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Häne wirft nichts aus der Bahn:«Ich habe mir angewöhnt, meine Chefs selber auszusuchen»

SBB-Urgestein Toni Häne (66) geht in Pension
«Ich habe mir angewöhnt, meine Chefs selber auszusuchen»

Mit dem Ruhestand von Toni Häne verlieren die SBB ihr Aushängeschild für Beständigkeit. Häne schmerzen die derzeit halbvollen Züge. Doch nächstes Jahr würde wieder das Vorpandemie-Niveau erreicht. Das Wachstum erfordere aber, Bahnhöfe und den Taktfahrplan neu zu denken.
Publiziert: 22.04.2021 um 01:34 Uhr
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Aktualisiert: 23.04.2021 um 11:42 Uhr
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50 Jahre bei den SBB: Toni Häne startete als Stationslehrling und stieg bis zur Nummer 2 des Konzerns auf.
Foto: Thomas Meier
Claudia Gnehm (Interview), Thomas Meier (Foto)

Toni Häne (66) hat die SBB im Blut. Die Staatsbahn gibt es seit 120 Jahren, 50 davon war er dabei. Während der turbulenten letzten drei Jahre war der Vollblutbähnler die zweitwichtigste Person im Konzern. Ihn wirft nichts so schnell aus der Bahn. Ob er auch ohne kann? Das fragte Blick Häne wenige Tage vor seiner Pensionierung beim Treffen am Hauptbahnhof Zürich. Er freue sich, nicht mehr fremdbestimmt zu sein und die Maske nun öfters ablegen zu können.

Blick: Ein halbes Jahrhundert bei den SBB! Welche Zeit erlebten Sie als die schönste?
Toni Häne: Es war immer schön. Mich hat das System Eisenbahn von Anfang an gepackt. Ich erlebte eine riesige Entwicklung. In der Ausbildung habe ich noch an mechanischen Stellwerken gearbeitet. Und um Gleise zu sperren, nutzten wir alte Petrollaternen.

War es früher romantisch?
Romantisch nicht. Vor 50 Jahren ging es auch bei einer Bank ruhiger zu und her. Bei den SBB hatten wir weniger Frequenzen, dafür war der Berufsalltag abwechslungsreicher, weniger spezialisiert. Als ich nach Bern wechselte – bevor es Handys gab –, war es am Wochenende ruhig. Da hat man nichts von der Arbeit mitgekriegt. Höchstens es passierte etwas Ausserordentliches.

Und wie ist es heute?
Heute ist man sieben Tage 24 Stunden auf Empfang, und bei manchen habe ich das Gefühl, sie wären auch ständig am Senden. Es gibt keinen Unterbruch zwischen Arbeit und Freizeit. Romantischer war es früher trotzdem nicht.

Dämpfte die Hektik der letzten Jahre die Freude am Job?
Ich habe mir immer gesagt, solange der Spassfaktor stimmt, bleibe ich. Das war immer der Fall. Deshalb habe ich vor gut drei Jahren auch den Job als Personenverkehrschef angenommen. Ich habe mir angewöhnt, meine Chefs selber auszusuchen. Respektive wenn mir ein Chef nicht passte, dann habe ich etwas anderes gesucht innerhalb des Unternehmens. Das ist der Vorteil der SBB, es gibt sehr viele verschiedene Geschäftsfelder.

Wie war für Sie das Corona-Jahr?
Wir haben uns zwar bei der Schweinegrippe und bei Sars Pandemieszenarien überlegt und auch Masken gelagert, aber es kam nichts. Und dann, als die Pandemie konkret kam, spürte man, dass niemand wirklich wusste, was man machen soll. Beim ersten Lockdown fuhren wir das Angebot zurück, auch weil wir nicht wussten, wie viele unserer Leute betroffen sein werden. Jetzt fahren wir das volle Angebot, aber es ist schwierig.

Was ist schwierig?
Wenn man vorher 1,3 Millionen Passagiere pro Tag hatte und jetzt noch die Hälfte, wenn es gut kommt, dann ist das emotional sehr schwierig. Wir vermissen unsere Reisenden. Was die Mitarbeitenden unter erschwerten Bedingungen schafften, macht mich sehr stolz. Auf die Eisenbahnerinnen und die Eisenbahner kann man sich immer verlassen, wenn es darauf ankommt.

Im Mai werden Sie noch Ihre Nachfolger begleiten. Wieso braucht es gleich zwei Personen für Ihren Posten?
Ich finde die Aufgabenverteilung auf zwei Schultern sehr gut. Denn der Personenverkehr deckt von der Bahnproduktion bis zum Billettverkauf mittlerweile ein sehr breites Spektrum ab. Da muss man überall aufmerksam sein. Ich bin in meinem Herzen und Bauch ein Eisenbahner, und meine lange Erfahrung bei den SBB hat sicher auch geholfen.

Und wenn die Übergabe fertig ist?
Ich bleibe Präsident der Zentralbahn – dafür brauche ich ein bis zwei Tage in der Woche. Zuerst werde ich es geniessen, dass ich den Tag selber planen darf. Derzeit schaue ich am Morgen auf das Ding (zeigt aufs Handy), und dann gibt es mir bis zu zehn Sitzungen pro Tag an. Ich habe keine grossen Pläne. Ich lasse alles auf mich zukommen und geniesse es, die Seele baumeln zu lassen.

War Ihr letztes Jahr das intensivste?
Es war sehr viel los, auch neben Corona. Vorletztes Jahr nach der Reorganisation merkten wir, dass wir zu wenig Lokführer haben. Da mussten wir intensiv dahinter. Auch mit der neuen Flotte ist es nach wie vor sehr anspruchsvoll. Es gab die letzten 50 Jahre keine Phase, in der wir innert so kurzer Zeit so viel neues Rollmaterial kriegten. Dann hatten wir die Probleme mit der Pünktlichkeit – wir kommen langsam an die Grenze des Systems –, wobei wir einiges unternommen haben, um uns zu verbessern.

Kommt es so bald nicht mehr vor, dass ein Zug wegen Lokführermangel stehen bleibt?
Ab nächstem Jahr werden wir einen leichten Überstand haben. Wir möchten auch, dass das Lokpersonal breiter eingesetzt werden kann, mehr Kenntnis von Strecken und Treibfahrzeugen hat. Das braucht zusätzliche Ausbildung. Das bringt den Lokführerinnen dafür mehr Abwechslung und uns mehr Flexibilität.

Glauben Sie, dass die SBB das Vorkrisen-Niveau bald wieder erreichen?
Als ich 1970 sagte, ich gehe zur SBB, fragten sich die Schulkollegen, ob es die SBB in zehn Jahren noch gebe. Das Wachstum kam in Phasen. In der Ölkrise der 70er-Jahre mit autofreien Sonntagen wichen die Leute auf die Eisenbahn aus. Als in den 80er-Jahren das Waldsterben aktuell war, gab es einen Schub durch das neu eingeführte Halbtax. Die Nachfrage hat stetig zugenommen.

Die Bevölkerung hat auch zugenommen.
Ja, aber die Mobilität noch mehr. Und das Pendeln bleibt ein Trend, da man in unseren Zügen arbeiten kann. Ich arbeite nicht, ich geniesse es. Für mich ist Zugfahren Zeit zum Denken. Ich gehöre zu den Leuten, die zwischendurch noch denken müssen. Andere brauchen das vielleicht nicht. Klar ist, die Nachfrage zeigte immer aufwärts, jetzt kommt noch der Klimawandel hinzu.

Was heisst das für die SBB?
Mobilität wird auf eine klimafreundliche Art zurückkehren. Wenn Corona bewältigt ist, wird die Klimadiskussion das grosse Thema. Ich hatte immer die Vision, dass wir mit Nachtzügen auf die Klimaproblematik reagieren können. Deshalb freut es mich, den ÖV als klimafreundliches Massentransportmittel positionieren zu können und dass wir bald einen Nachtzug nach Barcelona haben.

Wo sehen Sie die Grenzen des Wachstums?
Ich gehe davon aus, dass die Nachfrage in einem Jahr in etwa wieder so sein wird wie im Januar und Februar 2020 vor dem Lockdown. Ich glaube, die Mobilität ist erst fertig gedacht, wenn man sich an andere Orte beamen kann. Diese Entwicklung kann man nicht aufhalten.

Welche Antwort haben die SBB auf das ungebremste Wachstum?
Wir wollen weg vom sturen Taktfahrplan, hin zu einem anderen Fahrplan am Wochenende, der sich am Freizeit- und nicht am Berufsverkehr orientiert. Auch die Bahnhöfe muss man neu denken.

Braucht es weitere Etagen?
Am Hauptbahnhof Zürich liegt kein weiterer Tiefbahnhof mehr drin. Man wird sich überlegen müssen, ob Züge in Zürich-Enge, -Oerlikon oder
-Altstetten halten sollen. Das sind Hubs mit guten Anschlüssen an Trams und Busse. Also wie in anderen Städten: statt ein Zentralbahnhof ein Ring mit mehreren Hubs.

Sie wollen also nicht weg vom Taktfahrplan, aber diesen flexibilisieren?
Ja, vom Halbstunden- kann man auf den Viertelstundentakt wechseln, und die Verkehrsströme kann man anders stückeln. Weil die Passagiere im Zug arbeiten, werden direkte Verbindungen ohne Umsteigen wichtiger als nur die Geschwindigkeit.

Im Jahr 2019 mit den vielen Verspätungen sagten Sie, dass der FV Dosto uns trotz Anfangsproblemen noch viel Freude bereiten werde. Wann ist das der Fall?
Gestern Morgen habe ich mich gefreut, weil wir fünf Tage kein Ereignis mit dem Fernverkehrs-Dosto hatten. Auch die Probleme, die im Januar mit der starken Kälte aufgetreten sind, konnten wir lösen. Dieser Zug wird nun zu einem erwachsenen Zug. Wir kommen dem Zielzustand immer näher.

Das heisst, die FV Dosto fahren jetzt vermehrt auf ihrer vorgesehenen Strecke St. Gallen bis Genf?
Ja, der Dosto fährt jetzt schon sechs von neun Umläufen auf dieser Strecke, und der siebte folgt bald.

Sie bilden Lokführer auf Vorrat aus, es werden auch wieder mehr Zugbegleiter eingestellt. Beim früheren CEO Andreas Meyer hatte man den Eindruck, dass alles knapp berechnet wurde. Sein Nachfolger Vincent Ducrot scheint weniger zu sparen.
So ist es nicht. Wir versuchen nach wie vor, die Kosten in den Griff zu kriegen. Der Regionalverkehr wird von den Kantonen finanziert, da können wir nicht einfach ein «Koste es, was es wolle» machen. Die Ausbildungsinitiative beim Zugpersonal hat ihren Preis. Aber wir versuchen, die Verwaltung zurückzufahren, damit wir uns besser auf die Produktion konzentrieren können. Das ist wichtig, weil das auch die Kundenerwartung ist – sicher, sauber, pünktlich.

Gefällt Ihnen der Fokus von Herrn Ducrot?
Mit Vincent Ducrot arbeitete ich bereits in seiner ersten SBB-Phase gut zusammen. Jetzt ist er mein Wunschchef. Die «Bahn im Griff»-Themen haben wir schon bei Andreas Meyer angefangen, mit Ducrot können wir das noch intensiver verwirklichen.

Letzte Woche gab es mehrere Verspätungen. Hat die neue Führung die SBB im Griff?
Aktuell sind unsere Züge schweizweit sehr pünktlich unterwegs. Das war ein Effekt von Corona, aber auch das Resultat unserer Arbeit. Dieses Level wollen wir halten, auch wenn nach Corona wieder mehr Reisende unterwegs sind. Wir machen den Fahrplan robuster und optimieren die Baustellenplanung. Und wir wollen im Verspätungsfall besser informieren. Die Betriebslage bleibt aber angespannt. Denn Ausbauten und Unterhalt des Bahnnetzes nehmen weiter zu.

Hatten schon immer alle eine Meinung zu den SBB?
Wir sind wahrscheinlich eine der wenigen Firmen in der Schweiz, die per Volksabstimmung definiert wurden, weil man genug hatte vom Gestürm der fünf grossen Privatbahnen. Die Schweizerinnen und Schweizer sind stolz auf ihre Bahn, auch wenn man immer Anlass hat zum Kritisieren. Dass alle mitdiskutieren wollen, finde ich schön. Als ich als junger Beamter mit rotem Hut vor dem Stellwerk stand und ein Vater mit seinem Sohn vorbeikam, um zu schauen, was wir machen, fühlte ich mich stolz darauf, in diesem System zu arbeiten. Das ist immer noch so.

Ein halbes Jahrhundert SBB-Bähnler

Bis zu seiner Pensionierung Ende April hat Toni Häne (66) ein halbes Jahrhundert bei den SBB gearbeitet. Der Rheintaler startete seine Karriere im sankt-gallischen Au als Bähnler-Stift. Zwischen 2014 und 2016 leitete er den Fernverkehr, wurde dann zum Leiter Verkehr und stieg 2018 zum Personenverkehrschef auf. Damit ist Häne die Nummer zwei im Konzern nach SBB-CEO Vincent Ducrot (58). Häne, der weiss, wie man eine Weiche stellt oder Ersatz für einen Pannenzug organisiert, kann selbst in seiner Freizeit nicht ohne Bahn: In seinem Hobbykeller hat er ein Modell der sächsischen Schmalspurbahn im Massstab 1:32. Häne ist verheiratet, hat zwei Söhne und wohnt in Moosseedorf BE.

Bis zu seiner Pensionierung Ende April hat Toni Häne (66) ein halbes Jahrhundert bei den SBB gearbeitet. Der Rheintaler startete seine Karriere im sankt-gallischen Au als Bähnler-Stift. Zwischen 2014 und 2016 leitete er den Fernverkehr, wurde dann zum Leiter Verkehr und stieg 2018 zum Personenverkehrschef auf. Damit ist Häne die Nummer zwei im Konzern nach SBB-CEO Vincent Ducrot (58). Häne, der weiss, wie man eine Weiche stellt oder Ersatz für einen Pannenzug organisiert, kann selbst in seiner Freizeit nicht ohne Bahn: In seinem Hobbykeller hat er ein Modell der sächsischen Schmalspurbahn im Massstab 1:32. Häne ist verheiratet, hat zwei Söhne und wohnt in Moosseedorf BE.

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