straftatbestand des Betrugs lässt sich nicht belegen, da es faktisch keinen Unterschied zwischen QM-Fleisch und konventionell produziertem Fleisch gibt.»
Alle anderen Vergehen, so der Rechtsberater, seien inzwischen verjährt, die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft «konstruiert».
Die getäuschte Ernst Sutter AG, deren Zentrale in Gossau SG beheimatet ist, tritt in dem Verfahren als Zivilklägerin auf. Fragen wollte das Unternehmen mit Verweis auf das hängige Verfahren nicht beantworten.
Hauptgeschädigte indessen ist die Bell Schweiz AG. Sie kaufte mehr Fleisch aus den Grüsel-Ställen als alle anderen Verarbeiter. Von dem Fleischbetrug erfuhr sie durch eine Anfrage von SonntagsBlick; erst am Freitag erhielt die Bell AG Akteneinsicht.
«Die in der Anklageschrift aufgeführten kriminellen Machenschaften des Angeklagten verurteilen wir aufs Schärfste», teilt Bell-Sprecher Davide Elia in einer Stellungnahme mit. Das Ausmass und das System hinter den Tierschutzverfehlungen sei Bell nicht bekannt gewesen.
Der Unternehmenssprecher: «Gegen Machenschaften mit hoher krimineller Energie scheinen leider sogar strenge Kontrollsysteme machtlos zu sein.»