Auf einen Blick
Die Kleintierklinik ist das Herzstück des Zürcher Tierspitals, einer der grössten Tierkliniken Europas. Rund drei Viertel der jährlich über 28’000 tierischen Patienten sind Hunde und Katzen. Die treuen Begleiter der Menschen werden an 365 Tagen im Jahr «rund um die Uhr» versorgt. Heisst es im aktuellen Jahresbericht. Darin sieht man auch, wie eine Angestellte liebevoll einen Hund auf ihrem Arm streichelt.
Einen ganz anderen Eindruck vermitteln Hunderte Bilder und Videos, die dem Beobachter zugespielt wurden. Sie dokumentieren über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr den Alltag in den Ställen der Kleintierklinik. Zu sehen ist, wie kranke und verletzte Hunde und Katzen in Boxen hinter metallenen Gitterstäben eingeschlossen sind.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
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Im Video piepsen ständig Alarme
Zu hören ist zudem in vielen Videos ein unablässiges Piepsen. Es handelt sich um die Alarmtöne von Infusionsgeräten. Viele der Geräte baumeln schlaff an den Tierkäfigen und piepsen, weil sie entweder leer oder nicht richtig angeschlossen sind. Es ist offensichtlich, dass niemand Zeit hatte, die Geräte neu einzustellen oder die Beutel mit der Kochsalzlösung auszuwechseln – teils über Stunden hinweg.
Die Aufnahmen sind echt, das belegen interne Dokumente, die dem Beobachter vorliegen. Und das bestätigen Mitarbeitende des Tierspitals, die aus Angst um ihren Job nur anonym von ihrem Arbeitsalltag erzählen.
Kot und Urin auf dem Fell
Viele der Tierboxen sind mit Kot übersät, Decken und Matten gelb durchnässt. Auf einigen Aufnahmen ist zu sehen, wie Kot und Urin auf dem Fell der Tiere oder in den Decken eingetrocknet sind, vereinzelt gar in unverheilten Wunden. In mindestens einem Fall belegen Aufnahmen zu verschiedenen Zeiten, dass die Tiere stundenlang so ausharren mussten. Trotz eigentlich durchgehender Betreuung reagierte niemand.
Auch Halterinnen und Halter bekamen die Zustände mit. Gemäss einer internen Mail häuften sich Ende des letzten Jahres Beschwerden wegen «kot- und urinverschmierter» Tiere, die «nicht gründlich gewaschen und gepflegt» worden seien.
Schmutzige Verbände, Schimmel im Futter
Weitere Aufnahmen zeigen nicht richtig montierte und verdreckte Halskrägen, deren scharfe Kanten den Tieren auf den Hals drücken. Nasse, schmutzige oder verrutschte Verbände sind zu sehen, die offene Wunden nicht abdecken. Oder Katheterschläuche, die von den Beinen der Tiere hängen und am Boden mitgeschleift werden, sodass Dreck oder Erreger in die Venen gelangen könnten.
Andere Bilder zeigen verschimmeltes Essen, Näpfe mit eingetrocknetem Futter, die sich in der Küche stapeln, oder Wäscheberge mit Kotrückständen.
«Auf den Aufnahmen sind ganz klar tierschutzwidrige Zustände erkennbar», sagt Julika Fitzi, Leiterin Tierschutz und Mitglied der Geschäftsleitung beim Schweizer Tierschutz. Der Beobachter hat ihr die Aufnahmen und Unterlagen vorgelegt. Die Hygieneverhältnisse wie auch die Betreuung und Pflege seien mangelhaft: «Aufgrund der gezeigten Bilder und Videos ist davon auszugehen, dass die Tiere nicht engmaschig genug betreut sind.»
Die Tiere litten unter enormem Stress, wenn sie in ihrem Kot oder Urin lägen, Schmerzen und eitrige Wunden ertragen müssten. Gerade für Hunde und Katzen sei das sehr belastend, weil diese Tiere gewohnt seien, sich selbständig zu versäubern. Kein Tier lege sich freiwillig in den eigenen Kot, so die Tierärztin.
Der Kontakt mit den Exkrementen könne zu Infektionen und Blutvergiftungen führen. «Dass ein Tier so gesund wird, ist natürlich schwierig. Jedem Pfleger, jeder Tierärztin und auch der Klinikleitung muss klar sein, dass das Zustände sind, die verbessert werden müssen – und zwar schnell.»
Leitung des Tierspitals kennt Vorwürfe seit Monaten
Mehrere Personen, die im Tierspital arbeiten, sagen gegenüber dem Beobachter, sie hätten schlicht zu wenig Zeit, sich um alle Probleme zu kümmern. Besonders während der Nachtschichten.
Zudem habe sich eine Kultur von «Scheinarbeit» etabliert. Viele täten nur gerade das, was minimal nötig sei. Denn es gebe kaum Kontrollen, und die Arbeit bleibe an denen hängen, die sich am stärksten für die Tiere interessierten.
Mitarbeitende ungenügend eingeführt
Ein anderes Problem sei die hohe Fluktuation. Neue Mitarbeitende würden nur ungenügend eingearbeitet. Besonders prekär sei es bei den Tiermedizinstudierenden. Sie leisteten viele Schichten – nach einer 30-minütigen Einarbeitung durch andere Studierende. Danach trage man sofort die volle Verantwortung. Eine Überforderung.
So schlichen sich viele Fehler ein, die nicht korrigiert würden. Zum Beispiel würden Hunde, die nicht gehfähig seien, nicht an die frische Luft gebracht – obwohl das vorgeschrieben sei. Medikamente würden wegen mangelhaft angebrachter Katheter unter die Haut statt in die Venen gespritzt oder Schmerzmittel zur falschen Zeit verabreicht.
«Arbeit machen, heimgehen und vergessen, was passiert ist»
Um psychisch damit klarzukommen, herrsche unter den Mitarbeitenden die Mentalität: «Arbeit machen, heimgehen und vergessen, was passiert ist.»
Über viele dieser Vorwürfe ist die Leitung des Tierspitals seit Monaten im Bild. Ein Mitarbeiter hatte sich mehrfach mündlich und im Februar dieses Jahres auch schriftlich über die Zustände beklagt. Die Klinikleitung räumte ihm gegenüber schriftlich ein, dass bezüglich Boxenreinigung «aufgrund des reduzierten Personals und des unterschiedlichen Aufkommens von Notfällen im Nachtdienst nicht immer die gleich hohen Standards wie tagsüber sichergestellt werden können».
Allerdings entstünden daraus keine gesundheitlichen Schäden für die Patienten, und die Qualitätsstandards gemäss Hygienekonzept würden grundsätzlich «jederzeit eingehalten». Darin steht, «strukturierte Übergaben» zwischen den Schichten, eine «effizientere Personalplanung» und eine «Optimierung der Arbeitsabläufe» sollen die Situation verbessern.
Multiresistente Keime: Öffentliche Gesundheit bedroht?
Passiert sei allerdings wenig, sagen Insider. Davon zeugt auch ein Ausbruch multiresistenter Keime im Juni. «Die Situation ist mehr als ernst, eine Klinikschliessung muss in Betracht gezogen werden, falls sich die Keimbelastung nicht senken lässt», schrieb die Vorsteherin der Kleintierklinik in einer internen Mail. Angehängt ist ein Dokument der internen Hygienekommission vom Oktober. Sein Inhalt ist noch besorgniserregender.
«In dieser Situation sprechen wir von einer Ausbruchssituation, die weitere Ansteckung von Patienten und ein erhöhtes Risiko sehr schwer behandelbarer Infektionen nach sich zieht», steht darin. Seit Juni gebe es fünf bestätigte Infektionen, vier Hunde und eine Katze, darunter gar ein Todesfall.
Meist überträgt das Personal die Keime
Ausserdem seien 50 Prozent der «zufällig beprobten Tiere», die länger als 48 Stunden in der Klinik waren, bestätigte Träger. Sie alle sollen vom sogenannten CPE-Keim befallen sein. Diese Bakterien haben gemäss Bundesamt für Gesundheit eine Resistenz gegen Antibiotika entwickelt und stellen eine «Bedrohung der öffentlichen Gesundheit» dar. Unter bestimmten Voraussetzungen können sie bei Menschen Harnwegsinfektionen, Bauchfell- oder Lungenentzündungen auslösen.
Die Übertragung geschehe derzeit vor allem durch das Personal – wegen «mangelnder Handhygiene und Personalhygiene/Kleidung», heisst es im Dokument zum Ausbruch weiter. «Der höchste Infektionsdruck herrscht in den Stallungen und im Versäuberungsbereich.» Die Bakterien würden über den Kot ausgeschieden. Und man müsse davon ausgehen, dass «bei mangelnder Hygiene auch eine Besiedlung von Mitarbeitenden und Tierhaltenden stattfinden kann».
Der Grund für den Ausbruch und die Verschleppung der Keime sei, dass die Hygieneregeln «nicht immer eingehalten» würden und die Schulung der Mitarbeitenden «unzureichend» sei.
«Keine Häufung von Krankheitsfällen»
Trotz dieser besorgniserregenden Lage verschweigt das Tierspital Zürich den Ausbruch weitgehend. Es informierte weder die Tierärzteschaft, die Tiere an die Klinik überweist, noch wurden die eigenen Mitarbeitenden flächendeckend aufgeklärt oder systematisch getestet. Der Grund ist wohl, wie es schwarz auf weiss im Ausbruchskonzept heisst, dass «eine Rufschädigung unbedingt verhindert werden» soll, «ebenso eine vorübergehende Klinikschliessung».
Damit konfrontiert, antwortet die zuständige Medienstelle der Universität Zürich nur ausweichend. Man habe den Keimausbruch im Intranet «klar und offen» kommuniziert. Es sei zu «keiner Zeit zu einer Häufung von Krankheits- oder Todesfällen» gekommen.
Tierspital weist übrige Vorwürfe zurück
Dem Tierspital liege viel daran, die Ausbreitung der hochresistenten Keime «frühzeitig zu erkennen und einzudämmen». Mit «Beprobungen, Schulungen und Audits» werde die Situation laufend überwacht. Zudem habe man Reinigungen und Desinfektionen sowie Personalschulungen implementiert.
Die übrigen Vorwürfe weise man «in ihrer Vehemenz und Pauschalität» zurück. Sie repräsentierten «keinesfalls die Gesamtheit der Klinikprozesse». Zwar könne es etwa bei Tieren mit Durchfall zu Verschmutzungen kommen, diese würden aber «schnellstmöglich» beseitigt.
«Kein hygienisches Problem»
Auch die Ursachen der Alarmtöne der Infusionsgeräte würden von den Mitarbeitenden «umgehend» behoben, während die «kurzfristige» Ansammlung schmutziger Futternäpfe oder Wäsche sich nicht vermeiden lasse, aber «kein hygienisches Problem» darstelle.
Standards betreffend Betreuung, Hygiene und medizinische Behandlung würden «grossgeschrieben und auch regelmässig extern überprüft».
Man gehe zudem davon aus, so das Tierspital weiter, dass die Vorwürfe sich «massgeblich auf Aussagen einer Person» stützen, die mit der persönlichen Situation in der Klinik unzufrieden sei und im Nachtdienst arbeite. Während der Nacht herrsche in der Klinik Notfallbetrieb mit reduziertem Personalbestand: «Je nach Fallaufkommen muss das Personal seinen Fokus anpassen und auf die absolut notwendige Pflege richten.»