Schuldenberg, Preisdruck, Frau weg – Bauern sehen keinen Ausweg mehr
«Selbstmord aus Verzweiflung»

«Wenn Beziehungsprobleme, Generationenkonflikte und finanzielle Sorgen zusammenkommen, dann wird es dramatisch», sagt Pfarrer Lukas Schwyn (62) aus Signau BE. Einige Bauern sehen dann keinen anderen Ausweg mehr, als den Freitod zu wählen.
Publiziert: 26.11.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 00:44 Uhr
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Ueli Brauen weiss um die Probleme der Bauern. Er ist Gründer des Komitees «Rettet den Schweizer Zucker».
Foto: Peter Gerber
Von Patrik Berger

Es sind katastrophale Zeiten für Schweizer Bauern. Der Milchpreis ist am Boden, fürs Schweinefleisch bekommen die Züchter praktisch nichts mehr, und den einheimischen Zuckerrüben droht Billigkonkurrenz aus dem Ausland.

«Die Stimmung unter den Bauern ist ganz schlecht. Ein Grossteil hat resigniert. Dabei sollten sie rebellieren», klagt Ueli Brauen (51), Gründer des Komitees «Rettet den Schweizer Zucker».

Als Geschäftsführer einer Firma, die mit acht Angestellten für Bauern Erntearbeiten verrichtet, kennt er die Probleme der Landwirte aus erster Hand. Sie sind offensichtlich so gravierend, dass immer mehr von ihnen keinen Ausweg aus ihrer Misere finden. «Einige sind so verzweifelt, dass sie den Freitod wählen.»

  • Letzte Woche wusste ein Bauer (30) aus Kriegstetten SO nicht mehr weiter. Er hatte vor vier Jahren den väterlichen Hof übernommen. Und wollte ihn fit für die Zukunft trimmen. Der Jungbauer investierte mehrere Hunderttausend Franken in einen neuen Schweinestall. Doch eine rentable Fleischproduktion ist mittelfristig unmöglich. Der junge Mann brachte sich auf seinem Hof um.
  • Vor zwei Wochen machte ein 60-jähriger Bauer aus Grenchen SO Schluss. Über Jahre hat der Betrieb nur rote Zahlen geschrieben – mit dem Pflanzen von Zuckerrüben, aber auch mit der Haltung von Muttertieren. Die Schuldenlast wurde immer grösser. Die Ehe ging kaputt. Das war zu viel für den Landwirt. Er erhängte sich.
  • Ähnlich das Drama, das sich auf einem Hof in Schnottwil SO abgespielt hat. Ein 50-jähriger Bauer rutschte Jahr für Jahr tiefer in die Schulden. Mit der Milch seiner Kühe verdiente er immer weniger. Die Familie zerbrach. Der Landwirt wusste nicht mehr weiter und erhängte sich ebenfalls.
  • Diesen Herbst beendete auch ein Kartoffelbauer (51) aus Moudon VD sein Leben. Wie BLICK aus dem bäuerlichen Umfeld erfahren hat, sah der Mann nach der Kartoffelernte keinen Ausweg mehr aus seiner finanziellen Misere.

«Wenn Beziehungsprobleme, Generationenkonflikte und finanzielle Sorgen zusammenkommen, dann wird es dramatisch», weiss Pfarrer Lukas Schwyn (62) aus Signau BE. Er ist Präsident des bäuerlichen Sorgentelefons. Hier melden sich jährlich rund 130 verzweifelte Landwirte. Schwyn stellt eine Zunahme der «komplexen Fälle» fest. Die Entwicklung der Agrarpolitik habe die Sache nicht einfacher gemacht: «Der ökonomische Druck, die Technisierung und der administrative Aufwand nehmen zu. Bauer ist zu einem anspruchsvollen Beruf geworden.»

Vor der grossen BauernDemo vom Freitag in Bern (siehe Box) schlägt Ueli Brauen Alarm: Man müsse alles unternehmen, damit man nicht bald französische Zustände habe. Laut einer Statistik des französischen Instituts für Gesundheitsüberwachung nimmt sich jeden zweiten Tag ein Bauer in Frankreich das Leben.

«Wenn sich die Bedingungen nicht sofort verbessern, werden weitere verzweifelte Bauern den Freitod wählen», sagt er. «Ein Bauer geht nicht zur Gemeinde, um sich Hilfe zu holen – aus Scham vor den Kollegen.» Er wolle sich selber helfen, «bis es einfach nicht mehr geht». Seine Forderung an die Politik: «Wir wollen einfach nur produzieren – zu fairen Preisen.» Er appelliert auch an die Konsumenten: «Wenn jeder nur ein Prozent mehr für einheimische Lebensmittel ausgeben würde, könnte man viel Leid abwenden.» Denn: «Wir werden nie so billig produzieren können wie unsere Kollegen in Brasilien oder der EU. Wir müssen Schweizer Löhne bezahlen. Und strengere Richtlinien beachten.»

Bauern vors Bundeshaus!

Bern – Tausende Schweizer Bauern ziehen morgen vor das Bundeshaus. Der Organisator der Grossdemo, der Schweizer Bauernverband (SBV), wirft dem Bundesrat Wortbruch vor. 2016 will dieser bei der Landwirtschaft 94 Millionen Franken sparen. «Damit ist das Fass übergelaufen», sagt Markus Ritter (48), oberster Bauer und CVP-Nationalrat. Die Preise für Milch, Zuckerrüben und Schweine sind laut SBV «desaströs». Viele Betriebe stünden auf der Kippe – auch ohne Kürzung der Direktzahlungen.

Bern – Tausende Schweizer Bauern ziehen morgen vor das Bundeshaus. Der Organisator der Grossdemo, der Schweizer Bauernverband (SBV), wirft dem Bundesrat Wortbruch vor. 2016 will dieser bei der Landwirtschaft 94 Millionen Franken sparen. «Damit ist das Fass übergelaufen», sagt Markus Ritter (48), oberster Bauer und CVP-Nationalrat. Die Preise für Milch, Zuckerrüben und Schweine sind laut SBV «desaströs». Viele Betriebe stünden auf der Kippe – auch ohne Kürzung der Direktzahlungen.

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