Markus Meyer ist verärgert: «Die SBB bekommen von uns Abgeltungen, damit sie unsere Leute transportieren – und jetzt haben sie einfach ihr Angebot reduziert. Das habe ich noch nie erlebt.» Wenn er so was sagt, will das etwas heissen, denn Meyer ist erfahrener Bahnfachmann. Er machte seine Lehre bei den SBB, arbeitete dort bis 2001 und ist nun schon seit 17 Jahren beim Amt für öffentlichen Verkehr des Kantons Schwyz, seit zehn Jahren als dessen Leiter.
Der Grund für seine Empörung: Die SBB sind auf mehreren S-Bahn-Linien mit verkürzten Zügen unterwegs. Am 3. August informierte das Unternehmen die Präsidenten der Regionalen Verkehrskonferenzen per E-Mail über «ausserordentliche Kürzungen von S-Bahnen».
In dem Schreiben, das SonntagsBlick vorliegt, begründet ein SBB-Regionen-Manager den «temporären Angebotsabbau» so: «Im Lauf des Monats Juli hat sich die Rollmaterialverfügbarkeit bei der Zürcher S-Bahn immer mehr verschlechtert. Hauptsächlicher Grund ist, dass die Instandhaltungswerke wegen Personalmangel (nicht Ferienabwesenheiten) nicht mehr in der Lage sind, den Rollmaterialeingang planmässig abzuarbeiten» (Faksimile oben).
Betroffen sind die Linien S8, S9 und S25 und damit Züge ab Pfäffikon SZ, Winterthur ZH, Schaffhausen, Uster ZH, Ziegelbrücke SG und Zürich Hauptbahnhof.
Gewerkschaften: «Die Arbeit ist unattraktiver geworden»
Ursprünglich sollten die «Notmassnahmen» vom 6. bis 17. August andauern. Doch das genügte nicht, wie SBB-Sprecher Reto Schärli auf Anfrage mitteilt: «Es muss auch in den nächsten Wochen mit Kürzungen von Kompositionen gerechnet werden.» Noch schlimmer für viele Pendler: «In den Hauptverkehrszeiten kann auf gewissen Linien nicht immer die gewünschte Anzahl von Sitzplätzen zur Verfügung gestellt werden.»
Die SBB bitten zwar für die Unannehmlichkeiten um Entschuldigung. Personalmangel, also eine Fehlplanung als Ursache, stellt die SBB-Medienstelle jedoch trotz des unmissverständlichen E-Mails des Regional-Managers in Abrede. Sprecher Schärli: «Ursächlicher Grund für die Kürzungen sind die vermehrten Defekte im Zusammenhang mit der anhaltenden Hitzewelle.» Zudem seien wegen Grossanlässen zusätzliche S-Bahnen im Einsatz.
Bei der Gewerkschaft des Verkehrspersonals (SEV) kann man über die groteske Begründung der SBB nur lachen. «Das ist völliger Blödsinn», sagt Gewerkschaftssekretär Jürg Hurni. «Der Grund für den Angebotsabbau ist, dass in der SBB-Werkhalle in Zürich Herdern 25 bis 30 Mitarbeiter fehlen.»
Weil die SBB-Führung ein neues Berufsbild einführte, hätten an diesem Standort in den vergangenen Monaten zahlreiche Mitarbeiter gekündigt. «Die Arbeit ist durch die Anpassungen für viele deutlich unattraktiver geworden», so Hurni. Die SBB begründeten die Umstrukturierung damit, dass man sich auf den Markt der Zukunft vorbereiten wolle. Die Gewerkschaften betrachten das Manöver jedoch als verstecktes Sparprogramm.
War es in Zürich deutlich wärmer?
Den Beweis, dass die Hitze nicht der Hauptgrund für die verkürzten Zürcher S-Bahn-Züge sein kann, liefern die SBB gleich selbst. Und zwar mit einer Massnahme, mit der sie die Probleme in der Werkhalle Zürich Herdern beheben wollen. SBB-Sprecher Schärli: «Die Mitarbeitenden in Zürich werden von Kollegen aus anderen Werken und der Industrie unterstützt.»
Entweder war es demnach in Zürich diesen Sommer deutlich wärmer als an den übrigen SBB-Servicestandorten in Basel, Brig VS, Genf und Oberwinterthur ZH.
Oder es handelt sich eben doch um einen Fall von Personalfehlplanung.