Die einen haben gerade abgeschlossen. Die anderen stecken mittendrin. Und für wieder andere geht es bald los. Die Lehre ist das Fundament des Schweizer Berufsbildungssystems. Mehr als zwei Drittel der Schweizer Jugendlichen entscheiden sich für diesen Weg, während rund 25 Prozent ans Gymnasium gehen.
Doch die Betriebe sind nicht begeistert vom Nachwuchs – im Gegenteil! Die Lehrstellenbörse Yousty hat eine Umfrage bei den Schweizer Ausbildungsbetrieben durchgeführt. 798 Personalverantwortliche und Berufsbildner haben geantwortet – und sie klagen durchs Band. Sie haben Mühe, Lehrlinge zu rekrutieren, weil die Jugendlichen den Ansprüchen der Erwachsenen nicht genügen.
Sind Lehrling interesselose Menschen?
Die Umfrage liegt SonntagsBlick vor und zeigt: Die Kritik ist vielfältig. Immer öfter würden Ausbildungen abgebrochen, monieren die Berufsbildner. Die Jugendlichen hätten immer weniger Ausdauer und würden von den Schulen nicht gut genug aufs Berufsleben vorbereitet. «Das Handy-Zeitalter hat die Jugendlichen zu teilweise interesselosen Menschen gemacht», fasst Yousty die Antworten zusammen. In Zahlen: 58,4 Prozent der Befragten finden, dass die Lehrlingsrekrutierung schwierig sei. Ungefähr gleich viele geben an, dass die Besetzung der Lehrstellen diesen Sommer noch einmal komplizierter geworden sei als im Vorjahr.
Von den befragten Lehrlingsverantwortlichen sind 58,7 Prozent weiblich. Tendenziell finden es Frauen auch schwieriger, geeignetes Lehrpersonal zu finden, als ihre männlichen Berufskollegen. 60,4 Prozent der weiblichen Lehrlingsverantwortlichen klagen über ihre Nöte bei der Rekrutierung.
Erschwerend kommt die Demografie hinzu, finden die Lehrlingsprofis. Denn nun kommen die geburtenschwachen Jahrgänge ins Lehrlingsalter. Die Personalverantwortlichen beklagen sich zudem über schlechte Noten, sehr junge Bewerber und über deren Bequemlichkeit. So seien viele nicht mehr bereit, einen Arbeitsweg in Kauf zu nehmen, der länger als 15 bis 20 Minuten dauert
Nicht genug Wertschätzung in handwerklichen Berufen
Die Umfrage ist breit abgestützt. Die Lehrbetriebe verteilen sich auf 15 Deutschschweizer Kantone und fast alle Branchen. Dabei wäre die Wirtschaft auf die Lehrlinge angewiesen. Am Dienstag publizierte der BLICK eine beunruhigende Zahl: Der Schweiz fehlen 42'778 Handwerker – vor allem Schreiner, Sanitäre und Elektroinstallateure.
Doch alleine an den Jugendlichen liegt es nicht. Serge Frech arbeitete bis vor einem Jahr für den Verband der Gebäudetechniker, heute ist er als Geschäftsführer des Verbands ICT Berufsbildung Schweiz für die Informatik- und Mediamatik-Stifte zuständig. Er nimmt die Jugendlichen in Schutz: «Gerade in den handwerklichen Berufen erfahren Lehrlinge nicht genug Wertschätzung.» Im Handwerk bestünden riesige Generationenunterschiede
Hohe Abbruch- und Durchfallquoten
«In der Informatikbranche dagegen sind wir sehr zufrieden mit unseren Lehrlingen. Umgekehrt gilt das auch.» Tatsächlich gaben über 90 Prozent der Lernenden in der IT-Branche an, sie seien zufrieden mit der Berufswahl.
Entscheidend sei die Denkweise, sagt Serge Frech: In der Informatik würden die Lehrlinge als zukünftige Spezialisten geschätzt und gefördert. Anders beim Handwerk. «Die Abbruch- und Durchfallquoten sind sehr viel höher. Das liegt vor allem an der betrieblichen Ausbildungskultur.» Heutzutage könne man von den Lehrlingen nicht mehr fordern: «Seid motiviert!» Man müsse ihnen interessante Tätigkeiten geben und sie inspirieren. Dann seien sie auch bereit, viel zu leisten. «Auf keinen Fall darf man sie als billige Arbeitskraft betrachten.»
Dass sich die Rolle der Ausbildner geändert hat, bestätigt Christoph Weber. Er ist der Geschäftsführer der Firma berufsbildner.ch, die jedes Jahr rund 6500 Personen zu Lehrlingsbetreuern ausbildet. «Lernende brauchen heute mehr Betreuung als früher», sagt Christoph Weber.
Berufsbildner statt Lehrmeister
Aber das ist nicht der einzige Unterschied. «Die Rollen sind heute ganz anders: Ein Lehrling macht heute nicht mehr einfach nur Lehrlingsbüez. Gleichzeitig ist man nicht mehr Lehrmeister, sondern Berufsbildner.» Der Experte ortet die Probleme in der Prioritätensetzung der Betriebe: «Viele Berufsbildner haben das Gefühl, dass sie zu wenig Zeit haben. Ihre Arbeit wird von den Chefs oft nicht genug wertgeschätzt.»
Sicher ist: Auch für die Lehrlinge ist das Leben komplexer geworden. Es gibt mittlerweile über 250 unterschiedliche Berufe, aus denen sie eine Wahl treffen. Am häufigsten wenden sich die Jugendlichen für Rat dann an ihre Eltern. Dahinter folgen Freunde und Kollegen sowie die Lehrer. Dies geht ebenso aus der Yousty-Umfrage hervor, die auch 2228 Schüler zur Lehrstellensuche befragt hat.
Sei es bei der Wahl der Lehre oder bei der Betreuung im Betrieb: Die Erwachsenen tragen also ebenso das Ihrige dazu bei, dass das Erfolgsmodell Lehre ein Erfolgsmodell bleibt.