In der Krise zieht die Schwarzarbeit an, boomt die sogenannte Schattenwirtschaft. Das sagt Friedrich Schneider (72), Ökonomieprofessor an der Johannes-Kepler-Universität in Linz – der Mann, der über Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft fast alles weiss.
Seine Zahlen zeigen: Im Corona-Jahr 2020 hat die Schattenwirtschaft rund um die Welt deutlich zugenommen – so auch in der Schweiz. Konkret: Der Ökonom schätzt das Ausmass der Schattenwirtschaft hierzulande im letzten Jahr auf 43,62 Milliarden Franken. Das ist eine Zunahme gegenüber dem Vorjahr um rund 10 Prozent. In diesem Jahr könnte das Ausmass wieder etwas sinken – vorausgesetzt, die Erholung der Wirtschaft setzt auch tatsächlich ein.
In der Krise mehr Schwarzarbeit
Je besser die Wirtschaft läuft, desto geringer ist der Anreiz, schwarz zu arbeiten, sich im Schatten der offiziellen Wirtschaft zu bewegen. Das zeigt auch der Blick in die Statistik: Seit 2003 geht in den Industrieländern die Schwarzarbeit zurück. In der Schweiz lag das Verhältnis von Schattenwirtschaft zur offiziellen Wirtschaft damals noch bei 9,5 Prozent. Seither sinkt der Wert bis auf zwei Ausnahmen: 2009 – das Jahr nach der Finanzkrise – und eben 2020: das Jahr, in dem Corona kam.
«Die Schweiz blickt auf viele wirtschaftlich starke Jahre zurück», begründet Schneider den Rückgang. «Warum also soll ich schwarz arbeiten, wenn sich legal einfacher und mehr Geld verdienen lässt?» Schwarzarbeit erfolge zudem oft abends oder am Wochenende, also dann, wenn die Kumpels am Feiern sind. Ohne grosse wirtschaftliche Not tut sich das niemand an!
Wegen Corona hat sich das 2020 schlagartig geändert. «Der Lockdown hat die normale Wirtschaft – die offizielle Wirtschaft – stark gebremst. Wer zu mehr Geld kommen wollte, war auf Schwarzarbeit angewiesen», erklärt Schneider.
Das Gute an der Schwarzarbeit
Das heisst, wer in der Corona-Krise seinen Job verloren hat oder wem wegen Kurzarbeit das Budget aus dem Ruder lief, der hat oft nur in der Schattenwirtschaft eine Chance, sein Einkommen aufzubessern, gar überhaupt ein Einkommen zu erzielen. «Wenn der Staat die Restaurants schliesst, dann lässt es sich eher rechtfertigen, schwarz zu arbeiten», erklärt Schneider. Also zum Beispiel nicht jedes Take-away-Menü korrekt abzurechnen oder dem Koch das Geld mal bar auf die Hand auszuzahlen.
Die Grenze zwischen Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft zu ziehen, ist schwierig. Für Schneider macht eine Unterscheidung keinen Sinn: «Die Schattenwirtschaft umfasst alle nicht-kriminellen Tätigkeiten, die schwarz erbracht werden.» Das heisst also ohne korrekte Abrechnung oder Bezahlung von Sozialversicherungsbeiträgen oder Steuern. Einkünfte aus Tätigkeiten wie Drogenhandel oder Geldwäscherei zählt der Ökonom nicht dazu.
Schneider beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Schwarzarbeit, kann ihr sogar etwas Gutes abgewinnen. «Schwarzarbeit ist wohlfahrtssteigernd», so die provokante These des Ökonomen. «Durch die Schattenwirtschaft entsteht eine zusätzliche Wertschöpfung, die es sonst nicht gäbe», ist Schneider überzeugt. Diese schätzt er für die Schweiz auf rund 20 Milliarden Franken. «In der Krise kann Schwarzarbeit auch als Puffer dienen, kann Menschen vor dem totalen Absturz bewahren», so Schneider. Zudem werde ein grosser Teil dieser Gelder sofort wieder ausgegeben. Davon profitiere eben auch die Wirtschaft, sagt Schneider.
Der Staat ist der grosse Verlierer
Dem widersprechen das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco und die Suva vehement. Denn der Staat ist das erste Opfer von Schwarzarbeit: «Schwarzarbeit ist generell ein Problem, denn sie hat schwerwiegende Folgen, wie insbesondere Einkommensverluste für den öffentlichen Sektor, Gefährdung des Arbeitnehmerschutzes und Verzerrungen des Wettbewerbs und des Finanzausgleichs», schreibt das Seco auf Anfrage von BLICK.
«Durch Schwarzarbeit entsteht ein Millionenschaden.» Dies in mehrfacher Hinsicht, wie Roger Bolt (46), Leiter Missbrauchsbekämpfung bei der Suva, ausführt: «Es geht nicht nur darum, dass sich gewisse Firmen die Prämien für die Unfallversicherung sparen und so die ehrlichen Prämienzahler hintergehen.» Durch das Vermeiden weiterer Abgaben könnten solche Unternehmen billiger anbieten und Konkurrenten aus dem Markt drängen.
Auf dem Bau und im Restaurant
In welchen Branchen Schwarzarbeit am häufigsten vorkommt, lässt sich nicht genau beziffern. Das Seco verweist auf die Kantone. Eine Anfrage bei Arbeitsinspektoraten in den Kantonen Basel-Stadt, Bern, Luzern und Zürich zeigt: Im Bau- und im Gastgewerbe werden die meisten Fälle von Schwarzarbeit aufgedeckt.
Diese Branchen gelten als sogenannte Risikobranchen, werden entsprechend häufig kontrolliert. Ebenfalls anfällig für Schwarzarbeit ist die Reinigungsbranche, allerdings in einem geringeren Ausmass. Diese Ergebnisse decken sich mehr oder weniger mit den Erkenntnissen des Experten. Schneider hat noch zusätzlich das Auto- und Reparaturgewerbe als besonders anfällig für Schwarzarbeit ausgemacht.
Was Schneider auch festgestellt hat: Die Schweiz hat in ganz Europa die tiefste Schwarzarbeitsquote. Der Grund: «Direkte Demokratie und tiefe Steuern mindern den Anreiz, schwarz zu arbeiten», sagt der Fachmann für Schattenwirtschaft.